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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Konservativismus und innerer Frieden

müßte es nicht sein, wenn schon jetzt während des Krieges, ohne daß wir
darum das große Ziel des Sieges über unsere Feinde, das selbstverständlich
allem anderen vorausgeht, irgend aus dem Auge verlieren, eine Verständigung
im Großen zwischen den Parteien beispielsweise über die Frage der Neu¬
orientierung, innerhalb deren ja die Frage der Wahlrechtsreform die akuteste
ist und bleiben wird, erzielt werden könnte. Gerade wenn es richtig wäre,
was Herr von Heydebrand in seiner Rede vom 17. Januar gesagt hat: daß
"wir leider ebenfalls noch davor stehen, daß wenn diese Frage zur materiellen
Beschlußfassung gestellt wird, sie dann leider ohne einen großen ganz erbitterten
Streit der Parteien nicht würde erledigt werden können", gerade dann wäre
es ernsteste patriotische Pflicht, schon jetzt mit allen Kräften eine Verständigung
über dieses dornige Problem anzubahnen, damit hernach, wenn einmal die
Vorlage kommt -- und Herr von Zedlitz hat sicherlich recht: sie wird un¬
mittelbar nach Friedensschluß kommen -- die Zeit nicht mit endlosen General¬
debatten verloren werden muß. Sollte es denn wirklich so schwer sein, bei
allseitigem guten Willen einen Weg zu finden, der, wenn er auch nicht jedem
eine ideale Lösung, so doch annehmbar schiene? Dem konservativen Prinzip
könnte es jedenfalls nicht entgegen sein, wenn man in Verbindung mit einem
geheimen und direkten Wahlrecht eine Abstufung nach der gesamten staatlichen
und sozialen Leistung und Bewährung, anstatt lediglich nach der Steuerleistung
zugrunde legte. Es ließe sich etwa vorschlagen, zu der einem jeden Wähler
über fünfundzwanzig oder auch über einundzwanzig Jahren zustehenden Stimme
noch eine bis fünf Zusatzstimmen an folgende Qualifikationen zu knüpfen:

1. Wer seiner Dienstpflicht im stehenden Heer und in der Landwehr genügt
hat (wobei zu erwägen bliebe, ob nicht allen Kriegsteilnehmern diese
Zusatzstimme als ein Zeichen der unauslöschlichen Dankbarkeit für unsere
Feldgrauen zu verleihen sein möchte).
2. Wer vier lebende eheliche Kinder oder doch zwei Söhne hat. die zum
Militärdienst tauglich befunden sind.
3. Wer zehn Jahre dem Staate unmittelbar oder mittelbar in einem staatlichen,
kommunalen oder gleichwertigen Ehrenamt gedient hat (auch Ärzte, Rechts¬
anwälte usw. ließen sich in diese Kategorie einreihen).
4. Wer zehn Jahre als Arbeitgeber für eine größere Anzahl von Arbeitern
Beiträge zur staatlichen Sozialversicherung geleistet hat (wobei, um der
besonderen Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat Rechnung zu
tragen, die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeiter höher bewertet werden
könnte); oder wer als Arbeiter die doppelte Anzahl von Jahren solche
Beiträge gezahlt hat.
^- Wer zehn Jahre hindurch einen gewissen nicht zu niedrigen Satz an
direkten Staatssteuern beigetragen hat (wobei wiederum, um der besonderen
Bedeutung des Grund und Bodens und vor allem auch des befestigten
Grund und Bodens für den Staat Rechnung zu tragen, die Grund- und

Konservativismus und innerer Frieden

müßte es nicht sein, wenn schon jetzt während des Krieges, ohne daß wir
darum das große Ziel des Sieges über unsere Feinde, das selbstverständlich
allem anderen vorausgeht, irgend aus dem Auge verlieren, eine Verständigung
im Großen zwischen den Parteien beispielsweise über die Frage der Neu¬
orientierung, innerhalb deren ja die Frage der Wahlrechtsreform die akuteste
ist und bleiben wird, erzielt werden könnte. Gerade wenn es richtig wäre,
was Herr von Heydebrand in seiner Rede vom 17. Januar gesagt hat: daß
„wir leider ebenfalls noch davor stehen, daß wenn diese Frage zur materiellen
Beschlußfassung gestellt wird, sie dann leider ohne einen großen ganz erbitterten
Streit der Parteien nicht würde erledigt werden können", gerade dann wäre
es ernsteste patriotische Pflicht, schon jetzt mit allen Kräften eine Verständigung
über dieses dornige Problem anzubahnen, damit hernach, wenn einmal die
Vorlage kommt — und Herr von Zedlitz hat sicherlich recht: sie wird un¬
mittelbar nach Friedensschluß kommen — die Zeit nicht mit endlosen General¬
debatten verloren werden muß. Sollte es denn wirklich so schwer sein, bei
allseitigem guten Willen einen Weg zu finden, der, wenn er auch nicht jedem
eine ideale Lösung, so doch annehmbar schiene? Dem konservativen Prinzip
könnte es jedenfalls nicht entgegen sein, wenn man in Verbindung mit einem
geheimen und direkten Wahlrecht eine Abstufung nach der gesamten staatlichen
und sozialen Leistung und Bewährung, anstatt lediglich nach der Steuerleistung
zugrunde legte. Es ließe sich etwa vorschlagen, zu der einem jeden Wähler
über fünfundzwanzig oder auch über einundzwanzig Jahren zustehenden Stimme
noch eine bis fünf Zusatzstimmen an folgende Qualifikationen zu knüpfen:

