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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

Bürgertum und sozialdemokratischer Arbeiterschaft, dann überhaupt zwischen
allen einander gegenüberstehenden Gruppen, Richtungen und Parteien als den
Weg, der zum inneren Frieden führt, hinstellen, nicht blinder Vertrauensseligkeit
und einem vagen Optimismus das Wort reden. Ärger kann man die "Propa¬
gandisten des inneren Friedens", wie Professor Wittschewsky mich und meine
Mitarbeiter tituliert, nicht mißverstehen, als wenn man unser Streben als
"sentimentale Friedenslyrik" auslegt. In der Mehrzahl der Artikel, namentlich
des Buches vom inneren Frieden, herrscht vielmehr ein durchaus nüchterner und
realpolitischer Geist vor, der weit entfernt ist, sich einzubilden, daß die mensch¬
liche Natur sich umkneten lasse, und daß die sozialen Spannungen, die kon¬
fessionellen Reibungen und die politischen Kämpfe jemals aufhören werden,
der aber alle diese Kämpfe um der höchsten nationalen Geschlossenheit und
Entschlossenheit willen, die weit über den Krieg hinaus das erste Gebot der
Stunde bleibt, auf das rein Sachliche und auf das schlechthin Unvermeidliche
reduzieren will. Mit voller Deutlichkeit ist das auch in der Vorrede ausgesprochen:
"Selbstverständlich sucht keiner von den Mitarbeitern das Heil in einem Fort¬
fall der Spannungen und Gegensätze überhaupt, der unmöglich ist und bleibt.
Alle sind sich dessen wohl bewußt, daß die geistige Kraft eines Volkes zu ihrer
vollen Entfaltung der Verschiedenheit, ja der Gegensätze wetteifernder Gruppen,
Parteien und Glaubensgemeinschaften bedarf. Es ist auch nicht auf ein schwäch¬
liches Kompromiß, aus einen faulen Frieden zwischen den verschiedenen Richtungen
abgesehen; nein, die ehrliche, klare und tapfere Auseinandersetzung, der erhebende
Kampf der Geister darf und soll sein Recht behalten. Aber eben auf dem
Wege eines sachlichen, nüchternen, sich von jeder Überschwänglichkeit der Illusionen
freihaltenden Erörterung soll den Gegensätzen das zersetzende Gift genommen
werden, das sie erst in Unfrieden und persönliche Bitterkeit wandelt." Im
Grunde will oder möchte ja auch Herr Professor Wittschewsky dasselbe; sagt
er doch selbst: "Die Gedanken sollten dem Ziele zustreben, aufreizende Gehässig¬
keiten aus den Parteikämpfen fernzuhalten und die schroffen Spannungen
zwischen den gegnerischen Lagern zu mildern." Die große Frage ist nur die:
besteht die Möglichkeit, ein solches Ziel, mit anderen Worten den inneren
Frieden zu erreichen, und welches ist der Weg, der dahin führt?

Professor Wittschewsky denkt offenbar außerordentlich skeptisch über diese
Fragen. Er sieht die einzige Möglichkeit einer inneren Erneuerung, einer Aus¬
merzung des nationalen Schwächezustandes darin, daß ein überragender Wille
die auseinandertretenden Auffassungen auf bestimmte große nationale Gesichts¬
punkte zu einigen vermöge. Nur von einem klugen, weitblickenden und über¬
legenen Staatsmanne erhofft er ein "Programm der Programme", auf das
sich die große Mehrheit des deutschen Volkes einigen könne. Und da er einen
solchen Staatsmann nirgends erblickt, so bleibt ihm zum Schluß nur die ganz
in der Luft schwebende Aussicht: "Ist der Friedensgeift noch nicht vorhanden,
so wiro er hoffentlich mit dem Geläut der Friedensglocken einziehen".


Konservativismus und innerer Frieden

Bürgertum und sozialdemokratischer Arbeiterschaft, dann überhaupt zwischen
allen einander gegenüberstehenden Gruppen, Richtungen und Parteien als den
Weg, der zum inneren Frieden führt, hinstellen, nicht blinder Vertrauensseligkeit
und einem vagen Optimismus das Wort reden. Ärger kann man die „Propa¬
gandisten des inneren Friedens", wie Professor Wittschewsky mich und meine
Mitarbeiter tituliert, nicht mißverstehen, als wenn man unser Streben als
„sentimentale Friedenslyrik" auslegt. In der Mehrzahl der Artikel, namentlich
des Buches vom inneren Frieden, herrscht vielmehr ein durchaus nüchterner und
realpolitischer Geist vor, der weit entfernt ist, sich einzubilden, daß die mensch¬
liche Natur sich umkneten lasse, und daß die sozialen Spannungen, die kon¬
fessionellen Reibungen und die politischen Kämpfe jemals aufhören werden,
der aber alle diese Kämpfe um der höchsten nationalen Geschlossenheit und
Entschlossenheit willen, die weit über den Krieg hinaus das erste Gebot der
Stunde bleibt, auf das rein Sachliche und auf das schlechthin Unvermeidliche
reduzieren will. Mit voller Deutlichkeit ist das auch in der Vorrede ausgesprochen:
„Selbstverständlich sucht keiner von den Mitarbeitern das Heil in einem Fort¬
fall der Spannungen und Gegensätze überhaupt, der unmöglich ist und bleibt.
Alle sind sich dessen wohl bewußt, daß die geistige Kraft eines Volkes zu ihrer
vollen Entfaltung der Verschiedenheit, ja der Gegensätze wetteifernder Gruppen,
Parteien und Glaubensgemeinschaften bedarf. Es ist auch nicht auf ein schwäch¬
liches Kompromiß, aus einen faulen Frieden zwischen den verschiedenen Richtungen
abgesehen; nein, die ehrliche, klare und tapfere Auseinandersetzung, der erhebende
Kampf der Geister darf und soll sein Recht behalten. Aber eben auf dem
Wege eines sachlichen, nüchternen, sich von jeder Überschwänglichkeit der Illusionen
freihaltenden Erörterung soll den Gegensätzen das zersetzende Gift genommen
werden, das sie erst in Unfrieden und persönliche Bitterkeit wandelt." Im
Grunde will oder möchte ja auch Herr Professor Wittschewsky dasselbe; sagt
er doch selbst: „Die Gedanken sollten dem Ziele zustreben, aufreizende Gehässig¬
keiten aus den Parteikämpfen fernzuhalten und die schroffen Spannungen
zwischen den gegnerischen Lagern zu mildern." Die große Frage ist nur die:
besteht die Möglichkeit, ein solches Ziel, mit anderen Worten den inneren
Frieden zu erreichen, und welches ist der Weg, der dahin führt?

