Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutschland und die Koalition

Unrecht war. Die Begegnung der von den polnischen Legionen aufgenommenen
Polnischen Aspirationen mit den Armeen des Zweibundes ist keine Zu¬
fallsbegegnung. Dieser Treffpunkt wird zu einem Zentralpunkt der Geschichte.
Die Deutschen haben zuviel eigenes Blut vergossen, als daß sie es in diesem
und in einem künftigen Kriege nicht über alles sollten schätzen und schonen
wollen. Das polnische Volk hat ein Recht, darauf seine Überzeugung von
dem Wert dieses Bündnisses zu stützen, in dem es neben ihm stehen will
mit der Waffe in der Hand gegenüber dem gemeinsamen Feind --
im Namen der gemeinsamen Grundlagen und Quellen der abendländischen
Kultur und des gemeinsamen Interesses der politischen Zukunft. Für die
Deutschen fängt der Krieg mit Rußland in der jetzigen Phase schon an ein
Kolonialkrieg zu werden, so weit hat er sich von ihren Operationsgrundlagen
entfernt. Aber für eine polnische Armee, die um das Territorium für einen
unabhängigen Staat kämpfte, wäre er ein Kampf um die Existenz, ein Kampf
auf Leben und Tod. Er hätte seine Operationsbasis in jeder polnischen
Scholle, in jedem Tropfen polnischen Blutes.

Heute stellen sich der Verwirklichung dieses Gedankens noch viele Hinder¬
nisse entgegen; aber mit Trost erfüllt jeden Polen der Glaube, daß diese
Hindernisse nicht aus der Tiefe der beiden schöpferischen Nationen kommen,
sondern aus an der Oberfläche haftenden Berechnungen und Befürchtungen.
In der Welt des deutschen politischen Denkens gewinnt die Idee eines unab¬
hängigen polnischen Staates, als eines Baues, an dem sich die Wogen russischer
Gier zerteilen sollen, immer mehr Recht auf Anerkennung. In Polen haben
eine Probe davon, bis zu welchen Höhen der Pole unter der Fahne seiner
Unabhängigkeit im Kriege gegen Moskau emporsteigt, die Legionen gegeben.
Alles das, was in beiden Völkern Sieg atmet, was kämpft und aufbaut, muß
sich früher oder später unter dem Zeichen der Konstitution des 3. Mai treffen:
unter dem Zeichen des unabhängigen polnischen Staates und des Krieges
gegen den Osten, in bewaffneter Anlehnung an den Westen. Diese geschicht¬
liche Wahrheit, im Laufe von anderthalbhundert Jahren unterdrückt, zerreißt
jetzt endlich die Dämme der Illusionen, der Falschheit und der Kleinheit: sie
ruft von den blutigen Kriegsschauplätzen des Ostens und des Westens, ruft
von den Leichenfeldern, ruft aus Entsetzen und Erregung, nach Größe des
Denkens und nach der Majestät der Tat.




2*
Deutschland und die Koalition

Unrecht war. Die Begegnung der von den polnischen Legionen aufgenommenen
Polnischen Aspirationen mit den Armeen des Zweibundes ist keine Zu¬
fallsbegegnung. Dieser Treffpunkt wird zu einem Zentralpunkt der Geschichte.
Die Deutschen haben zuviel eigenes Blut vergossen, als daß sie es in diesem
und in einem künftigen Kriege nicht über alles sollten schätzen und schonen
wollen. Das polnische Volk hat ein Recht, darauf seine Überzeugung von
dem Wert dieses Bündnisses zu stützen, in dem es neben ihm stehen will
mit der Waffe in der Hand gegenüber dem gemeinsamen Feind —
im Namen der gemeinsamen Grundlagen und Quellen der abendländischen
Kultur und des gemeinsamen Interesses der politischen Zukunft. Für die
Deutschen fängt der Krieg mit Rußland in der jetzigen Phase schon an ein
Kolonialkrieg zu werden, so weit hat er sich von ihren Operationsgrundlagen
entfernt. Aber für eine polnische Armee, die um das Territorium für einen
unabhängigen Staat kämpfte, wäre er ein Kampf um die Existenz, ein Kampf
auf Leben und Tod. Er hätte seine Operationsbasis in jeder polnischen
Scholle, in jedem Tropfen polnischen Blutes.

