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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

"Durch Kenntnis zum Verständnis unserer Landbevölkerung" schrieb: "Die
deutsche Presse würde sich ein großes Verdienst um den seit längerer Zeit leider
wieder vielfach gestörten Frieden zwischen Stadt und Land und damit um die
Herstellung einer einmütiger Stimmung unseres Volkes auch in wichtigsten
Fragen des Durchhaltens erwerben, wenn sie das beherzigenswerte Mahnwort
des Professors Faßbender dem ganzen deutschen Volke zur Kenntnis brächte".
Und wenn Professor Wittschewskv über die vom konservativen Standpunkt
geschriebenen Aufsätze des Herrn Dietrich von Oertzen und des Herrn Ab¬
geordneten von Dewitz urteilt: für das gegenseitige Verstehen scheine mit den¬
selben wenig getan zu sein, so könnte ich ihm Dutzende von Stimmen aus dem
sozialdemokratischen Lager dafür anführen, wie sehr zumal die arbeiterfreundliche
Haltung des Herrn von Oertzen das gegenseitige Vertrauen zu beleben und zu
stärken geeignet ist. Ich darf es sagen, daß es mir eine ganz besondere Freude
gewesen ist. daß sich eine so durchaus konservativ gesinnte Persönlichkeit wie
Herr von Oertzen mit solcher Kraft und herzgewinnenden Wärme für den
sozialen Staat einsetzte. Es sind fürwahr goldene Worte, wenn Oertzen u. a.
sagt: "In der sozialen Frage bedarf es für die Konservativen nicht fo sehr
einer Neuorientierung als vielmehr eines Rückblicks in die eigene Vergangenheit.
Als die Sozialreform begann, war die konservative Partei die erste begeisterte
Trägerin der christlich-sozialen Gedanken, ,Kreuzzeitung° und .Reichsbote' die
Vorkämpfer. Wenn dann später eine rückläufige Bewegung eintrat, wenn es
zeitweilig den Schein hatte, als wolle die Geburtsaristokratie einer nichts als
kapitalistischen Geldaristokratie Gefolgschaft leisten, so war diese Wandlung
immerhin verständlich, da die Sozialdemokratie die höchsten konservativen
Ideale -- Thron und Altar -- vielfach mit Füßen trat, und alle Reform¬
arbeit nur zu schmähen und zu verkleinern suchte. Gegenwärtig aber, wo das
kriegerische Einstehen des Arbeiterstandes für das Vaterland eine unbestrittene
Tatsache ist, gegenwärtig wo eine ganze Anzahl der vormaligen sozialdemo-
krutischen Parteiideale zertrümmert am Boden liegen -- jetzt sollte die rück¬
läufige Bewegung nicht weiter fortgesetzt werden. Heute gilt mehr als je das
schöne Wort von Rodbertus: "Wenn konservativ die Konservierung des ver-
rottetsten Plunders bedeutet -- nenne er sich nun liberal, oder werde er illiberal
genannt -- so gibt es nichts Antikonservativeres, als die soziale Frage. Wenn
aber konservativ bedeutet die Stärkung monarchischer Staatsgewalt, friedliche
Reformarbeit, Aussöhnung der sozialen Gewalten unter der Ägide und nach
der Norm des strahlenden 8nun cuique -- so gibt es nichts Konservativeres
als die soziale Frage".*)



*) Nicht weniger beachtenswert scheinen folgende Ausführungen des konservativen
Politikers: "Was das große grundsätzliche Ziel der Sozialdemokratie betrifft, die Vergesell¬
schaftung der Produktionsmittel, so kann niemand behaupten, weder daß sie unsittlich, noch
daß sie unmöglich sei. Die Verwirklichung des Gedankens ist durchaus erörterungsfähig.
Der Krieg hat uns die Brotkarte und die Fettkarte gezeigt. Warum sollten nicht zu anderen
Konservativismus und innerer Frieden

„Durch Kenntnis zum Verständnis unserer Landbevölkerung" schrieb: „Die
deutsche Presse würde sich ein großes Verdienst um den seit längerer Zeit leider
wieder vielfach gestörten Frieden zwischen Stadt und Land und damit um die
Herstellung einer einmütiger Stimmung unseres Volkes auch in wichtigsten
Fragen des Durchhaltens erwerben, wenn sie das beherzigenswerte Mahnwort
des Professors Faßbender dem ganzen deutschen Volke zur Kenntnis brächte".
Und wenn Professor Wittschewskv über die vom konservativen Standpunkt
geschriebenen Aufsätze des Herrn Dietrich von Oertzen und des Herrn Ab¬
geordneten von Dewitz urteilt: für das gegenseitige Verstehen scheine mit den¬
selben wenig getan zu sein, so könnte ich ihm Dutzende von Stimmen aus dem
sozialdemokratischen Lager dafür anführen, wie sehr zumal die arbeiterfreundliche
Haltung des Herrn von Oertzen das gegenseitige Vertrauen zu beleben und zu
stärken geeignet ist. Ich darf es sagen, daß es mir eine ganz besondere Freude
gewesen ist. daß sich eine so durchaus konservativ gesinnte Persönlichkeit wie
Herr von Oertzen mit solcher Kraft und herzgewinnenden Wärme für den
sozialen Staat einsetzte. Es sind fürwahr goldene Worte, wenn Oertzen u. a.
sagt: „In der sozialen Frage bedarf es für die Konservativen nicht fo sehr
einer Neuorientierung als vielmehr eines Rückblicks in die eigene Vergangenheit.
Als die Sozialreform begann, war die konservative Partei die erste begeisterte
Trägerin der christlich-sozialen Gedanken, ,Kreuzzeitung° und .Reichsbote' die
Vorkämpfer. Wenn dann später eine rückläufige Bewegung eintrat, wenn es
zeitweilig den Schein hatte, als wolle die Geburtsaristokratie einer nichts als
kapitalistischen Geldaristokratie Gefolgschaft leisten, so war diese Wandlung
immerhin verständlich, da die Sozialdemokratie die höchsten konservativen
Ideale — Thron und Altar — vielfach mit Füßen trat, und alle Reform¬
arbeit nur zu schmähen und zu verkleinern suchte. Gegenwärtig aber, wo das
kriegerische Einstehen des Arbeiterstandes für das Vaterland eine unbestrittene
Tatsache ist, gegenwärtig wo eine ganze Anzahl der vormaligen sozialdemo-
krutischen Parteiideale zertrümmert am Boden liegen — jetzt sollte die rück¬
läufige Bewegung nicht weiter fortgesetzt werden. Heute gilt mehr als je das
schöne Wort von Rodbertus: „Wenn konservativ die Konservierung des ver-
rottetsten Plunders bedeutet — nenne er sich nun liberal, oder werde er illiberal
genannt — so gibt es nichts Antikonservativeres, als die soziale Frage. Wenn
aber konservativ bedeutet die Stärkung monarchischer Staatsgewalt, friedliche
Reformarbeit, Aussöhnung der sozialen Gewalten unter der Ägide und nach
der Norm des strahlenden 8nun cuique — so gibt es nichts Konservativeres
als die soziale Frage".*)



