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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Das Werden des Grients

selbstlosen liebevollen Hingabe eigen sind. Denn nur jene aufbauenden Kräfte
sind wahrhaft neugestaltend!

Deutschland, das und verhältnismäßig junger Kraft in die Schranken des
Orients getreten ist, hat sein Bestreben in unzweideutiger Weise umgrenzt, so¬
wohl in politischer, als auch in wirtschaftlicher und kultureller Beziehung. Wie
es die alten Kräfte der osmanischen Armee waren, die durch deutsche Lehr¬
meister zu jenen Leistungen erzogen worden sind, die in Deutschland gewiß
niemals überschätzt wurden, aber auch bei den Feinden des Kalifenreichs nun
lange nicht mehr unterschätzt werden, so wird auf osmanischen Boden osmanische
Manneskraft zu wirtschaftlicher Beendigung erzogen werden, die den Güter¬
austausch beider Nationen zugute kommen wird. So wird auch deutscher
Forschertrieb jene alten Kulturschütze des Orients emporziehen, sie verstehen
lernen, ihren wahren Kern herausschälen, um ihn mit den allgemeinen modernen
.Geisteswissenschaften zu einer Masse zusammenzutreten, die wir dann als eine
neue vorderasiatische Kultur erblühen sehen werden.

Wie auf wirtschaftlichem, so auch auf geistigem Gebiete kann die anderen
europäischen Völkern so verhängnisvoll gewordene Parole: "Für den Export
nach dem Orient ist alles noch gut genug" nicht energisch genug bekämpft
werden. Im Gegenteil nur das Waschechte, das Beste im Deutschtum schicke
sich an die Arbeit im Orient. Die Türkei darf für das Deutschtum (besonders
das kulturelle) kein jedermann offenstehendes Tätigkeitsgebiet sein. Eine um¬
fassende Organisation muß dafür bürgen, daß eine genügende Auswahl und
Auslese der entsandten Kulturpioniere getroffen wird. Man darf den "Balkan¬
zug" nicht lediglich mit einer Fahrkarte versehen besteigen. Jeder, der die
Wege des Orients kennt, weiß, daß durch falsche Schritte aufgewirbelter Staub
allen Nachkommenden in die Augen fliegt.

Der wirtschaftliche Kampf wird im Orient erst wenn die Waffen ruhen zu
Heller Flamme auflodern. Nichts kann mehr schaden als die Ansicht, daß die
feindlichen Mächte der Türkei nach den Erfahrungen dieses Krieges ihre Hände
vom Orient lassen werden. Eher wird das Gegenteil der Fall sein. Sie
werden, nachdem sie nun eingesehen haben, daß die Türkei politisch und
militärisch keine quantitö neZIlMable ist, ihre Anstrengungen verdoppeln, um
wenigstens ihr verlorenes Prestige daselbst wieder zu heben. Für Deutschland
gilt es nun einerseits diesem Kampfe zu begegnen, andererseits aber das Ver¬
trauen eines in seinen europäischen Freunden so oft enttäuschten Volkes zu ge¬
winnen, ein Volk, dessen Charaktereigenschaften keineswegs wirtschaftshemmend,
dessen Religion niemals kulturfeindlich war zu einem Wirtschafts- und Kultur¬
bündnis mit dem Deutschen Reiche erst vorzubereiten; ihm Güter zu verleihen,
die die türkische Nation zu einem gleichberechtigten Faktor in die Wirt¬
schaftsgruppe erheben, die sich von der Nordsee bis zum persischen Golf er¬
strecken wird. Gerade als Mitglied eines größeren Wirtschaftskreises muß die
Türkei danach streben, auf der Grundlage der ihr von der Natur verliehenen


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Das Werden des Grients

selbstlosen liebevollen Hingabe eigen sind. Denn nur jene aufbauenden Kräfte
sind wahrhaft neugestaltend!

Deutschland, das und verhältnismäßig junger Kraft in die Schranken des
Orients getreten ist, hat sein Bestreben in unzweideutiger Weise umgrenzt, so¬
wohl in politischer, als auch in wirtschaftlicher und kultureller Beziehung. Wie
es die alten Kräfte der osmanischen Armee waren, die durch deutsche Lehr¬
meister zu jenen Leistungen erzogen worden sind, die in Deutschland gewiß
niemals überschätzt wurden, aber auch bei den Feinden des Kalifenreichs nun
lange nicht mehr unterschätzt werden, so wird auf osmanischen Boden osmanische
Manneskraft zu wirtschaftlicher Beendigung erzogen werden, die den Güter¬
austausch beider Nationen zugute kommen wird. So wird auch deutscher
Forschertrieb jene alten Kulturschütze des Orients emporziehen, sie verstehen
lernen, ihren wahren Kern herausschälen, um ihn mit den allgemeinen modernen
.Geisteswissenschaften zu einer Masse zusammenzutreten, die wir dann als eine
neue vorderasiatische Kultur erblühen sehen werden.

Wie auf wirtschaftlichem, so auch auf geistigem Gebiete kann die anderen
europäischen Völkern so verhängnisvoll gewordene Parole: „Für den Export
nach dem Orient ist alles noch gut genug" nicht energisch genug bekämpft
werden. Im Gegenteil nur das Waschechte, das Beste im Deutschtum schicke
sich an die Arbeit im Orient. Die Türkei darf für das Deutschtum (besonders
das kulturelle) kein jedermann offenstehendes Tätigkeitsgebiet sein. Eine um¬
fassende Organisation muß dafür bürgen, daß eine genügende Auswahl und
Auslese der entsandten Kulturpioniere getroffen wird. Man darf den „Balkan¬
zug" nicht lediglich mit einer Fahrkarte versehen besteigen. Jeder, der die
Wege des Orients kennt, weiß, daß durch falsche Schritte aufgewirbelter Staub
allen Nachkommenden in die Augen fliegt.

