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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Gustav Freytag bei den Grenzboten

Wie nun aber in der Reaktionszeit der Liberalismus überhaupt genötigt
wurde, einen Schritt nach rechts zu tun, so machte auch Freytag nicht zu
seinem Schaden eine Schule durch, die seinen Grundanschauungen die defimtwe
Durchbildung verlieh. Was er seinen Anteil an der Politik zu nennen pflegte,
"die Bekanntschaft mit den Höhen und Tiefen irdischer Existenz", erwarb er
durch sein Verhältnis zu Herzog Ernst von Coburg und durch die von diesem
vermittelten Beziehungen zum kronprinzlich-preußischen Hofe. Die hochllberale
Note dieses Kreises, in dem englische und belgische Vorstellungen gang und
gäbe waren, entsprach glücklich seinen eigenen politischen Antezedenzien. Zu¬
gleich bewahrte ihn die Bekanntschaft mit Männern wie Stockmar, Stosch u. a.,
der Einblick in das Getriebe der großen Politik vor einer weiteren Schwenkung
nach links. Vor allem war es der Einfluß Friedrich von Stockmars, der
Freytag für die Prinzipien des belgischen Parlamentarismus gewann. Auf
diesem Boden führte er den Kampf gegen den absolutistischen Staat weiter,
das parlamentarische Schattenkönigtum Leopolds von Coburg wurde die ver-
fochtene Staatsform.

Gegenüber dem historischen Staatsideal der Konservativen, dem Machtstaat,
vertrat Freytag sein abstraktes Freiheitsideal. Das Prinzip der Freiheit stellte
er über den Gedanken der Staatsmacht. Zu welchem harten Doktrinarismus
er sich dabei versteigen konnte, zeigte seine Haltung während des preußischen
Militärkonflikts. In diesem Machtkampf zwischen Krone und Parlament wies
Freytag jeden Kompromiß von der Hand. Noch angesichts des Krieges 1866
gehörte er zu den Entschiedener, die jede Geldbewilligung von einem Wechsel
des Systems im liberalen Sinne abhängig machten. Von Stosch erfahren wir,
daß Freytags Doktrinarismus selbst bei seinem Gönner, dem Kronprinzen
Friedrich Wilhelm. Anstoß erregte. Aber er ließ sich nicht irre machen.
"Unser Liberalismus gleicht doch nicht einem einzelnen Gliede, welches wir uns
abhauen können, oder in die Tasche stecken, wie eine geballte Faust? Er ist
unser bestes Leben selbst, und wie die Natur uns zwingt, unablässig Atem zu
holen, müssen wir auch unser Freiheitsgefühl betätigen, wo wir veranlaßt sind,
zu reden, zu raten, zu handeln."

Hand in Hand damit, undenkbar das eine ohne das andere, ging bei
Freytag ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Liberale und nationale Impulse
gaben seinem Leben Inhalt und Richtung. Sein Deutschtum wurzelte mit den
besten Kräften im Boden seiner schlesischen Heimat, früh genährt durch den
Gegensatz zu slawischen Wesen und späterhin durch das Studium der Ger¬
manistik zu elementarer Stärke verdichtet. Ebenso früh war er sich bewußt,
daß die Lösung der deutschen Frage nur in Verbindung mit liberalen Re¬
gierungsprinzipien möglich sei. Den nationalen Fortschritt machte er in diesem
Sinne abhängig von einer Steigerung der Volkskraft auf allen Gebieten des
wirklichen Lebens auf dem Wege friedlicher, allmählich fortschreitender An¬
näherung. Dem Einzelwillen der Kabinette, dem nach seiner Ansicht stets etwas


Gustav Freytag bei den Grenzboten

Wie nun aber in der Reaktionszeit der Liberalismus überhaupt genötigt
wurde, einen Schritt nach rechts zu tun, so machte auch Freytag nicht zu
seinem Schaden eine Schule durch, die seinen Grundanschauungen die defimtwe
Durchbildung verlieh. Was er seinen Anteil an der Politik zu nennen pflegte,
„die Bekanntschaft mit den Höhen und Tiefen irdischer Existenz", erwarb er
durch sein Verhältnis zu Herzog Ernst von Coburg und durch die von diesem
vermittelten Beziehungen zum kronprinzlich-preußischen Hofe. Die hochllberale
Note dieses Kreises, in dem englische und belgische Vorstellungen gang und
gäbe waren, entsprach glücklich seinen eigenen politischen Antezedenzien. Zu¬
gleich bewahrte ihn die Bekanntschaft mit Männern wie Stockmar, Stosch u. a.,
der Einblick in das Getriebe der großen Politik vor einer weiteren Schwenkung
nach links. Vor allem war es der Einfluß Friedrich von Stockmars, der
Freytag für die Prinzipien des belgischen Parlamentarismus gewann. Auf
diesem Boden führte er den Kampf gegen den absolutistischen Staat weiter,
das parlamentarische Schattenkönigtum Leopolds von Coburg wurde die ver-
fochtene Staatsform.