Heute stellen sich der Verwirklichung dieses Gedankens noch viele Hinder¬
nisse entgegen; aber mit Trost erfüllt jeden Polen der Glaube, daß diese
Hindernisse nicht aus der Tiefe der beiden schöpferischen Nationen kommen,
sondern aus an der Oberfläche haftenden Berechnungen und Befürchtungen.
In der Welt des deutschen politischen Denkens gewinnt die Idee eines unab¬
hängigen polnischen Staates, als eines Baues, an dem sich die Wogen russischer
Gier zerteilen sollen, immer mehr Recht auf Anerkennung. In Polen haben
eine Probe davon, bis zu welchen Höhen der Pole unter der Fahne seiner
Unabhängigkeit im Kriege gegen Moskau emporsteigt, die Legionen gegeben.
Alles das, was in beiden Völkern Sieg atmet, was kämpft und aufbaut, muß
sich früher oder später unter dem Zeichen der Konstitution des 3. Mai treffen:
unter dem Zeichen des unabhängigen polnischen Staates und des Krieges
gegen den Osten, in bewaffneter Anlehnung an den Westen. Diese geschicht¬
liche Wahrheit, im Laufe von anderthalbhundert Jahren unterdrückt, zerreißt
jetzt endlich die Dämme der Illusionen, der Falschheit und der Kleinheit: sie
ruft von den blutigen Kriegsschauplätzen des Ostens und des Westens, ruft
von den Leichenfeldern, ruft aus Entsetzen und Erregung, nach Größe des
Denkens und nach der Majestät der Tat.