Professor Wittschewsky denkt offenbar außerordentlich skeptisch über diese
Fragen. Er sieht die einzige Möglichkeit einer inneren Erneuerung, einer Aus¬
merzung des nationalen Schwächezustandes darin, daß ein überragender Wille
die auseinandertretenden Auffassungen auf bestimmte große nationale Gesichts¬
punkte zu einigen vermöge. Nur von einem klugen, weitblickenden und über¬
legenen Staatsmanne erhofft er ein „Programm der Programme", auf das
sich die große Mehrheit des deutschen Volkes einigen könne. Und da er einen
solchen Staatsmann nirgends erblickt, so bleibt ihm zum Schluß nur die ganz
in der Luft schwebende Aussicht: „Ist der Friedensgeift noch nicht vorhanden,
so wiro er hoffentlich mit dem Geläut der Friedensglocken einziehen".


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[0243] Konservativismus und innerer Frieden Bürgertum und sozialdemokratischer Arbeiterschaft, dann überhaupt zwischen allen einander gegenüberstehenden Gruppen, Richtungen und Parteien als den Weg, der zum inneren Frieden führt, hinstellen, nicht blinder Vertrauensseligkeit und einem vagen Optimismus das Wort reden. Ärger kann man die „Propa¬ gandisten des inneren Friedens", wie Professor Wittschewsky mich und meine Mitarbeiter tituliert, nicht mißverstehen, als wenn man unser Streben als „sentimentale Friedenslyrik" auslegt. In der Mehrzahl der Artikel, namentlich des Buches vom inneren Frieden, herrscht vielmehr ein durchaus nüchterner und realpolitischer Geist vor, der weit entfernt ist, sich einzubilden, daß die mensch¬ liche Natur sich umkneten lasse, und daß die sozialen Spannungen, die kon¬ fessionellen Reibungen und die politischen Kämpfe jemals aufhören werden, der aber alle diese Kämpfe um der höchsten nationalen Geschlossenheit und Entschlossenheit willen, die weit über den Krieg hinaus das erste Gebot der Stunde bleibt, auf das rein Sachliche und auf das schlechthin Unvermeidliche reduzieren will. Mit voller Deutlichkeit ist das auch in der Vorrede ausgesprochen: „Selbstverständlich sucht keiner von den Mitarbeitern das Heil in einem Fort¬ fall der Spannungen und Gegensätze überhaupt, der unmöglich ist und bleibt. Alle sind sich dessen wohl bewußt, daß die geistige Kraft eines Volkes zu ihrer vollen Entfaltung der Verschiedenheit, ja der Gegensätze wetteifernder Gruppen, Parteien und Glaubensgemeinschaften bedarf. Es ist auch nicht auf ein schwäch¬ liches Kompromiß, aus einen faulen Frieden zwischen den verschiedenen Richtungen abgesehen; nein, die ehrliche, klare und tapfere Auseinandersetzung, der erhebende Kampf der Geister darf und soll sein Recht behalten. Aber eben auf dem Wege eines sachlichen, nüchternen, sich von jeder Überschwänglichkeit der Illusionen freihaltenden Erörterung soll den Gegensätzen das zersetzende Gift genommen werden, das sie erst in Unfrieden und persönliche Bitterkeit wandelt." Im Grunde will oder möchte ja auch Herr Professor Wittschewsky dasselbe; sagt er doch selbst: „Die Gedanken sollten dem Ziele zustreben, aufreizende Gehässig¬ keiten aus den Parteikämpfen fernzuhalten und die schroffen Spannungen zwischen den gegnerischen Lagern zu mildern." Die große Frage ist nur die: besteht die Möglichkeit, ein solches Ziel, mit anderen Worten den inneren Frieden zu erreichen, und welches ist der Weg, der dahin führt? Professor Wittschewsky denkt offenbar außerordentlich skeptisch über diese Fragen. Er sieht die einzige Möglichkeit einer inneren Erneuerung, einer Aus¬ merzung des nationalen Schwächezustandes darin, daß ein überragender Wille die auseinandertretenden Auffassungen auf bestimmte große nationale Gesichts¬ punkte zu einigen vermöge. Nur von einem klugen, weitblickenden und über¬ legenen Staatsmanne erhofft er ein „Programm der Programme", auf das sich die große Mehrheit des deutschen Volkes einigen könne. Und da er einen solchen Staatsmann nirgends erblickt, so bleibt ihm zum Schluß nur die ganz in der Luft schwebende Aussicht: „Ist der Friedensgeift noch nicht vorhanden, so wiro er hoffentlich mit dem Geläut der Friedensglocken einziehen".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/243>, abgerufen am 17.06.2024.