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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

im ganzen Volke und selbst in den Schichten, die ihm lange hindurch entfremdet
waren, eine gewaltige Stärkung erfahren hat? Daß die Überzeugung von der
Notwendigkeit einer kraftvollen und nötigenfalls mit rücksichtsloser Energie
durchgreifenden Staatsautoritüt von Tag zu Tage mehr die weitesten Kreise
ergreift? Daß StaatSgesinnung und Staatsbejahung Gemeingut des ganzen
Volkes geworden sind? Wer kann verkennen, daß das deutsche Volk sich
innerlich mehr und mehr von den Schlacken jener westmächtlichen Auffassung
von Volkssouveränität und Demokratie befreit, immer reiner seine eigene Idee
von der Freiheit herausarbeitet, die auf der freien und selbstgewollten Hingabe
der in sich ruhenden sittlichen Persönlichkeit in Pflicht und Gehorsam, in
Disziplin und Organisation beruht?"

In der Tat, mir scheint eine pessimistische Auffassung unserer inner¬
politischen Verhältnisse angesichts des gewaltigen seelischen Aufschwungs, den
unser deutsches Volk in und durch den Krieg genommen hat, weniger wie je
begründet zu sein. Mag dieser seelische Aufschwung, der doch auch eine Hin¬
wendung eines großen Teiles unseres Volkes zu den "ewigen Wahrheiten" im
Sinne der neuerlichen Auslassungen der Kreuzzeitung in sich schließt, in der
langen Dauer des harten Krieges zurückgegangen sein, geblieben ist doch der
feste und unerschütterte Entschluß des ganzen Volkes zum Durchhalten und
Zum Sieg, geblieben die allgemeine Hinwendung zum nationalen deutschen
Gedanken im weltpolitischen Sinn. Wie unser Kaiser es eben erst wieder
ausgesprochen hat: "Das deutsche Volk weiß, daß es um sein Dasein geht.
Es kennt seine Kraft und vertraut auf Gottes Hilfe. Darum kann nichts seine
Entschlossenheit und Ausdauer erschüttern". Das gilt ganz gewiß auch von
der überwältigenden Mehrheit unserer Arbeiterschaft, die an Entschlossenheit,
Opferfreudigreit, und, auch heute darf es noch gesagt werden, an Staats--
gestnnung hinter keiner anderen Klasse zurücksteht. Ich verkenne keineswegs
das von Professor Wittschewsky ausgesprochene Bedenken, daß "innerhalb der
Sozialdemokratie ein starrer Radikalismus von unbekannter Stärke nach wie
vor sein Wesen treibt". Aber dieser Radikalismus zeigt doch in sich eine
solche völlige Zerfahrenheit und Zerrüttung, daß er schwerlich aus sich heraus
etwas Besorgniserregendes oder gar Furchtgebietendes werden kann. Daß ihm
gegenüber die besonnenen Elemente der sozialdemokratischen Bewegung, die nach
">le vor fest zu der Parole des 4. August stehen, die Oberhand behalten werden,
dafür bürgen vor allem die freien Gewerkschaften, die in ihrem festen Gefüge
und mit ihren ungeheuren Machtmitteln innerhalb der Partei ausschlaggebend
sind und bleiben werden. Die freien Gewerkschaften aber haben es seit dem
Kriegsausbruch tausendfältig bewiesen, daß der Staat ihnen ein weitgehendes
Vertrauen schenken darf und muß. Und, wenn noch in der Sammeischrist vom
inneren Frieden Otto von Dewitz den einschränkenden Satz ausgesprochen hat,
es scheine ihm für den inneren Frieden nach dem Kriege klar vor Augen zu
liegen, daß die hocherfreuliche Bewegung der freien Gewerkschaften politisch nur


Konservativismus und innerer Frieden

im ganzen Volke und selbst in den Schichten, die ihm lange hindurch entfremdet
waren, eine gewaltige Stärkung erfahren hat? Daß die Überzeugung von der
Notwendigkeit einer kraftvollen und nötigenfalls mit rücksichtsloser Energie
durchgreifenden Staatsautoritüt von Tag zu Tage mehr die weitesten Kreise
ergreift? Daß StaatSgesinnung und Staatsbejahung Gemeingut des ganzen
Volkes geworden sind? Wer kann verkennen, daß das deutsche Volk sich
innerlich mehr und mehr von den Schlacken jener westmächtlichen Auffassung
von Volkssouveränität und Demokratie befreit, immer reiner seine eigene Idee
von der Freiheit herausarbeitet, die auf der freien und selbstgewollten Hingabe
der in sich ruhenden sittlichen Persönlichkeit in Pflicht und Gehorsam, in
Disziplin und Organisation beruht?"

