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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

ländischen Getreidehandels -- Antrag Kanitz -- mit größter Dringlichkeit
forderte. Auch sie mußte sich damals den Vorwurf der tiefen Verbeugung vor
sozialistischen Ideen bis zum Überdruß gefallen lassen. Sicherlich war dieser
Vorwurf sehr unberechtigt. Aber ebenso unberechtigt ist der gleiche Vorwurf
gegenüber der nüchternen Feststellung der Tatsache, daß heute, wo sich nicht
etwa nur die Landwirtschaft in einer Krise gleich der der neunziger Jahre,
sondern unser ganzes staatliches Finanzwesen vor einer großen, in ihrem Aus¬
maß noch gar nicht abzusehenden Krise befindet und die Grundlagen unseres
materiellen Daseins auf das ernsteste erschüttert sind, die zu ergreifenden Ma߬
regeln nicht vor dem Schall des Wortes Sozialismus Halt machen können.
Lalu8 publica 8uprema lex esto! Sind wir im Kriege nicht vor dem sozia¬
listischen Staat zurückgeschreckt, haben wir vielmehr in ihm wohl oder übel
unser Heil suchen müssen, so werden wir auch im Frieden, der noch lange,
lange die schweren Spuren des Krieges tragen wird, wenn das Wohl des Vater¬
landes, das über allen Prinzipien steht, es verlangt, nicht allzu heilet sein dürfen.

Mir scheint, man kann überhaupt ein guter Konservativer sein, ohne die
Furcht vor demokratischen oder sozialistischen Ideen, die einem Metternich
anstehen mochte, noch zu teilen. Ich habe schon in meinem Schlußwort zu der
"Arbeiterschaft im neuen Deutschland" ausgeführt: "Heute, wo es klar zu Tage
tritt, daß unsere gewaltigen Erfolge zum guten Teil gerade auf den demo¬
kratischen Einrichtungen beruhen, mit denen unser Staat durchsetzt ist, auf dem
demokratischen Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, auf unserer Volksschule,
auf unserer sozialen Gesetzgebung, des freien Wahlrechts gar nicht zu gedenken,
das uns einen auch den allerhöchsten nationalen Anforderungen in entscheidender
Stunde gewachsenen Reichstag beschert hat, heute muß das Wort von den
demokratischen Prinzipien seinen Schrecken auch für den konservativsten Politiker
verloren haben .... Daß bei uns eine Demokratie je zu einer Herrschaft
der Gasse entarten könne, wie wir sie schaudernd in den romanischen Ländern
erlebt haben, braucht niemand zu fürchten; das deutsche Freiheitsgefühl ist ja
zum Glück aufs innigste gepaart mit freiwilliger Unterordnung unter die Staats¬
notwendigkeiten, mit einem Höchstmaß von Staatsgesinnung und Pflichtgefühl.
Wir wollen auch gar keine Demokratie nach französischem oder englischem
Muster -- sie kann uns so wenig imponieren wie dem radikalen schwedischen
Demokraten Gustav F. Steffen, der an ihr die für echte Demokratie und echte
Freiheit nötige Tiefe des Staatsbewußtseins, das Salz des sozialen Pflicht¬
gefühls und der sozialen Organisationskraft vermißt". Den gleichen Gedanken
habe ich in dem Schlußwort zu der Sammelschrift vom inneren Frieden von
neuem umschrieben: "Hinfälliger als je erscheint die Besorgnis, als könne das
Kaisertum und Königtum in deutschen Landen durch eine Politik des Vertrauens,
die etwa die Gewährung neuer Volksrechte und Freiheiten in sich schließt, von
seiner Machtfülle, die Staatsregierung von ihrer Autorität verlieren. Wer
steht denn nicht, daß der monarchische Gedanke seit dem Ausbruch des Krieges


Konservativismus und innerer Frieden

ländischen Getreidehandels — Antrag Kanitz — mit größter Dringlichkeit
forderte. Auch sie mußte sich damals den Vorwurf der tiefen Verbeugung vor
sozialistischen Ideen bis zum Überdruß gefallen lassen. Sicherlich war dieser
Vorwurf sehr unberechtigt. Aber ebenso unberechtigt ist der gleiche Vorwurf
gegenüber der nüchternen Feststellung der Tatsache, daß heute, wo sich nicht
etwa nur die Landwirtschaft in einer Krise gleich der der neunziger Jahre,
sondern unser ganzes staatliches Finanzwesen vor einer großen, in ihrem Aus¬
maß noch gar nicht abzusehenden Krise befindet und die Grundlagen unseres
materiellen Daseins auf das ernsteste erschüttert sind, die zu ergreifenden Ma߬
regeln nicht vor dem Schall des Wortes Sozialismus Halt machen können.
Lalu8 publica 8uprema lex esto! Sind wir im Kriege nicht vor dem sozia¬
listischen Staat zurückgeschreckt, haben wir vielmehr in ihm wohl oder übel
unser Heil suchen müssen, so werden wir auch im Frieden, der noch lange,
lange die schweren Spuren des Krieges tragen wird, wenn das Wohl des Vater¬
landes, das über allen Prinzipien steht, es verlangt, nicht allzu heilet sein dürfen.

Mir scheint, man kann überhaupt ein guter Konservativer sein, ohne die
Furcht vor demokratischen oder sozialistischen Ideen, die einem Metternich
anstehen mochte, noch zu teilen. Ich habe schon in meinem Schlußwort zu der
„Arbeiterschaft im neuen Deutschland" ausgeführt: „Heute, wo es klar zu Tage
tritt, daß unsere gewaltigen Erfolge zum guten Teil gerade auf den demo¬
kratischen Einrichtungen beruhen, mit denen unser Staat durchsetzt ist, auf dem
demokratischen Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht, auf unserer Volksschule,
auf unserer sozialen Gesetzgebung, des freien Wahlrechts gar nicht zu gedenken,
das uns einen auch den allerhöchsten nationalen Anforderungen in entscheidender
Stunde gewachsenen Reichstag beschert hat, heute muß das Wort von den
demokratischen Prinzipien seinen Schrecken auch für den konservativsten Politiker
verloren haben .... Daß bei uns eine Demokratie je zu einer Herrschaft
der Gasse entarten könne, wie wir sie schaudernd in den romanischen Ländern
erlebt haben, braucht niemand zu fürchten; das deutsche Freiheitsgefühl ist ja
zum Glück aufs innigste gepaart mit freiwilliger Unterordnung unter die Staats¬
notwendigkeiten, mit einem Höchstmaß von Staatsgesinnung und Pflichtgefühl.
Wir wollen auch gar keine Demokratie nach französischem oder englischem
Muster — sie kann uns so wenig imponieren wie dem radikalen schwedischen
Demokraten Gustav F. Steffen, der an ihr die für echte Demokratie und echte
Freiheit nötige Tiefe des Staatsbewußtseins, das Salz des sozialen Pflicht¬
gefühls und der sozialen Organisationskraft vermißt". Den gleichen Gedanken
habe ich in dem Schlußwort zu der Sammelschrift vom inneren Frieden von
neuem umschrieben: „Hinfälliger als je erscheint die Besorgnis, als könne das
Kaisertum und Königtum in deutschen Landen durch eine Politik des Vertrauens,
die etwa die Gewährung neuer Volksrechte und Freiheiten in sich schließt, von
seiner Machtfülle, die Staatsregierung von ihrer Autorität verlieren. Wer
steht denn nicht, daß der monarchische Gedanke seit dem Ausbruch des Krieges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/240>, abgerufen am 17.06.2024.