2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0031" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330565"/>
          <fw type="header" place="top"> Deutschland und die Koalition</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_60" prev="#ID_59"> Unrecht war. Die Begegnung der von den polnischen Legionen aufgenommenen<lb/>
Polnischen Aspirationen mit den Armeen des Zweibundes ist keine Zu¬<lb/>
fallsbegegnung. Dieser Treffpunkt wird zu einem Zentralpunkt der Geschichte.<lb/>
Die Deutschen haben zuviel eigenes Blut vergossen, als daß sie es in diesem<lb/>
und in einem künftigen Kriege nicht über alles sollten schätzen und schonen<lb/>
wollen. Das polnische Volk hat ein Recht, darauf seine Überzeugung von<lb/>
dem Wert dieses Bündnisses zu stützen, in dem es neben ihm stehen will<lb/>
mit der Waffe in der Hand gegenüber dem gemeinsamen Feind &#x2014;<lb/>
im Namen der gemeinsamen Grundlagen und Quellen der abendländischen<lb/>
Kultur und des gemeinsamen Interesses der politischen Zukunft. Für die<lb/>
Deutschen fängt der Krieg mit Rußland in der jetzigen Phase schon an ein<lb/>
Kolonialkrieg zu werden, so weit hat er sich von ihren Operationsgrundlagen<lb/>
entfernt. Aber für eine polnische Armee, die um das Territorium für einen<lb/>
unabhängigen Staat kämpfte, wäre er ein Kampf um die Existenz, ein Kampf<lb/>
auf Leben und Tod. Er hätte seine Operationsbasis in jeder polnischen<lb/>
Scholle, in jedem Tropfen polnischen Blutes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_61"> Heute stellen sich der Verwirklichung dieses Gedankens noch viele Hinder¬<lb/>
nisse entgegen; aber mit Trost erfüllt jeden Polen der Glaube, daß diese<lb/>
Hindernisse nicht aus der Tiefe der beiden schöpferischen Nationen kommen,<lb/>
sondern aus an der Oberfläche haftenden Berechnungen und Befürchtungen.<lb/>
In der Welt des deutschen politischen Denkens gewinnt die Idee eines unab¬<lb/>
hängigen polnischen Staates, als eines Baues, an dem sich die Wogen russischer<lb/>
Gier zerteilen sollen, immer mehr Recht auf Anerkennung. In Polen haben<lb/>
eine Probe davon, bis zu welchen Höhen der Pole unter der Fahne seiner<lb/>
Unabhängigkeit im Kriege gegen Moskau emporsteigt, die Legionen gegeben.<lb/>
Alles das, was in beiden Völkern Sieg atmet, was kämpft und aufbaut, muß<lb/>
sich früher oder später unter dem Zeichen der Konstitution des 3. Mai treffen:<lb/>
unter dem Zeichen des unabhängigen polnischen Staates und des Krieges<lb/>
gegen den Osten, in bewaffneter Anlehnung an den Westen. Diese geschicht¬<lb/>
liche Wahrheit, im Laufe von anderthalbhundert Jahren unterdrückt, zerreißt<lb/>
jetzt endlich die Dämme der Illusionen, der Falschheit und der Kleinheit: sie<lb/>
ruft von den blutigen Kriegsschauplätzen des Ostens und des Westens, ruft<lb/>
von den Leichenfeldern, ruft aus Entsetzen und Erregung, nach Größe des<lb/>
Denkens und nach der Majestät der Tat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 2*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0031] Deutschland und die Koalition Unrecht war. Die Begegnung der von den polnischen Legionen aufgenommenen Polnischen Aspirationen mit den Armeen des Zweibundes ist keine Zu¬ fallsbegegnung. Dieser Treffpunkt wird zu einem Zentralpunkt der Geschichte. Die Deutschen haben zuviel eigenes Blut vergossen, als daß sie es in diesem und in einem künftigen Kriege nicht über alles sollten schätzen und schonen wollen. Das polnische Volk hat ein Recht, darauf seine Überzeugung von dem Wert dieses Bündnisses zu stützen, in dem es neben ihm stehen will mit der Waffe in der Hand gegenüber dem gemeinsamen Feind — im Namen der gemeinsamen Grundlagen und Quellen der abendländischen Kultur und des gemeinsamen Interesses der politischen Zukunft. Für die Deutschen fängt der Krieg mit Rußland in der jetzigen Phase schon an ein Kolonialkrieg zu werden, so weit hat er sich von ihren Operationsgrundlagen entfernt. Aber für eine polnische Armee, die um das Territorium für einen unabhängigen Staat kämpfte, wäre er ein Kampf um die Existenz, ein Kampf auf Leben und Tod. Er hätte seine Operationsbasis in jeder polnischen Scholle, in jedem Tropfen polnischen Blutes. Heute stellen sich der Verwirklichung dieses Gedankens noch viele Hinder¬ nisse entgegen; aber mit Trost erfüllt jeden Polen der Glaube, daß diese Hindernisse nicht aus der Tiefe der beiden schöpferischen Nationen kommen, sondern aus an der Oberfläche haftenden Berechnungen und Befürchtungen. In der Welt des deutschen politischen Denkens gewinnt die Idee eines unab¬ hängigen polnischen Staates, als eines Baues, an dem sich die Wogen russischer Gier zerteilen sollen, immer mehr Recht auf Anerkennung. In Polen haben eine Probe davon, bis zu welchen Höhen der Pole unter der Fahne seiner Unabhängigkeit im Kriege gegen Moskau emporsteigt, die Legionen gegeben. Alles das, was in beiden Völkern Sieg atmet, was kämpft und aufbaut, muß sich früher oder später unter dem Zeichen der Konstitution des 3. Mai treffen: unter dem Zeichen des unabhängigen polnischen Staates und des Krieges gegen den Osten, in bewaffneter Anlehnung an den Westen. Diese geschicht¬ liche Wahrheit, im Laufe von anderthalbhundert Jahren unterdrückt, zerreißt jetzt endlich die Dämme der Illusionen, der Falschheit und der Kleinheit: sie ruft von den blutigen Kriegsschauplätzen des Ostens und des Westens, ruft von den Leichenfeldern, ruft aus Entsetzen und Erregung, nach Größe des Denkens und nach der Majestät der Tat. 2*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/31
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/31>, abgerufen am 26.05.2024.