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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

mögen, leider nur zu geeignet, solche Vorstellungen zu befestigen. Auch das
Eintreten der konservativen Partei für das preußische Wahlrecht muß sie ver¬
stärken. Gewiß hat sich ja Herr von Heydebrand bereit erklärt, daran mit¬
zuarbeiten, "gewisse Schwächen" dieses Wahlrechts auszugleichen und zu ver¬
bessern. Aber derselbe Parteiführer hat auch mit allem Nachdruck betont, daß
die Grundlagen des preußischen Wahlrechts, und dazu gehört doch auch der
Klassencharakter, die einseitige Abstufung des Wahlrechts nach dem Maße des
Einkommens und des Besitzes, gut, ja ausgezeichnet seien. Es könnte -- diese
Auffassung ist mir auch in gut konservativen Kreisen mehrfach entgegengetreten --
wahrhaft verhängnisvoll für die Partei werden, wenn so der plutokratische
Charakter des preußischen Wahlrechts festgehalten würde. Das Herrenhaus-
mttglied Professor Reinke hat doch wohl vollkommen recht, wenn er im "Tag"
' (4. Juli) feststellt: "Für plutokratische Staatsformen ist im Gedankenkreise des
deutschen Volkes fortan kein Raum". Es geht denn auch aus den Äußerungen
zahlreicher Parteiführer von den Freikonservativen bis zu den Linksparteien
hinüber, mit voller Deutlichkeit hervor, daß sie das Wahlrecht dieses seines
plutokratischen Charakters so oder so entkleiden wollen. Würde die konservative
Partei als einzige sich dem widersetzen, so wäre die rettungslose Isolierung ihr
wenig beneidenswertes Los.

Aber, wendet hier Professor Wittschewsky ein, solche Erörterungen sind
unzeitgemäß, sie sind eher dazu angetan, Unfrieden zu säen, als Versöhnungs¬
früchte reifen zu lassen; "ungleich wichtiger ist, daß wir jetzt wahrlich unsere
Interessen nicht an Aufgaben verzetteln, die erst nach Beendigung des Krieges
greifbar in Erscheinung treten werden", vielleicht auch dann noch bei der über¬
wältigenden Fülle der zur Wiederherstellung zerstörter Daseinsbedingungen
erforderlichen Arbeiten minder dringlich erscheinen werden. Das ist derselbe
Vorwurf, der wiederholt von konservativer Seite unter Berufung auf den Burg¬
frieden direkt gegen den Passus der Thronrede erhoben worden ist, der von
der Gestaltung der Grundlagen für die Vertretung des Volkes in den gesetz¬
gebenden Körperschaften spricht. Mir scheint eine solche Auffassung des Burg¬
friedens, die jeden Gegensatz, ,jede Spaltung im deutschen Volke als ein Kräutlein
Rührmichnichtan betrachtet, im Grunde doch wenig weitsichtig zu sein. Wir
sehen es -- dieses Beispiel wird sicher auch von Herrn Professor Wittschewsky
als durchschlagend anerkannt werden -- recht deutlich an der großen Frage der
Friedensziele: gerade weil die Diskusston darüber unterbunden ist und immer
noch bleibt, frißt sich der Zwiespalt zwischen den gegensätzlichen Auffassungen
immer tiefer ein. Kühner und aussichtsvoller ist jedenfalls das in dem Buch
vom inneren Frieden eingeschlagene Verfahren, die nun einmal vorhandenen
Gegensätze scharf ins Auge zu fassen und sich darüber klar zu werden, ob sie
sich bei ganz sachlicher, das Für und Wider aller Parteien sorgsam berück¬
sichtigender Betrachtung und Behandlung nicht mildern, versöhnen und neu¬
tralisieren lassen. Welch ein unendlicher Segen für unsere innerpolitische Zukunft


Konservativismus und innerer Frieden

mögen, leider nur zu geeignet, solche Vorstellungen zu befestigen. Auch das
Eintreten der konservativen Partei für das preußische Wahlrecht muß sie ver¬
stärken. Gewiß hat sich ja Herr von Heydebrand bereit erklärt, daran mit¬
zuarbeiten, „gewisse Schwächen" dieses Wahlrechts auszugleichen und zu ver¬
bessern. Aber derselbe Parteiführer hat auch mit allem Nachdruck betont, daß
die Grundlagen des preußischen Wahlrechts, und dazu gehört doch auch der
Klassencharakter, die einseitige Abstufung des Wahlrechts nach dem Maße des
Einkommens und des Besitzes, gut, ja ausgezeichnet seien. Es könnte — diese
Auffassung ist mir auch in gut konservativen Kreisen mehrfach entgegengetreten —
wahrhaft verhängnisvoll für die Partei werden, wenn so der plutokratische
Charakter des preußischen Wahlrechts festgehalten würde. Das Herrenhaus-
mttglied Professor Reinke hat doch wohl vollkommen recht, wenn er im „Tag"
' (4. Juli) feststellt: „Für plutokratische Staatsformen ist im Gedankenkreise des
deutschen Volkes fortan kein Raum". Es geht denn auch aus den Äußerungen
zahlreicher Parteiführer von den Freikonservativen bis zu den Linksparteien
hinüber, mit voller Deutlichkeit hervor, daß sie das Wahlrecht dieses seines
plutokratischen Charakters so oder so entkleiden wollen. Würde die konservative
Partei als einzige sich dem widersetzen, so wäre die rettungslose Isolierung ihr
wenig beneidenswertes Los.

