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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

eine Knospe war, die nicht zur Blüte gelangen würde, wenn dem ersten Schritt
nicht ein zweiter folge, mit dem sie sich voll und ganz in das Gefüge des
Staates einordnen, so ist ein solcher zweiter Schritt inzwischen schon erfolgt!
Bestand nicht der hauptsächliche Streitpunkt zwischen der staatlichen Autorität
und den freien Gewerkschaften darin, daß diese auch für die Staatsarbeiter,
insbesondere für die Eisenbahner, das Streikrecht in Anspruch nahmen? Nun
hat die Generalkommission der Gewerkschaften selbst die Hand dazu geboten,
diesen Streitpunkt aus der Welt zu schaffen! Am 1. Juli ist unter der tätigen
Mitwirkung der Generalkommisston der "Deutsche Eisenbahner^Verband" ins
Leben getreten, in dessen Satzungen den besonderen Pflichten der staatlichen
Verkehrsanstalten Rechnung getragen ist, vor allem auch in dem entscheidenden
Punkte, daß der Streik nicht als Kampfmittel zugelassen ist. Die gewerk¬
schaftlichen Zentralverbände sind soweit gegangen, diejenigen ihrer Mitglieder,
die seit dem Ausbruche des Krieges in den Dienst der Staatseisenbahnen
eingestellt waren -- es handelt sich um viele Tausende -- aus ihren Reihen
zu entlassen und ihnen den Übertritt zu dem neuen Eisenbahner-Verband zu
empfehlen. Dieser Vorgang, der bisher von der Presse fast gar nicht beachtet
worden ist, ist von einer gar nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung. Er
stellt gleichsam die Krönung des staatstreuen Verhaltens der Gewerkschaften dar.
Zugleich zeigt er an einem klassischen Beispiele, wie sehr Vertrauen mit
Vertrauen lohnet. Einen rascheren und schöneren Lohn konnte das Entgegen¬
kommen, das die Reichsleitung den Gewerkschaften in der Vereinsgesetznovelle
vom 26. Juni gezeigt hat, gar nicht finden, als durch die Selbstüberwindung,
mit der die Gewerkschaften nunmehr die aus der besonderen Natur der staat¬
lichen Verkehrsanstalten entspringenden Notwendigkeiten anerkannten. Das
sollte auch denjenigen unserer Parteien zu denken geben, die aus lauter Bedenken
heraus (denen gewiß nicht jeder Grund abgesprochen werden soll) sich bisher
nicht dazu aufzuschwingen vermochten, der Regierung auf dem Wege des
Vertrauens zu folgen. Es kann doch kaum einem Zweifel unterliegen, daß je
enger das Verhältnis zwischen Staat und Gewerkschaften geknüpft wird, je mehr
die Arbeiterschaft weiterhin an dem Staat durch Rechte und positive Mitarbeit
interessiert wird, je stärker schließlich die staatssozialistische Tendenz unseres
Staates wird, desto mehr auch der Radikalismus der Arbeiterschaft abnehmen
wird. Man versteht ja, daß die konservative Partei, die eine ihrer Haupt¬
aufgaben in der Festhaltung bewährter Grundlagen sieht, eine solche Entwicklung
nicht im voraus eskomptieren will, und darum in ihrer Stellungnahme zu
sozialpolitischen und Wahlrechtsfragen (über die weiter unten zu reden sein
wird) noch zurückhält. Aber diese Zurückhaltung sollte doch nicht soweit gehen,
daß sie, wie es neuerdings den Anschein gewinnen wollte, als Nachzügler
hinter den übrigen Parteien zurückbleibt.

Selbstverständlich wollen die beiden von mir herausgegebenen Sammel-
schristen, indem sie das gegenseitige Verstehen und Vertrauen einmal zwischen


Konservativismus und innerer Frieden

eine Knospe war, die nicht zur Blüte gelangen würde, wenn dem ersten Schritt
nicht ein zweiter folge, mit dem sie sich voll und ganz in das Gefüge des
Staates einordnen, so ist ein solcher zweiter Schritt inzwischen schon erfolgt!
Bestand nicht der hauptsächliche Streitpunkt zwischen der staatlichen Autorität
und den freien Gewerkschaften darin, daß diese auch für die Staatsarbeiter,
insbesondere für die Eisenbahner, das Streikrecht in Anspruch nahmen? Nun
hat die Generalkommission der Gewerkschaften selbst die Hand dazu geboten,
diesen Streitpunkt aus der Welt zu schaffen! Am 1. Juli ist unter der tätigen
Mitwirkung der Generalkommisston der „Deutsche Eisenbahner^Verband" ins
Leben getreten, in dessen Satzungen den besonderen Pflichten der staatlichen
Verkehrsanstalten Rechnung getragen ist, vor allem auch in dem entscheidenden
Punkte, daß der Streik nicht als Kampfmittel zugelassen ist. Die gewerk¬
schaftlichen Zentralverbände sind soweit gegangen, diejenigen ihrer Mitglieder,
die seit dem Ausbruche des Krieges in den Dienst der Staatseisenbahnen
eingestellt waren — es handelt sich um viele Tausende — aus ihren Reihen
zu entlassen und ihnen den Übertritt zu dem neuen Eisenbahner-Verband zu
empfehlen. Dieser Vorgang, der bisher von der Presse fast gar nicht beachtet
worden ist, ist von einer gar nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung. Er
stellt gleichsam die Krönung des staatstreuen Verhaltens der Gewerkschaften dar.
Zugleich zeigt er an einem klassischen Beispiele, wie sehr Vertrauen mit
Vertrauen lohnet. Einen rascheren und schöneren Lohn konnte das Entgegen¬
kommen, das die Reichsleitung den Gewerkschaften in der Vereinsgesetznovelle
vom 26. Juni gezeigt hat, gar nicht finden, als durch die Selbstüberwindung,
mit der die Gewerkschaften nunmehr die aus der besonderen Natur der staat¬
lichen Verkehrsanstalten entspringenden Notwendigkeiten anerkannten. Das
sollte auch denjenigen unserer Parteien zu denken geben, die aus lauter Bedenken
heraus (denen gewiß nicht jeder Grund abgesprochen werden soll) sich bisher
nicht dazu aufzuschwingen vermochten, der Regierung auf dem Wege des
Vertrauens zu folgen. Es kann doch kaum einem Zweifel unterliegen, daß je
enger das Verhältnis zwischen Staat und Gewerkschaften geknüpft wird, je mehr
die Arbeiterschaft weiterhin an dem Staat durch Rechte und positive Mitarbeit
interessiert wird, je stärker schließlich die staatssozialistische Tendenz unseres
Staates wird, desto mehr auch der Radikalismus der Arbeiterschaft abnehmen
wird. Man versteht ja, daß die konservative Partei, die eine ihrer Haupt¬
aufgaben in der Festhaltung bewährter Grundlagen sieht, eine solche Entwicklung
nicht im voraus eskomptieren will, und darum in ihrer Stellungnahme zu
sozialpolitischen und Wahlrechtsfragen (über die weiter unten zu reden sein
wird) noch zurückhält. Aber diese Zurückhaltung sollte doch nicht soweit gehen,
daß sie, wie es neuerdings den Anschein gewinnen wollte, als Nachzügler
hinter den übrigen Parteien zurückbleibt.