*) Nicht weniger beachtenswert scheinen folgende Ausführungen des konservativen
Politikers: „Was das große grundsätzliche Ziel der Sozialdemokratie betrifft, die Vergesell¬
schaftung der Produktionsmittel, so kann niemand behaupten, weder daß sie unsittlich, noch
daß sie unmöglich sei. Die Verwirklichung des Gedankens ist durchaus erörterungsfähig.
Der Krieg hat uns die Brotkarte und die Fettkarte gezeigt. Warum sollten nicht zu anderen
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[0246] Konservativismus und innerer Frieden „Durch Kenntnis zum Verständnis unserer Landbevölkerung" schrieb: „Die deutsche Presse würde sich ein großes Verdienst um den seit längerer Zeit leider wieder vielfach gestörten Frieden zwischen Stadt und Land und damit um die Herstellung einer einmütiger Stimmung unseres Volkes auch in wichtigsten Fragen des Durchhaltens erwerben, wenn sie das beherzigenswerte Mahnwort des Professors Faßbender dem ganzen deutschen Volke zur Kenntnis brächte". Und wenn Professor Wittschewskv über die vom konservativen Standpunkt geschriebenen Aufsätze des Herrn Dietrich von Oertzen und des Herrn Ab¬ geordneten von Dewitz urteilt: für das gegenseitige Verstehen scheine mit den¬ selben wenig getan zu sein, so könnte ich ihm Dutzende von Stimmen aus dem sozialdemokratischen Lager dafür anführen, wie sehr zumal die arbeiterfreundliche Haltung des Herrn von Oertzen das gegenseitige Vertrauen zu beleben und zu stärken geeignet ist. Ich darf es sagen, daß es mir eine ganz besondere Freude gewesen ist. daß sich eine so durchaus konservativ gesinnte Persönlichkeit wie Herr von Oertzen mit solcher Kraft und herzgewinnenden Wärme für den sozialen Staat einsetzte. Es sind fürwahr goldene Worte, wenn Oertzen u. a. sagt: „In der sozialen Frage bedarf es für die Konservativen nicht fo sehr einer Neuorientierung als vielmehr eines Rückblicks in die eigene Vergangenheit. Als die Sozialreform begann, war die konservative Partei die erste begeisterte Trägerin der christlich-sozialen Gedanken, ,Kreuzzeitung° und .Reichsbote' die Vorkämpfer. Wenn dann später eine rückläufige Bewegung eintrat, wenn es zeitweilig den Schein hatte, als wolle die Geburtsaristokratie einer nichts als kapitalistischen Geldaristokratie Gefolgschaft leisten, so war diese Wandlung immerhin verständlich, da die Sozialdemokratie die höchsten konservativen Ideale — Thron und Altar — vielfach mit Füßen trat, und alle Reform¬ arbeit nur zu schmähen und zu verkleinern suchte. Gegenwärtig aber, wo das kriegerische Einstehen des Arbeiterstandes für das Vaterland eine unbestrittene Tatsache ist, gegenwärtig wo eine ganze Anzahl der vormaligen sozialdemo- krutischen Parteiideale zertrümmert am Boden liegen — jetzt sollte die rück¬ läufige Bewegung nicht weiter fortgesetzt werden. Heute gilt mehr als je das schöne Wort von Rodbertus: „Wenn konservativ die Konservierung des ver- rottetsten Plunders bedeutet — nenne er sich nun liberal, oder werde er illiberal genannt — so gibt es nichts Antikonservativeres, als die soziale Frage. Wenn aber konservativ bedeutet die Stärkung monarchischer Staatsgewalt, friedliche Reformarbeit, Aussöhnung der sozialen Gewalten unter der Ägide und nach der Norm des strahlenden 8nun cuique — so gibt es nichts Konservativeres als die soziale Frage".*) *) Nicht weniger beachtenswert scheinen folgende Ausführungen des konservativen Politikers: „Was das große grundsätzliche Ziel der Sozialdemokratie betrifft, die Vergesell¬ schaftung der Produktionsmittel, so kann niemand behaupten, weder daß sie unsittlich, noch daß sie unmöglich sei. Die Verwirklichung des Gedankens ist durchaus erörterungsfähig. Der Krieg hat uns die Brotkarte und die Fettkarte gezeigt. Warum sollten nicht zu anderen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/246>, abgerufen am 17.06.2024.