Aber, wendet hier Professor Wittschewsky ein, solche Erörterungen sind
unzeitgemäß, sie sind eher dazu angetan, Unfrieden zu säen, als Versöhnungs¬
früchte reifen zu lassen; „ungleich wichtiger ist, daß wir jetzt wahrlich unsere
Interessen nicht an Aufgaben verzetteln, die erst nach Beendigung des Krieges
greifbar in Erscheinung treten werden", vielleicht auch dann noch bei der über¬
wältigenden Fülle der zur Wiederherstellung zerstörter Daseinsbedingungen
erforderlichen Arbeiten minder dringlich erscheinen werden. Das ist derselbe
Vorwurf, der wiederholt von konservativer Seite unter Berufung auf den Burg¬
frieden direkt gegen den Passus der Thronrede erhoben worden ist, der von
der Gestaltung der Grundlagen für die Vertretung des Volkes in den gesetz¬
gebenden Körperschaften spricht. Mir scheint eine solche Auffassung des Burg¬
friedens, die jeden Gegensatz, ,jede Spaltung im deutschen Volke als ein Kräutlein
Rührmichnichtan betrachtet, im Grunde doch wenig weitsichtig zu sein. Wir
sehen es — dieses Beispiel wird sicher auch von Herrn Professor Wittschewsky
als durchschlagend anerkannt werden — recht deutlich an der großen Frage der
Friedensziele: gerade weil die Diskusston darüber unterbunden ist und immer
noch bleibt, frißt sich der Zwiespalt zwischen den gegensätzlichen Auffassungen
immer tiefer ein. Kühner und aussichtsvoller ist jedenfalls das in dem Buch
vom inneren Frieden eingeschlagene Verfahren, die nun einmal vorhandenen
Gegensätze scharf ins Auge zu fassen und sich darüber klar zu werden, ob sie
sich bei ganz sachlicher, das Für und Wider aller Parteien sorgsam berück¬
sichtigender Betrachtung und Behandlung nicht mildern, versöhnen und neu¬
tralisieren lassen. Welch ein unendlicher Segen für unsere innerpolitische Zukunft


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[0248] Konservativismus und innerer Frieden mögen, leider nur zu geeignet, solche Vorstellungen zu befestigen. Auch das Eintreten der konservativen Partei für das preußische Wahlrecht muß sie ver¬ stärken. Gewiß hat sich ja Herr von Heydebrand bereit erklärt, daran mit¬ zuarbeiten, „gewisse Schwächen" dieses Wahlrechts auszugleichen und zu ver¬ bessern. Aber derselbe Parteiführer hat auch mit allem Nachdruck betont, daß die Grundlagen des preußischen Wahlrechts, und dazu gehört doch auch der Klassencharakter, die einseitige Abstufung des Wahlrechts nach dem Maße des Einkommens und des Besitzes, gut, ja ausgezeichnet seien. Es könnte — diese Auffassung ist mir auch in gut konservativen Kreisen mehrfach entgegengetreten — wahrhaft verhängnisvoll für die Partei werden, wenn so der plutokratische Charakter des preußischen Wahlrechts festgehalten würde. Das Herrenhaus- mttglied Professor Reinke hat doch wohl vollkommen recht, wenn er im „Tag" ' (4. Juli) feststellt: „Für plutokratische Staatsformen ist im Gedankenkreise des deutschen Volkes fortan kein Raum". Es geht denn auch aus den Äußerungen zahlreicher Parteiführer von den Freikonservativen bis zu den Linksparteien hinüber, mit voller Deutlichkeit hervor, daß sie das Wahlrecht dieses seines plutokratischen Charakters so oder so entkleiden wollen. Würde die konservative Partei als einzige sich dem widersetzen, so wäre die rettungslose Isolierung ihr wenig beneidenswertes Los. Aber, wendet hier Professor Wittschewsky ein, solche Erörterungen sind unzeitgemäß, sie sind eher dazu angetan, Unfrieden zu säen, als Versöhnungs¬ früchte reifen zu lassen; „ungleich wichtiger ist, daß wir jetzt wahrlich unsere Interessen nicht an Aufgaben verzetteln, die erst nach Beendigung des Krieges greifbar in Erscheinung treten werden", vielleicht auch dann noch bei der über¬ wältigenden Fülle der zur Wiederherstellung zerstörter Daseinsbedingungen erforderlichen Arbeiten minder dringlich erscheinen werden. Das ist derselbe Vorwurf, der wiederholt von konservativer Seite unter Berufung auf den Burg¬ frieden direkt gegen den Passus der Thronrede erhoben worden ist, der von der Gestaltung der Grundlagen für die Vertretung des Volkes in den gesetz¬ gebenden Körperschaften spricht. Mir scheint eine solche Auffassung des Burg¬ friedens, die jeden Gegensatz, ,jede Spaltung im deutschen Volke als ein Kräutlein Rührmichnichtan betrachtet, im Grunde doch wenig weitsichtig zu sein. Wir sehen es — dieses Beispiel wird sicher auch von Herrn Professor Wittschewsky als durchschlagend anerkannt werden — recht deutlich an der großen Frage der Friedensziele: gerade weil die Diskusston darüber unterbunden ist und immer noch bleibt, frißt sich der Zwiespalt zwischen den gegensätzlichen Auffassungen immer tiefer ein. Kühner und aussichtsvoller ist jedenfalls das in dem Buch vom inneren Frieden eingeschlagene Verfahren, die nun einmal vorhandenen Gegensätze scharf ins Auge zu fassen und sich darüber klar zu werden, ob sie sich bei ganz sachlicher, das Für und Wider aller Parteien sorgsam berück¬ sichtigender Betrachtung und Behandlung nicht mildern, versöhnen und neu¬ tralisieren lassen. Welch ein unendlicher Segen für unsere innerpolitische Zukunft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/248>, abgerufen am 17.06.2024.