Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn es gewiß auch richtig ist, daß der Orient für den deutschen Handel
noch keineswegs als ein Kompensationsobjekt für den Verlust überseeischer In¬
teressen gelten kann, so ist doch der zahlenmäßige Beweis aus der Vergangenheit
für die Zukunft der wirtschaftlichen Beziehungen angesichts des in einer völligen
Umwälzung begriffenen Orients nicht überzeugend. Hier wirken Unterströmungen
mit, die menschlichem Maß entgehen, die man aber mitfühlen und miterleben
kann. Schon vor Beginn des Krieges haben auch die Amerikaner diesen
Wandlungen des Orients volle Aufmerksamkeit geschenkt und machten die
größten Anstrengungen, ihre wirtschaftlichen Interessen auf diese Voraussetzungen
zu gründen. "Die Länder des Orients gehen einer Zeit wirtschaftlicher Ent-
faltung entgegen, die einen völligen Umschwung bedeutet und den Orientalen
einen angesehenen Platz unter den Handelsvölkern der Welt erobern wird",
schrieb der amerikanische Generalkonsul in Konstantinopel an den Chef des
amerikanischen Konsulardienstes. "Hier sind neue Märkte, Märkte von großer
Entwicklungsfähigkeit, die aufmerksame Beachtung verdienen. Diese Märkte
stehen im innigsten Zusammenhang mit dem Wohle von taufenden amerikani¬
schen Arbeitern, Fabrikanten, Kaufleuten und Reedern." Und so ist es. --

Nun wird trotz dieses gewaltigen Entwicklungsganges und trotz der Ver¬
quickung des Orients mit dem Okzident, die sich auf allen Gebieten vollzieht,
die Eigenart des Orients und des Orientalen die unbedingte Grundlage zu all
dem bieten, was an Kräften des materiellen Wirtschaftslebens entbunden werden
wird. Jene noch immer nicht gründlich genug erforschten Eigentümlichkeiten
der orientalischen Wirtschaftsbedingungen, werden sich mit Naturnotwendigkeit
Berücksichtigung erzwingen. Es wäre bedauerlich, wollte man sich der Er¬
kenntnis dieser Tatsache verschließen, die sich jedenfalls bei Nichtbeachtung
unter großen Verlusten für das private und nationale Wirtschaftsvermögen
der mit dem Orient in Berührung gelangten Völker, durchsetzen wird. Die
der Natur des Orients und des Orientalen innewohnenden Kräfte aller Art,
die teils auf Rassenanlagen, teils auf durch Jahrhunderte vererbten, zu Fleisch
und Blut gewordenen geschichtlichen Überlieferungen beruhen, müssen in all
ihren Einzelheiten intensiv erforscht und ergründet werden. Die hierauf auf¬
zubauende Wirtschaftsform wird sich dann nicht schwer finden lassen.

Gewiß macht das kulturelle Leben einer Nation noch weit größere An¬
sprüche auf Beachtung ihres Seins und Werdens. Es ist auch selbstverständ¬
lich, daß keine noch so gewaltige technische und soziale Umwälzung die türkische
Nation zwingen wird etwas aufzugeben, was wirklich Kultur und wahrhaft
ihre Kultur ist, genau wie keine Kultur auf Erden je die Absicht haben kann,
eine andere ebenso wahre und in ihrem Rahmen ebenso leistungsfähige Kultur
zu vernichten. Nicht das Beste der französischen Kultur ist von den Paris be¬
suchenden Türken nach Hause mitgenommen worden, und was an Gutem
herüberkam, blieb den in einer ganz anderen Weltanschauung lebenden Türken
stets fremd. Es fehlten die verwurzelnden Anpassungsmomente, die nur einer


Wenn es gewiß auch richtig ist, daß der Orient für den deutschen Handel
noch keineswegs als ein Kompensationsobjekt für den Verlust überseeischer In¬
teressen gelten kann, so ist doch der zahlenmäßige Beweis aus der Vergangenheit
für die Zukunft der wirtschaftlichen Beziehungen angesichts des in einer völligen
Umwälzung begriffenen Orients nicht überzeugend. Hier wirken Unterströmungen
mit, die menschlichem Maß entgehen, die man aber mitfühlen und miterleben
kann. Schon vor Beginn des Krieges haben auch die Amerikaner diesen
Wandlungen des Orients volle Aufmerksamkeit geschenkt und machten die
größten Anstrengungen, ihre wirtschaftlichen Interessen auf diese Voraussetzungen
zu gründen. „Die Länder des Orients gehen einer Zeit wirtschaftlicher Ent-
faltung entgegen, die einen völligen Umschwung bedeutet und den Orientalen
einen angesehenen Platz unter den Handelsvölkern der Welt erobern wird",
schrieb der amerikanische Generalkonsul in Konstantinopel an den Chef des
amerikanischen Konsulardienstes. „Hier sind neue Märkte, Märkte von großer
Entwicklungsfähigkeit, die aufmerksame Beachtung verdienen. Diese Märkte
stehen im innigsten Zusammenhang mit dem Wohle von taufenden amerikani¬
schen Arbeitern, Fabrikanten, Kaufleuten und Reedern." Und so ist es. —