Selbstverständlich wollen die beiden von mir herausgegebenen Sammel-
schristen, indem sie das gegenseitige Verstehen und Vertrauen einmal zwischen


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[0242] Konservativismus und innerer Frieden eine Knospe war, die nicht zur Blüte gelangen würde, wenn dem ersten Schritt nicht ein zweiter folge, mit dem sie sich voll und ganz in das Gefüge des Staates einordnen, so ist ein solcher zweiter Schritt inzwischen schon erfolgt! Bestand nicht der hauptsächliche Streitpunkt zwischen der staatlichen Autorität und den freien Gewerkschaften darin, daß diese auch für die Staatsarbeiter, insbesondere für die Eisenbahner, das Streikrecht in Anspruch nahmen? Nun hat die Generalkommission der Gewerkschaften selbst die Hand dazu geboten, diesen Streitpunkt aus der Welt zu schaffen! Am 1. Juli ist unter der tätigen Mitwirkung der Generalkommisston der „Deutsche Eisenbahner^Verband" ins Leben getreten, in dessen Satzungen den besonderen Pflichten der staatlichen Verkehrsanstalten Rechnung getragen ist, vor allem auch in dem entscheidenden Punkte, daß der Streik nicht als Kampfmittel zugelassen ist. Die gewerk¬ schaftlichen Zentralverbände sind soweit gegangen, diejenigen ihrer Mitglieder, die seit dem Ausbruche des Krieges in den Dienst der Staatseisenbahnen eingestellt waren — es handelt sich um viele Tausende — aus ihren Reihen zu entlassen und ihnen den Übertritt zu dem neuen Eisenbahner-Verband zu empfehlen. Dieser Vorgang, der bisher von der Presse fast gar nicht beachtet worden ist, ist von einer gar nicht hoch genug einzuschätzenden Bedeutung. Er stellt gleichsam die Krönung des staatstreuen Verhaltens der Gewerkschaften dar. Zugleich zeigt er an einem klassischen Beispiele, wie sehr Vertrauen mit Vertrauen lohnet. Einen rascheren und schöneren Lohn konnte das Entgegen¬ kommen, das die Reichsleitung den Gewerkschaften in der Vereinsgesetznovelle vom 26. Juni gezeigt hat, gar nicht finden, als durch die Selbstüberwindung, mit der die Gewerkschaften nunmehr die aus der besonderen Natur der staat¬ lichen Verkehrsanstalten entspringenden Notwendigkeiten anerkannten. Das sollte auch denjenigen unserer Parteien zu denken geben, die aus lauter Bedenken heraus (denen gewiß nicht jeder Grund abgesprochen werden soll) sich bisher nicht dazu aufzuschwingen vermochten, der Regierung auf dem Wege des Vertrauens zu folgen. Es kann doch kaum einem Zweifel unterliegen, daß je enger das Verhältnis zwischen Staat und Gewerkschaften geknüpft wird, je mehr die Arbeiterschaft weiterhin an dem Staat durch Rechte und positive Mitarbeit interessiert wird, je stärker schließlich die staatssozialistische Tendenz unseres Staates wird, desto mehr auch der Radikalismus der Arbeiterschaft abnehmen wird. Man versteht ja, daß die konservative Partei, die eine ihrer Haupt¬ aufgaben in der Festhaltung bewährter Grundlagen sieht, eine solche Entwicklung nicht im voraus eskomptieren will, und darum in ihrer Stellungnahme zu sozialpolitischen und Wahlrechtsfragen (über die weiter unten zu reden sein wird) noch zurückhält. Aber diese Zurückhaltung sollte doch nicht soweit gehen, daß sie, wie es neuerdings den Anschein gewinnen wollte, als Nachzügler hinter den übrigen Parteien zurückbleibt. Selbstverständlich wollen die beiden von mir herausgegebenen Sammel- schristen, indem sie das gegenseitige Verstehen und Vertrauen einmal zwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/242>, abgerufen am 17.06.2024.