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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Wohin geht Rußland?

In den "Brüdern Karamasow" ist dieses Ideal noch näher gekennzeichnet.
Es ist die Herrschaft der Kirche auf Erden, die die Erlösung der Welt mit sich
bringen wird, aber nicht im westlichen Sinne des römischen Katholizismus, der
nach Dostojewski weiter nichts ist als die Fortsetzung des alten römischen
Reiches, als "die dritte Versuchung des Teufels" -- sondern die Entwicklung
wird gerade umgekehrt kommen. Nicht die Kirche wird sich in einen Staat
verwandeln, sondern umgekehrt: "der Staat verwandelt sich in eine Kirche, geht
über zur Kirche und wird schließlich auf der ganzen Erde Kirche. Dies ist
ganz entgegengesetzt jedem Mramontanismus, ganz das Gegenteil von Rom. . . .
Es ist die große Bestimmung der orthodoxen Kirche auf Erden. Vom Osten
her wird dieses Licht erstrahlen."

Ich habe hier diese Gedankengünge wiederholt, weil sie bis zu einem
gewissen Grade für das Verständnis des russischen Denkens auch unserer Tage
noch notwendig sind. Zwar sagt man, daß das Slawophilentnm tot ist, aber
was an philosophischen Ideen während dieses Krieges in Rußland geäußert
worden ist. ist in ganz auffälliger Weise von den Denkern jener Tage beeinflußt.
Wenn Solowjow in seinem späteren Denken geglaubt hat, den Slawophilismus
ein für allemal beseitigt zu haben, so hat die Gegenwart gezeigt, daß das
keineswegs der Fall ist.

So kehrt die reine Opferidee der Slawophilen (Rußland opfert sich für
seine slawischen Brüder, für die Welt, um schließlich beide mit seinen Ideen zu
erlösen) zu Beginn dieses Krieges fast in ihren alten Formen wieder. Als
Galizien von den Russen erobert wurde und als das alte Ziel des Nusseutums:
Konstantinopel, die Hagia Sophia, so nahe schien, besann man sich auf jene
alte Begründung und besonders solche Geister wie Fürst Eugen Trubetzkoj,
denen die amoralische Idee des reinen Nationalismus ein Greuel ist, die das
"nationale Eros" ablehnen, das von einem Teil des Russentums gepredigt
wurde, glaubten durch jene alten Gedanken der "guten Sache" eine moralische,
eine religiöse Hülle geben zu können, in der Hoffnung, damit vielleicht auch den
Gedanken des reinen Egoismus zu veredeln.*)

Auch die anderen russischen Schriftsteller, die den Versuch gemacht haben,
Interpreten des letzten Wollens ihres Volkes zu sein, gehen, soweit sie nicht
Prediger des reinen Panrussismus, des krassen Nationalismus sind, wie z. B.
Muretow, der sogar die Pogrome philosophisch rechtfertigt, von ähnlichen Ge-
dankengängen aus. Ich nenne hier Bulgakow und Wolschsky.

Obgleich die Ideen von Bulgakow etwas unklar sind, insbesondere in dem,
was er über die endgültige Bestimmung Rußlands sagt, so ist doch auch bei
ihm die Verwandtschaft mit dem Slawophilentum und Solowjow unverkennbar,
insbesondere in dem, was er über das Verhältnis Rußlands zum Westen sagt.
Bulgakow sieht zwar nicht wie die Slawophilen Rußlands Heil in einer Trennung



*) Vgl. hierüber Trnutmann: "Die russische Staatsidee", Preuß, Jahrb. Bd. 16" Heft 2.
Wohin geht Rußland?

In den „Brüdern Karamasow" ist dieses Ideal noch näher gekennzeichnet.
Es ist die Herrschaft der Kirche auf Erden, die die Erlösung der Welt mit sich
bringen wird, aber nicht im westlichen Sinne des römischen Katholizismus, der
nach Dostojewski weiter nichts ist als die Fortsetzung des alten römischen
Reiches, als „die dritte Versuchung des Teufels" — sondern die Entwicklung
wird gerade umgekehrt kommen. Nicht die Kirche wird sich in einen Staat
verwandeln, sondern umgekehrt: „der Staat verwandelt sich in eine Kirche, geht
über zur Kirche und wird schließlich auf der ganzen Erde Kirche. Dies ist
ganz entgegengesetzt jedem Mramontanismus, ganz das Gegenteil von Rom. . . .
Es ist die große Bestimmung der orthodoxen Kirche auf Erden. Vom Osten
her wird dieses Licht erstrahlen."

Ich habe hier diese Gedankengünge wiederholt, weil sie bis zu einem
gewissen Grade für das Verständnis des russischen Denkens auch unserer Tage
noch notwendig sind. Zwar sagt man, daß das Slawophilentnm tot ist, aber
was an philosophischen Ideen während dieses Krieges in Rußland geäußert
worden ist. ist in ganz auffälliger Weise von den Denkern jener Tage beeinflußt.
Wenn Solowjow in seinem späteren Denken geglaubt hat, den Slawophilismus
ein für allemal beseitigt zu haben, so hat die Gegenwart gezeigt, daß das
keineswegs der Fall ist.