Nun wird trotz dieses gewaltigen Entwicklungsganges und trotz der Ver¬
quickung des Orients mit dem Okzident, die sich auf allen Gebieten vollzieht,
die Eigenart des Orients und des Orientalen die unbedingte Grundlage zu all
dem bieten, was an Kräften des materiellen Wirtschaftslebens entbunden werden
wird. Jene noch immer nicht gründlich genug erforschten Eigentümlichkeiten
der orientalischen Wirtschaftsbedingungen, werden sich mit Naturnotwendigkeit
Berücksichtigung erzwingen. Es wäre bedauerlich, wollte man sich der Er¬
kenntnis dieser Tatsache verschließen, die sich jedenfalls bei Nichtbeachtung
unter großen Verlusten für das private und nationale Wirtschaftsvermögen
der mit dem Orient in Berührung gelangten Völker, durchsetzen wird. Die
der Natur des Orients und des Orientalen innewohnenden Kräfte aller Art,
die teils auf Rassenanlagen, teils auf durch Jahrhunderte vererbten, zu Fleisch
und Blut gewordenen geschichtlichen Überlieferungen beruhen, müssen in all
ihren Einzelheiten intensiv erforscht und ergründet werden. Die hierauf auf¬
zubauende Wirtschaftsform wird sich dann nicht schwer finden lassen.