Gegenüber dem historischen Staatsideal der Konservativen, dem Machtstaat,
vertrat Freytag sein abstraktes Freiheitsideal. Das Prinzip der Freiheit stellte
er über den Gedanken der Staatsmacht. Zu welchem harten Doktrinarismus
er sich dabei versteigen konnte, zeigte seine Haltung während des preußischen
Militärkonflikts. In diesem Machtkampf zwischen Krone und Parlament wies
Freytag jeden Kompromiß von der Hand. Noch angesichts des Krieges 1866
gehörte er zu den Entschiedener, die jede Geldbewilligung von einem Wechsel
des Systems im liberalen Sinne abhängig machten. Von Stosch erfahren wir,
daß Freytags Doktrinarismus selbst bei seinem Gönner, dem Kronprinzen
Friedrich Wilhelm. Anstoß erregte. Aber er ließ sich nicht irre machen.
„Unser Liberalismus gleicht doch nicht einem einzelnen Gliede, welches wir uns
abhauen können, oder in die Tasche stecken, wie eine geballte Faust? Er ist
unser bestes Leben selbst, und wie die Natur uns zwingt, unablässig Atem zu
holen, müssen wir auch unser Freiheitsgefühl betätigen, wo wir veranlaßt sind,
zu reden, zu raten, zu handeln."

Hand in Hand damit, undenkbar das eine ohne das andere, ging bei
Freytag ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Liberale und nationale Impulse
gaben seinem Leben Inhalt und Richtung. Sein Deutschtum wurzelte mit den
besten Kräften im Boden seiner schlesischen Heimat, früh genährt durch den
Gegensatz zu slawischen Wesen und späterhin durch das Studium der Ger¬
manistik zu elementarer Stärke verdichtet. Ebenso früh war er sich bewußt,
daß die Lösung der deutschen Frage nur in Verbindung mit liberalen Re¬
gierungsprinzipien möglich sei. Den nationalen Fortschritt machte er in diesem
Sinne abhängig von einer Steigerung der Volkskraft auf allen Gebieten des
wirklichen Lebens auf dem Wege friedlicher, allmählich fortschreitender An¬
näherung. Dem Einzelwillen der Kabinette, dem nach seiner Ansicht stets etwas


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[0049] Gustav Freytag bei den Grenzboten Wie nun aber in der Reaktionszeit der Liberalismus überhaupt genötigt wurde, einen Schritt nach rechts zu tun, so machte auch Freytag nicht zu seinem Schaden eine Schule durch, die seinen Grundanschauungen die defimtwe Durchbildung verlieh. Was er seinen Anteil an der Politik zu nennen pflegte, „die Bekanntschaft mit den Höhen und Tiefen irdischer Existenz", erwarb er durch sein Verhältnis zu Herzog Ernst von Coburg und durch die von diesem vermittelten Beziehungen zum kronprinzlich-preußischen Hofe. Die hochllberale Note dieses Kreises, in dem englische und belgische Vorstellungen gang und gäbe waren, entsprach glücklich seinen eigenen politischen Antezedenzien. Zu¬ gleich bewahrte ihn die Bekanntschaft mit Männern wie Stockmar, Stosch u. a., der Einblick in das Getriebe der großen Politik vor einer weiteren Schwenkung nach links. Vor allem war es der Einfluß Friedrich von Stockmars, der Freytag für die Prinzipien des belgischen Parlamentarismus gewann. Auf diesem Boden führte er den Kampf gegen den absolutistischen Staat weiter, das parlamentarische Schattenkönigtum Leopolds von Coburg wurde die ver- fochtene Staatsform. Gegenüber dem historischen Staatsideal der Konservativen, dem Machtstaat, vertrat Freytag sein abstraktes Freiheitsideal. Das Prinzip der Freiheit stellte er über den Gedanken der Staatsmacht. Zu welchem harten Doktrinarismus er sich dabei versteigen konnte, zeigte seine Haltung während des preußischen Militärkonflikts. In diesem Machtkampf zwischen Krone und Parlament wies Freytag jeden Kompromiß von der Hand. Noch angesichts des Krieges 1866 gehörte er zu den Entschiedener, die jede Geldbewilligung von einem Wechsel des Systems im liberalen Sinne abhängig machten. Von Stosch erfahren wir, daß Freytags Doktrinarismus selbst bei seinem Gönner, dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Anstoß erregte. Aber er ließ sich nicht irre machen. „Unser Liberalismus gleicht doch nicht einem einzelnen Gliede, welches wir uns abhauen können, oder in die Tasche stecken, wie eine geballte Faust? Er ist unser bestes Leben selbst, und wie die Natur uns zwingt, unablässig Atem zu holen, müssen wir auch unser Freiheitsgefühl betätigen, wo wir veranlaßt sind, zu reden, zu raten, zu handeln." Hand in Hand damit, undenkbar das eine ohne das andere, ging bei Freytag ein ausgeprägtes Nationalgefühl. Liberale und nationale Impulse gaben seinem Leben Inhalt und Richtung. Sein Deutschtum wurzelte mit den besten Kräften im Boden seiner schlesischen Heimat, früh genährt durch den Gegensatz zu slawischen Wesen und späterhin durch das Studium der Ger¬ manistik zu elementarer Stärke verdichtet. Ebenso früh war er sich bewußt, daß die Lösung der deutschen Frage nur in Verbindung mit liberalen Re¬ gierungsprinzipien möglich sei. Den nationalen Fortschritt machte er in diesem Sinne abhängig von einer Steigerung der Volkskraft auf allen Gebieten des wirklichen Lebens auf dem Wege friedlicher, allmählich fortschreitender An¬ näherung. Dem Einzelwillen der Kabinette, dem nach seiner Ansicht stets etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/49>, abgerufen am 26.05.2024.