So kehrt die reine Opferidee der Slawophilen (Rußland opfert sich für
seine slawischen Brüder, für die Welt, um schließlich beide mit seinen Ideen zu
erlösen) zu Beginn dieses Krieges fast in ihren alten Formen wieder. Als
Galizien von den Russen erobert wurde und als das alte Ziel des Nusseutums:
Konstantinopel, die Hagia Sophia, so nahe schien, besann man sich auf jene
alte Begründung und besonders solche Geister wie Fürst Eugen Trubetzkoj,
denen die amoralische Idee des reinen Nationalismus ein Greuel ist, die das
„nationale Eros" ablehnen, das von einem Teil des Russentums gepredigt
wurde, glaubten durch jene alten Gedanken der „guten Sache" eine moralische,
eine religiöse Hülle geben zu können, in der Hoffnung, damit vielleicht auch den
Gedanken des reinen Egoismus zu veredeln.*)

Auch die anderen russischen Schriftsteller, die den Versuch gemacht haben,
Interpreten des letzten Wollens ihres Volkes zu sein, gehen, soweit sie nicht
Prediger des reinen Panrussismus, des krassen Nationalismus sind, wie z. B.
Muretow, der sogar die Pogrome philosophisch rechtfertigt, von ähnlichen Ge-
dankengängen aus. Ich nenne hier Bulgakow und Wolschsky.

Obgleich die Ideen von Bulgakow etwas unklar sind, insbesondere in dem,
was er über die endgültige Bestimmung Rußlands sagt, so ist doch auch bei
ihm die Verwandtschaft mit dem Slawophilentum und Solowjow unverkennbar,
insbesondere in dem, was er über das Verhältnis Rußlands zum Westen sagt.
Bulgakow sieht zwar nicht wie die Slawophilen Rußlands Heil in einer Trennung



*) Vgl. hierüber Trnutmann: „Die russische Staatsidee", Preuß, Jahrb. Bd. 16» Heft 2.
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[0118] Wohin geht Rußland? In den „Brüdern Karamasow" ist dieses Ideal noch näher gekennzeichnet. Es ist die Herrschaft der Kirche auf Erden, die die Erlösung der Welt mit sich bringen wird, aber nicht im westlichen Sinne des römischen Katholizismus, der nach Dostojewski weiter nichts ist als die Fortsetzung des alten römischen Reiches, als „die dritte Versuchung des Teufels" — sondern die Entwicklung wird gerade umgekehrt kommen. Nicht die Kirche wird sich in einen Staat verwandeln, sondern umgekehrt: „der Staat verwandelt sich in eine Kirche, geht über zur Kirche und wird schließlich auf der ganzen Erde Kirche. Dies ist ganz entgegengesetzt jedem Mramontanismus, ganz das Gegenteil von Rom. . . . Es ist die große Bestimmung der orthodoxen Kirche auf Erden. Vom Osten her wird dieses Licht erstrahlen." Ich habe hier diese Gedankengünge wiederholt, weil sie bis zu einem gewissen Grade für das Verständnis des russischen Denkens auch unserer Tage noch notwendig sind. Zwar sagt man, daß das Slawophilentnm tot ist, aber was an philosophischen Ideen während dieses Krieges in Rußland geäußert worden ist. ist in ganz auffälliger Weise von den Denkern jener Tage beeinflußt. Wenn Solowjow in seinem späteren Denken geglaubt hat, den Slawophilismus ein für allemal beseitigt zu haben, so hat die Gegenwart gezeigt, daß das keineswegs der Fall ist. So kehrt die reine Opferidee der Slawophilen (Rußland opfert sich für seine slawischen Brüder, für die Welt, um schließlich beide mit seinen Ideen zu erlösen) zu Beginn dieses Krieges fast in ihren alten Formen wieder. Als Galizien von den Russen erobert wurde und als das alte Ziel des Nusseutums: Konstantinopel, die Hagia Sophia, so nahe schien, besann man sich auf jene alte Begründung und besonders solche Geister wie Fürst Eugen Trubetzkoj, denen die amoralische Idee des reinen Nationalismus ein Greuel ist, die das „nationale Eros" ablehnen, das von einem Teil des Russentums gepredigt wurde, glaubten durch jene alten Gedanken der „guten Sache" eine moralische, eine religiöse Hülle geben zu können, in der Hoffnung, damit vielleicht auch den Gedanken des reinen Egoismus zu veredeln.*) Auch die anderen russischen Schriftsteller, die den Versuch gemacht haben, Interpreten des letzten Wollens ihres Volkes zu sein, gehen, soweit sie nicht Prediger des reinen Panrussismus, des krassen Nationalismus sind, wie z. B. Muretow, der sogar die Pogrome philosophisch rechtfertigt, von ähnlichen Ge- dankengängen aus. Ich nenne hier Bulgakow und Wolschsky. Obgleich die Ideen von Bulgakow etwas unklar sind, insbesondere in dem, was er über die endgültige Bestimmung Rußlands sagt, so ist doch auch bei ihm die Verwandtschaft mit dem Slawophilentum und Solowjow unverkennbar, insbesondere in dem, was er über das Verhältnis Rußlands zum Westen sagt. Bulgakow sieht zwar nicht wie die Slawophilen Rußlands Heil in einer Trennung *) Vgl. hierüber Trnutmann: „Die russische Staatsidee", Preuß, Jahrb. Bd. 16» Heft 2.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/118>, abgerufen am 29.05.2024.