1. Wer seiner Dienstpflicht im stehenden Heer und in der Landwehr genügt
hat (wobei zu erwägen bliebe, ob nicht allen Kriegsteilnehmern diese
Zusatzstimme als ein Zeichen der unauslöschlichen Dankbarkeit für unsere
Feldgrauen zu verleihen sein möchte).
2. Wer vier lebende eheliche Kinder oder doch zwei Söhne hat. die zum
Militärdienst tauglich befunden sind.
3. Wer zehn Jahre dem Staate unmittelbar oder mittelbar in einem staatlichen,
kommunalen oder gleichwertigen Ehrenamt gedient hat (auch Ärzte, Rechts¬
anwälte usw. ließen sich in diese Kategorie einreihen).
4. Wer zehn Jahre als Arbeitgeber für eine größere Anzahl von Arbeitern
Beiträge zur staatlichen Sozialversicherung geleistet hat (wobei, um der
besonderen Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat Rechnung zu
tragen, die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeiter höher bewertet werden
könnte); oder wer als Arbeiter die doppelte Anzahl von Jahren solche
Beiträge gezahlt hat.
^- Wer zehn Jahre hindurch einen gewissen nicht zu niedrigen Satz an
direkten Staatssteuern beigetragen hat (wobei wiederum, um der besonderen
Bedeutung des Grund und Bodens und vor allem auch des befestigten
Grund und Bodens für den Staat Rechnung zu tragen, die Grund- und

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[0249] Konservativismus und innerer Frieden müßte es nicht sein, wenn schon jetzt während des Krieges, ohne daß wir darum das große Ziel des Sieges über unsere Feinde, das selbstverständlich allem anderen vorausgeht, irgend aus dem Auge verlieren, eine Verständigung im Großen zwischen den Parteien beispielsweise über die Frage der Neu¬ orientierung, innerhalb deren ja die Frage der Wahlrechtsreform die akuteste ist und bleiben wird, erzielt werden könnte. Gerade wenn es richtig wäre, was Herr von Heydebrand in seiner Rede vom 17. Januar gesagt hat: daß „wir leider ebenfalls noch davor stehen, daß wenn diese Frage zur materiellen Beschlußfassung gestellt wird, sie dann leider ohne einen großen ganz erbitterten Streit der Parteien nicht würde erledigt werden können", gerade dann wäre es ernsteste patriotische Pflicht, schon jetzt mit allen Kräften eine Verständigung über dieses dornige Problem anzubahnen, damit hernach, wenn einmal die Vorlage kommt — und Herr von Zedlitz hat sicherlich recht: sie wird un¬ mittelbar nach Friedensschluß kommen — die Zeit nicht mit endlosen General¬ debatten verloren werden muß. Sollte es denn wirklich so schwer sein, bei allseitigem guten Willen einen Weg zu finden, der, wenn er auch nicht jedem eine ideale Lösung, so doch annehmbar schiene? Dem konservativen Prinzip könnte es jedenfalls nicht entgegen sein, wenn man in Verbindung mit einem geheimen und direkten Wahlrecht eine Abstufung nach der gesamten staatlichen und sozialen Leistung und Bewährung, anstatt lediglich nach der Steuerleistung zugrunde legte. Es ließe sich etwa vorschlagen, zu der einem jeden Wähler über fünfundzwanzig oder auch über einundzwanzig Jahren zustehenden Stimme noch eine bis fünf Zusatzstimmen an folgende Qualifikationen zu knüpfen: 1. Wer seiner Dienstpflicht im stehenden Heer und in der Landwehr genügt hat (wobei zu erwägen bliebe, ob nicht allen Kriegsteilnehmern diese Zusatzstimme als ein Zeichen der unauslöschlichen Dankbarkeit für unsere Feldgrauen zu verleihen sein möchte). 2. Wer vier lebende eheliche Kinder oder doch zwei Söhne hat. die zum Militärdienst tauglich befunden sind. 3. Wer zehn Jahre dem Staate unmittelbar oder mittelbar in einem staatlichen, kommunalen oder gleichwertigen Ehrenamt gedient hat (auch Ärzte, Rechts¬ anwälte usw. ließen sich in diese Kategorie einreihen). 4. Wer zehn Jahre als Arbeitgeber für eine größere Anzahl von Arbeitern Beiträge zur staatlichen Sozialversicherung geleistet hat (wobei, um der besonderen Bedeutung der Landwirtschaft für den Staat Rechnung zu tragen, die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeiter höher bewertet werden könnte); oder wer als Arbeiter die doppelte Anzahl von Jahren solche Beiträge gezahlt hat. ^- Wer zehn Jahre hindurch einen gewissen nicht zu niedrigen Satz an direkten Staatssteuern beigetragen hat (wobei wiederum, um der besonderen Bedeutung des Grund und Bodens und vor allem auch des befestigten Grund und Bodens für den Staat Rechnung zu tragen, die Grund- und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/249>, abgerufen am 17.06.2024.