In der Tat, mir scheint eine pessimistische Auffassung unserer inner¬
politischen Verhältnisse angesichts des gewaltigen seelischen Aufschwungs, den
unser deutsches Volk in und durch den Krieg genommen hat, weniger wie je
begründet zu sein. Mag dieser seelische Aufschwung, der doch auch eine Hin¬
wendung eines großen Teiles unseres Volkes zu den „ewigen Wahrheiten" im
Sinne der neuerlichen Auslassungen der Kreuzzeitung in sich schließt, in der
langen Dauer des harten Krieges zurückgegangen sein, geblieben ist doch der
feste und unerschütterte Entschluß des ganzen Volkes zum Durchhalten und
Zum Sieg, geblieben die allgemeine Hinwendung zum nationalen deutschen
Gedanken im weltpolitischen Sinn. Wie unser Kaiser es eben erst wieder
ausgesprochen hat: „Das deutsche Volk weiß, daß es um sein Dasein geht.
Es kennt seine Kraft und vertraut auf Gottes Hilfe. Darum kann nichts seine
Entschlossenheit und Ausdauer erschüttern". Das gilt ganz gewiß auch von
der überwältigenden Mehrheit unserer Arbeiterschaft, die an Entschlossenheit,
Opferfreudigreit, und, auch heute darf es noch gesagt werden, an Staats--
gestnnung hinter keiner anderen Klasse zurücksteht. Ich verkenne keineswegs
das von Professor Wittschewsky ausgesprochene Bedenken, daß „innerhalb der
Sozialdemokratie ein starrer Radikalismus von unbekannter Stärke nach wie
vor sein Wesen treibt". Aber dieser Radikalismus zeigt doch in sich eine
solche völlige Zerfahrenheit und Zerrüttung, daß er schwerlich aus sich heraus
etwas Besorgniserregendes oder gar Furchtgebietendes werden kann. Daß ihm
gegenüber die besonnenen Elemente der sozialdemokratischen Bewegung, die nach
">le vor fest zu der Parole des 4. August stehen, die Oberhand behalten werden,
dafür bürgen vor allem die freien Gewerkschaften, die in ihrem festen Gefüge
und mit ihren ungeheuren Machtmitteln innerhalb der Partei ausschlaggebend
sind und bleiben werden. Die freien Gewerkschaften aber haben es seit dem
Kriegsausbruch tausendfältig bewiesen, daß der Staat ihnen ein weitgehendes
Vertrauen schenken darf und muß. Und, wenn noch in der Sammeischrist vom
inneren Frieden Otto von Dewitz den einschränkenden Satz ausgesprochen hat,
es scheine ihm für den inneren Frieden nach dem Kriege klar vor Augen zu
liegen, daß die hocherfreuliche Bewegung der freien Gewerkschaften politisch nur


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[0241] Konservativismus und innerer Frieden im ganzen Volke und selbst in den Schichten, die ihm lange hindurch entfremdet waren, eine gewaltige Stärkung erfahren hat? Daß die Überzeugung von der Notwendigkeit einer kraftvollen und nötigenfalls mit rücksichtsloser Energie durchgreifenden Staatsautoritüt von Tag zu Tage mehr die weitesten Kreise ergreift? Daß StaatSgesinnung und Staatsbejahung Gemeingut des ganzen Volkes geworden sind? Wer kann verkennen, daß das deutsche Volk sich innerlich mehr und mehr von den Schlacken jener westmächtlichen Auffassung von Volkssouveränität und Demokratie befreit, immer reiner seine eigene Idee von der Freiheit herausarbeitet, die auf der freien und selbstgewollten Hingabe der in sich ruhenden sittlichen Persönlichkeit in Pflicht und Gehorsam, in Disziplin und Organisation beruht?" In der Tat, mir scheint eine pessimistische Auffassung unserer inner¬ politischen Verhältnisse angesichts des gewaltigen seelischen Aufschwungs, den unser deutsches Volk in und durch den Krieg genommen hat, weniger wie je begründet zu sein. Mag dieser seelische Aufschwung, der doch auch eine Hin¬ wendung eines großen Teiles unseres Volkes zu den „ewigen Wahrheiten" im Sinne der neuerlichen Auslassungen der Kreuzzeitung in sich schließt, in der langen Dauer des harten Krieges zurückgegangen sein, geblieben ist doch der feste und unerschütterte Entschluß des ganzen Volkes zum Durchhalten und Zum Sieg, geblieben die allgemeine Hinwendung zum nationalen deutschen Gedanken im weltpolitischen Sinn. Wie unser Kaiser es eben erst wieder ausgesprochen hat: „Das deutsche Volk weiß, daß es um sein Dasein geht. Es kennt seine Kraft und vertraut auf Gottes Hilfe. Darum kann nichts seine Entschlossenheit und Ausdauer erschüttern". Das gilt ganz gewiß auch von der überwältigenden Mehrheit unserer Arbeiterschaft, die an Entschlossenheit, Opferfreudigreit, und, auch heute darf es noch gesagt werden, an Staats-- gestnnung hinter keiner anderen Klasse zurücksteht. Ich verkenne keineswegs das von Professor Wittschewsky ausgesprochene Bedenken, daß „innerhalb der Sozialdemokratie ein starrer Radikalismus von unbekannter Stärke nach wie vor sein Wesen treibt". Aber dieser Radikalismus zeigt doch in sich eine solche völlige Zerfahrenheit und Zerrüttung, daß er schwerlich aus sich heraus etwas Besorgniserregendes oder gar Furchtgebietendes werden kann. Daß ihm gegenüber die besonnenen Elemente der sozialdemokratischen Bewegung, die nach ">le vor fest zu der Parole des 4. August stehen, die Oberhand behalten werden, dafür bürgen vor allem die freien Gewerkschaften, die in ihrem festen Gefüge und mit ihren ungeheuren Machtmitteln innerhalb der Partei ausschlaggebend sind und bleiben werden. Die freien Gewerkschaften aber haben es seit dem Kriegsausbruch tausendfältig bewiesen, daß der Staat ihnen ein weitgehendes Vertrauen schenken darf und muß. Und, wenn noch in der Sammeischrist vom inneren Frieden Otto von Dewitz den einschränkenden Satz ausgesprochen hat, es scheine ihm für den inneren Frieden nach dem Kriege klar vor Augen zu liegen, daß die hocherfreuliche Bewegung der freien Gewerkschaften politisch nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/241>, abgerufen am 17.06.2024.