Gewiß macht das kulturelle Leben einer Nation noch weit größere An¬
sprüche auf Beachtung ihres Seins und Werdens. Es ist auch selbstverständ¬
lich, daß keine noch so gewaltige technische und soziale Umwälzung die türkische
Nation zwingen wird etwas aufzugeben, was wirklich Kultur und wahrhaft
ihre Kultur ist, genau wie keine Kultur auf Erden je die Absicht haben kann,
eine andere ebenso wahre und in ihrem Rahmen ebenso leistungsfähige Kultur
zu vernichten. Nicht das Beste der französischen Kultur ist von den Paris be¬
suchenden Türken nach Hause mitgenommen worden, und was an Gutem
herüberkam, blieb den in einer ganz anderen Weltanschauung lebenden Türken
stets fremd. Es fehlten die verwurzelnden Anpassungsmomente, die nur einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330760"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_744"> Wenn es gewiß auch richtig ist, daß der Orient für den deutschen Handel<lb/>
noch keineswegs als ein Kompensationsobjekt für den Verlust überseeischer In¬<lb/>
teressen gelten kann, so ist doch der zahlenmäßige Beweis aus der Vergangenheit<lb/>
für die Zukunft der wirtschaftlichen Beziehungen angesichts des in einer völligen<lb/>
Umwälzung begriffenen Orients nicht überzeugend. Hier wirken Unterströmungen<lb/>
mit, die menschlichem Maß entgehen, die man aber mitfühlen und miterleben<lb/>
kann. Schon vor Beginn des Krieges haben auch die Amerikaner diesen<lb/>
Wandlungen des Orients volle Aufmerksamkeit geschenkt und machten die<lb/>
größten Anstrengungen, ihre wirtschaftlichen Interessen auf diese Voraussetzungen<lb/>
zu gründen. &#x201E;Die Länder des Orients gehen einer Zeit wirtschaftlicher Ent-<lb/>
faltung entgegen, die einen völligen Umschwung bedeutet und den Orientalen<lb/>
einen angesehenen Platz unter den Handelsvölkern der Welt erobern wird",<lb/>
schrieb der amerikanische Generalkonsul in Konstantinopel an den Chef des<lb/>
amerikanischen Konsulardienstes. &#x201E;Hier sind neue Märkte, Märkte von großer<lb/>
Entwicklungsfähigkeit, die aufmerksame Beachtung verdienen. Diese Märkte<lb/>
stehen im innigsten Zusammenhang mit dem Wohle von taufenden amerikani¬<lb/>
schen Arbeitern, Fabrikanten, Kaufleuten und Reedern."  Und so ist es. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_745"> Nun wird trotz dieses gewaltigen Entwicklungsganges und trotz der Ver¬<lb/>
quickung des Orients mit dem Okzident, die sich auf allen Gebieten vollzieht,<lb/>
die Eigenart des Orients und des Orientalen die unbedingte Grundlage zu all<lb/>
dem bieten, was an Kräften des materiellen Wirtschaftslebens entbunden werden<lb/>
wird. Jene noch immer nicht gründlich genug erforschten Eigentümlichkeiten<lb/>
der orientalischen Wirtschaftsbedingungen, werden sich mit Naturnotwendigkeit<lb/>
Berücksichtigung erzwingen. Es wäre bedauerlich, wollte man sich der Er¬<lb/>
kenntnis dieser Tatsache verschließen, die sich jedenfalls bei Nichtbeachtung<lb/>
unter großen Verlusten für das private und nationale Wirtschaftsvermögen<lb/>
der mit dem Orient in Berührung gelangten Völker, durchsetzen wird. Die<lb/>
der Natur des Orients und des Orientalen innewohnenden Kräfte aller Art,<lb/>
die teils auf Rassenanlagen, teils auf durch Jahrhunderte vererbten, zu Fleisch<lb/>
und Blut gewordenen geschichtlichen Überlieferungen beruhen, müssen in all<lb/>
ihren Einzelheiten intensiv erforscht und ergründet werden. Die hierauf auf¬<lb/>
zubauende Wirtschaftsform wird sich dann nicht schwer finden lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_746" next="#ID_747"> Gewiß macht das kulturelle Leben einer Nation noch weit größere An¬<lb/>
sprüche auf Beachtung ihres Seins und Werdens. Es ist auch selbstverständ¬<lb/>
lich, daß keine noch so gewaltige technische und soziale Umwälzung die türkische<lb/>
Nation zwingen wird etwas aufzugeben, was wirklich Kultur und wahrhaft<lb/>
ihre Kultur ist, genau wie keine Kultur auf Erden je die Absicht haben kann,<lb/>
eine andere ebenso wahre und in ihrem Rahmen ebenso leistungsfähige Kultur<lb/>
zu vernichten. Nicht das Beste der französischen Kultur ist von den Paris be¬<lb/>
suchenden Türken nach Hause mitgenommen worden, und was an Gutem<lb/>
herüberkam, blieb den in einer ganz anderen Weltanschauung lebenden Türken<lb/>
stets fremd.  Es fehlten die verwurzelnden Anpassungsmomente, die nur einer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0222] Wenn es gewiß auch richtig ist, daß der Orient für den deutschen Handel noch keineswegs als ein Kompensationsobjekt für den Verlust überseeischer In¬ teressen gelten kann, so ist doch der zahlenmäßige Beweis aus der Vergangenheit für die Zukunft der wirtschaftlichen Beziehungen angesichts des in einer völligen Umwälzung begriffenen Orients nicht überzeugend. Hier wirken Unterströmungen mit, die menschlichem Maß entgehen, die man aber mitfühlen und miterleben kann. Schon vor Beginn des Krieges haben auch die Amerikaner diesen Wandlungen des Orients volle Aufmerksamkeit geschenkt und machten die größten Anstrengungen, ihre wirtschaftlichen Interessen auf diese Voraussetzungen zu gründen. „Die Länder des Orients gehen einer Zeit wirtschaftlicher Ent- faltung entgegen, die einen völligen Umschwung bedeutet und den Orientalen einen angesehenen Platz unter den Handelsvölkern der Welt erobern wird", schrieb der amerikanische Generalkonsul in Konstantinopel an den Chef des amerikanischen Konsulardienstes. „Hier sind neue Märkte, Märkte von großer Entwicklungsfähigkeit, die aufmerksame Beachtung verdienen. Diese Märkte stehen im innigsten Zusammenhang mit dem Wohle von taufenden amerikani¬ schen Arbeitern, Fabrikanten, Kaufleuten und Reedern." Und so ist es. — Nun wird trotz dieses gewaltigen Entwicklungsganges und trotz der Ver¬ quickung des Orients mit dem Okzident, die sich auf allen Gebieten vollzieht, die Eigenart des Orients und des Orientalen die unbedingte Grundlage zu all dem bieten, was an Kräften des materiellen Wirtschaftslebens entbunden werden wird. Jene noch immer nicht gründlich genug erforschten Eigentümlichkeiten der orientalischen Wirtschaftsbedingungen, werden sich mit Naturnotwendigkeit Berücksichtigung erzwingen. Es wäre bedauerlich, wollte man sich der Er¬ kenntnis dieser Tatsache verschließen, die sich jedenfalls bei Nichtbeachtung unter großen Verlusten für das private und nationale Wirtschaftsvermögen der mit dem Orient in Berührung gelangten Völker, durchsetzen wird. Die der Natur des Orients und des Orientalen innewohnenden Kräfte aller Art, die teils auf Rassenanlagen, teils auf durch Jahrhunderte vererbten, zu Fleisch und Blut gewordenen geschichtlichen Überlieferungen beruhen, müssen in all ihren Einzelheiten intensiv erforscht und ergründet werden. Die hierauf auf¬ zubauende Wirtschaftsform wird sich dann nicht schwer finden lassen. Gewiß macht das kulturelle Leben einer Nation noch weit größere An¬ sprüche auf Beachtung ihres Seins und Werdens. Es ist auch selbstverständ¬ lich, daß keine noch so gewaltige technische und soziale Umwälzung die türkische Nation zwingen wird etwas aufzugeben, was wirklich Kultur und wahrhaft ihre Kultur ist, genau wie keine Kultur auf Erden je die Absicht haben kann, eine andere ebenso wahre und in ihrem Rahmen ebenso leistungsfähige Kultur zu vernichten. Nicht das Beste der französischen Kultur ist von den Paris be¬ suchenden Türken nach Hause mitgenommen worden, und was an Gutem herüberkam, blieb den in einer ganz anderen Weltanschauung lebenden Türken stets fremd. Es fehlten die verwurzelnden Anpassungsmomente, die nur einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/222
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/222>, abgerufen am 17.06.2024.