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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Der Tcmchbootkrieg

ihm zum Verhängnis werden. Alle diese Gefahren vermeidet es und zugleich
sichert und vermehrt es seine Erfolge, wenn es die einzige Überlegenheit, die ihm
eignet, voll ausnutzt, d. h. wenn es sich dem feindlichen Schiff nicht nur un¬
sichtbar nähert, sondern ihm z. B. unerwartet den tödlichen Schuß aus unsicht¬
barer Stellung beibringt.

So zu verfahren erscheint vom Standpunkt der Kriegsräson als selbst¬
verständlich. Deren erstes Gebot ist, alle Eigenschaften einer Waffe zur vollsten
Geltung zu bringen, die höchstmöglichen Wirkungen durch sie zu erreichen. Das
wird auch hinsichtlich der Verwendung der Tauchbootswaffe gegenüber feind¬
lichen Kriegsschiffen allgemein zugestanden; gegen feindliche Handelsschiffe soll
es jedoch unzulässig, weder rechtlich noch billig noch mit den Geboten der
Menschlichkeit vereinbar sein, wie auch die Note der amerikanischen Regierung
an die deutsche Regierung bemerkt.

Die Unrichtigkeit dieser die sofortige Torpedierung für alle Fälle ablehnenden
Ansicht ergibt sich aus dem Wesen des Seekrieges. Im Seekriege richtet sich
der Angriff nicht nur gegen die feindlichen Seestreitkräfte, sondern auch gegen
den feindlichen Seehandel. Diesen zu treffen, dienen einerseits Blockaderecht
und Bannwarenrecht -- beide auch gegen Neutrale gerichtet --, anderseits das
heute nur noch dem Seekrieg eigentümliche, sogenannte Beuterecht: das Recht,
Schiff samt Ladung eines Angehörigen des feindlichen Staates überall auf dem
Meere wegzunehmen und zu zerstören. Den feindlichen Seehandel lahm
zu legen und so die feindliche Volkswirtschaft zu schwächen, bildet sogar das
Hauptziel des Seekrieges. "Es ließe sich ein Seekrieg denken, in dem keine
andere Art von Feindseligkeit vorgenommen würde als die Jagd auf die
Handelsschiffe des Feindes." (Triepel in "Zeitschrift für Völkerrecht" 1914 S.400.)
Um dieses Hauptziel zu erreichen, muß, sofern und soweit es die Kriegsnot¬
wendigkeit erfordert, die wirksamste Verwendung, die vollste Ausnutzung eines
jeden Kriegsmittels gestattet sein -- gegen die Seehandelsmacht so gut wie
gegen die Seestreitkräfte.

Die Kriegsnotwendigkeit fordert zwar nicht für das Oberseekriegsschiff, wohl
aber für das Tauchboot die grundsätzliche Zulüssigkeit sofortiger Torpedierung,
sei es zur Verminderung der ihm -- besonders von einem bewaffneten Handels¬
schiff -- drohenden Gefahr, sei es zur Sicherung und Vermehrung seiner Erfolge.
Nur entgegenstehende ausdrückliche völkerrechtliche Regeln könnten hieran etwas
ändern: eine Vereinbarung der Staatengemeinschaft hierüber gibt es nicht, ein
Gewohnheitsrecht ebensowenig. Ein solches etwa aus der herkömmlichen milderen
Verfahrensweise der Oberseekriegsschiffe auch für das Tauchboot abzuleiten, ver¬
bietet sich aus den früher erwähnten Gründen.

Oder läßt sich vielleicht gar die Ansicht vertreten, daß über die Zulüssigkeit
des Umfangs und der Art der Verwendung einer neuen Waffe erst das Völker¬
recht bestimmen müsse? Die Geschichte der völkerrechtlichen Vereinbarungen
lehrt gerade das Gegenteil. Ein dahin zielender Vorschlag Rußlands aus der


Der Tcmchbootkrieg

ihm zum Verhängnis werden. Alle diese Gefahren vermeidet es und zugleich
sichert und vermehrt es seine Erfolge, wenn es die einzige Überlegenheit, die ihm
eignet, voll ausnutzt, d. h. wenn es sich dem feindlichen Schiff nicht nur un¬
sichtbar nähert, sondern ihm z. B. unerwartet den tödlichen Schuß aus unsicht¬
barer Stellung beibringt.

So zu verfahren erscheint vom Standpunkt der Kriegsräson als selbst¬
verständlich. Deren erstes Gebot ist, alle Eigenschaften einer Waffe zur vollsten
Geltung zu bringen, die höchstmöglichen Wirkungen durch sie zu erreichen. Das
wird auch hinsichtlich der Verwendung der Tauchbootswaffe gegenüber feind¬
lichen Kriegsschiffen allgemein zugestanden; gegen feindliche Handelsschiffe soll
es jedoch unzulässig, weder rechtlich noch billig noch mit den Geboten der
Menschlichkeit vereinbar sein, wie auch die Note der amerikanischen Regierung
an die deutsche Regierung bemerkt.

Die Unrichtigkeit dieser die sofortige Torpedierung für alle Fälle ablehnenden
Ansicht ergibt sich aus dem Wesen des Seekrieges. Im Seekriege richtet sich
der Angriff nicht nur gegen die feindlichen Seestreitkräfte, sondern auch gegen
den feindlichen Seehandel. Diesen zu treffen, dienen einerseits Blockaderecht
und Bannwarenrecht — beide auch gegen Neutrale gerichtet —, anderseits das
heute nur noch dem Seekrieg eigentümliche, sogenannte Beuterecht: das Recht,
Schiff samt Ladung eines Angehörigen des feindlichen Staates überall auf dem
Meere wegzunehmen und zu zerstören. Den feindlichen Seehandel lahm
zu legen und so die feindliche Volkswirtschaft zu schwächen, bildet sogar das
Hauptziel des Seekrieges. „Es ließe sich ein Seekrieg denken, in dem keine
andere Art von Feindseligkeit vorgenommen würde als die Jagd auf die
Handelsschiffe des Feindes." (Triepel in „Zeitschrift für Völkerrecht" 1914 S.400.)
Um dieses Hauptziel zu erreichen, muß, sofern und soweit es die Kriegsnot¬
wendigkeit erfordert, die wirksamste Verwendung, die vollste Ausnutzung eines
jeden Kriegsmittels gestattet sein — gegen die Seehandelsmacht so gut wie
gegen die Seestreitkräfte.