Der wirtschaftliche Kampf wird im Orient erst wenn die Waffen ruhen zu
Heller Flamme auflodern. Nichts kann mehr schaden als die Ansicht, daß die
feindlichen Mächte der Türkei nach den Erfahrungen dieses Krieges ihre Hände
vom Orient lassen werden. Eher wird das Gegenteil der Fall sein. Sie
werden, nachdem sie nun eingesehen haben, daß die Türkei politisch und
militärisch keine quantitö neZIlMable ist, ihre Anstrengungen verdoppeln, um
wenigstens ihr verlorenes Prestige daselbst wieder zu heben. Für Deutschland
gilt es nun einerseits diesem Kampfe zu begegnen, andererseits aber das Ver¬
trauen eines in seinen europäischen Freunden so oft enttäuschten Volkes zu ge¬
winnen, ein Volk, dessen Charaktereigenschaften keineswegs wirtschaftshemmend,
dessen Religion niemals kulturfeindlich war zu einem Wirtschafts- und Kultur¬
bündnis mit dem Deutschen Reiche erst vorzubereiten; ihm Güter zu verleihen,
die die türkische Nation zu einem gleichberechtigten Faktor in die Wirt¬
schaftsgruppe erheben, die sich von der Nordsee bis zum persischen Golf er¬
strecken wird. Gerade als Mitglied eines größeren Wirtschaftskreises muß die
Türkei danach streben, auf der Grundlage der ihr von der Natur verliehenen


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[0223] Das Werden des Grients selbstlosen liebevollen Hingabe eigen sind. Denn nur jene aufbauenden Kräfte sind wahrhaft neugestaltend! Deutschland, das und verhältnismäßig junger Kraft in die Schranken des Orients getreten ist, hat sein Bestreben in unzweideutiger Weise umgrenzt, so¬ wohl in politischer, als auch in wirtschaftlicher und kultureller Beziehung. Wie es die alten Kräfte der osmanischen Armee waren, die durch deutsche Lehr¬ meister zu jenen Leistungen erzogen worden sind, die in Deutschland gewiß niemals überschätzt wurden, aber auch bei den Feinden des Kalifenreichs nun lange nicht mehr unterschätzt werden, so wird auf osmanischen Boden osmanische Manneskraft zu wirtschaftlicher Beendigung erzogen werden, die den Güter¬ austausch beider Nationen zugute kommen wird. So wird auch deutscher Forschertrieb jene alten Kulturschütze des Orients emporziehen, sie verstehen lernen, ihren wahren Kern herausschälen, um ihn mit den allgemeinen modernen .Geisteswissenschaften zu einer Masse zusammenzutreten, die wir dann als eine neue vorderasiatische Kultur erblühen sehen werden. Wie auf wirtschaftlichem, so auch auf geistigem Gebiete kann die anderen europäischen Völkern so verhängnisvoll gewordene Parole: „Für den Export nach dem Orient ist alles noch gut genug" nicht energisch genug bekämpft werden. Im Gegenteil nur das Waschechte, das Beste im Deutschtum schicke sich an die Arbeit im Orient. Die Türkei darf für das Deutschtum (besonders das kulturelle) kein jedermann offenstehendes Tätigkeitsgebiet sein. Eine um¬ fassende Organisation muß dafür bürgen, daß eine genügende Auswahl und Auslese der entsandten Kulturpioniere getroffen wird. Man darf den „Balkan¬ zug" nicht lediglich mit einer Fahrkarte versehen besteigen. Jeder, der die Wege des Orients kennt, weiß, daß durch falsche Schritte aufgewirbelter Staub allen Nachkommenden in die Augen fliegt. Der wirtschaftliche Kampf wird im Orient erst wenn die Waffen ruhen zu Heller Flamme auflodern. Nichts kann mehr schaden als die Ansicht, daß die feindlichen Mächte der Türkei nach den Erfahrungen dieses Krieges ihre Hände vom Orient lassen werden. Eher wird das Gegenteil der Fall sein. Sie werden, nachdem sie nun eingesehen haben, daß die Türkei politisch und militärisch keine quantitö neZIlMable ist, ihre Anstrengungen verdoppeln, um wenigstens ihr verlorenes Prestige daselbst wieder zu heben. Für Deutschland gilt es nun einerseits diesem Kampfe zu begegnen, andererseits aber das Ver¬ trauen eines in seinen europäischen Freunden so oft enttäuschten Volkes zu ge¬ winnen, ein Volk, dessen Charaktereigenschaften keineswegs wirtschaftshemmend, dessen Religion niemals kulturfeindlich war zu einem Wirtschafts- und Kultur¬ bündnis mit dem Deutschen Reiche erst vorzubereiten; ihm Güter zu verleihen, die die türkische Nation zu einem gleichberechtigten Faktor in die Wirt¬ schaftsgruppe erheben, die sich von der Nordsee bis zum persischen Golf er¬ strecken wird. Gerade als Mitglied eines größeren Wirtschaftskreises muß die Türkei danach streben, auf der Grundlage der ihr von der Natur verliehenen 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/223>, abgerufen am 17.06.2024.