Die Kriegsnotwendigkeit fordert zwar nicht für das Oberseekriegsschiff, wohl
aber für das Tauchboot die grundsätzliche Zulüssigkeit sofortiger Torpedierung,
sei es zur Verminderung der ihm — besonders von einem bewaffneten Handels¬
schiff — drohenden Gefahr, sei es zur Sicherung und Vermehrung seiner Erfolge.
Nur entgegenstehende ausdrückliche völkerrechtliche Regeln könnten hieran etwas
ändern: eine Vereinbarung der Staatengemeinschaft hierüber gibt es nicht, ein
Gewohnheitsrecht ebensowenig. Ein solches etwa aus der herkömmlichen milderen
Verfahrensweise der Oberseekriegsschiffe auch für das Tauchboot abzuleiten, ver¬
bietet sich aus den früher erwähnten Gründen.

Oder läßt sich vielleicht gar die Ansicht vertreten, daß über die Zulüssigkeit
des Umfangs und der Art der Verwendung einer neuen Waffe erst das Völker¬
recht bestimmen müsse? Die Geschichte der völkerrechtlichen Vereinbarungen
lehrt gerade das Gegenteil. Ein dahin zielender Vorschlag Rußlands aus der


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[0177] Der Tcmchbootkrieg ihm zum Verhängnis werden. Alle diese Gefahren vermeidet es und zugleich sichert und vermehrt es seine Erfolge, wenn es die einzige Überlegenheit, die ihm eignet, voll ausnutzt, d. h. wenn es sich dem feindlichen Schiff nicht nur un¬ sichtbar nähert, sondern ihm z. B. unerwartet den tödlichen Schuß aus unsicht¬ barer Stellung beibringt. So zu verfahren erscheint vom Standpunkt der Kriegsräson als selbst¬ verständlich. Deren erstes Gebot ist, alle Eigenschaften einer Waffe zur vollsten Geltung zu bringen, die höchstmöglichen Wirkungen durch sie zu erreichen. Das wird auch hinsichtlich der Verwendung der Tauchbootswaffe gegenüber feind¬ lichen Kriegsschiffen allgemein zugestanden; gegen feindliche Handelsschiffe soll es jedoch unzulässig, weder rechtlich noch billig noch mit den Geboten der Menschlichkeit vereinbar sein, wie auch die Note der amerikanischen Regierung an die deutsche Regierung bemerkt. Die Unrichtigkeit dieser die sofortige Torpedierung für alle Fälle ablehnenden Ansicht ergibt sich aus dem Wesen des Seekrieges. Im Seekriege richtet sich der Angriff nicht nur gegen die feindlichen Seestreitkräfte, sondern auch gegen den feindlichen Seehandel. Diesen zu treffen, dienen einerseits Blockaderecht und Bannwarenrecht — beide auch gegen Neutrale gerichtet —, anderseits das heute nur noch dem Seekrieg eigentümliche, sogenannte Beuterecht: das Recht, Schiff samt Ladung eines Angehörigen des feindlichen Staates überall auf dem Meere wegzunehmen und zu zerstören. Den feindlichen Seehandel lahm zu legen und so die feindliche Volkswirtschaft zu schwächen, bildet sogar das Hauptziel des Seekrieges. „Es ließe sich ein Seekrieg denken, in dem keine andere Art von Feindseligkeit vorgenommen würde als die Jagd auf die Handelsschiffe des Feindes." (Triepel in „Zeitschrift für Völkerrecht" 1914 S.400.) Um dieses Hauptziel zu erreichen, muß, sofern und soweit es die Kriegsnot¬ wendigkeit erfordert, die wirksamste Verwendung, die vollste Ausnutzung eines jeden Kriegsmittels gestattet sein — gegen die Seehandelsmacht so gut wie gegen die Seestreitkräfte. Die Kriegsnotwendigkeit fordert zwar nicht für das Oberseekriegsschiff, wohl aber für das Tauchboot die grundsätzliche Zulüssigkeit sofortiger Torpedierung, sei es zur Verminderung der ihm — besonders von einem bewaffneten Handels¬ schiff — drohenden Gefahr, sei es zur Sicherung und Vermehrung seiner Erfolge. Nur entgegenstehende ausdrückliche völkerrechtliche Regeln könnten hieran etwas ändern: eine Vereinbarung der Staatengemeinschaft hierüber gibt es nicht, ein Gewohnheitsrecht ebensowenig. Ein solches etwa aus der herkömmlichen milderen Verfahrensweise der Oberseekriegsschiffe auch für das Tauchboot abzuleiten, ver¬ bietet sich aus den früher erwähnten Gründen. Oder läßt sich vielleicht gar die Ansicht vertreten, daß über die Zulüssigkeit des Umfangs und der Art der Verwendung einer neuen Waffe erst das Völker¬ recht bestimmen müsse? Die Geschichte der völkerrechtlichen Vereinbarungen lehrt gerade das Gegenteil. Ein dahin zielender Vorschlag Rußlands aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/177>, abgerufen am 29.05.2024.