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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Der Tauchbootkrieg

sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren
abzuwenden. In der diese Bekanntmachung erläuternden Denkschrift vom selben
Tage heißt es, daß sich Deutschland wegen der völkerrechtswidrigen Handlungs¬
weise Englands zu militärischen Maßnahmen gezwungen sehe, die das englische
Verfahren vergelten sollen. Eine Vergeltungsmaßregel (Repressalie) im eigent¬
lichen Sinne war jedoch, wie sich zeigen wird, jene angedrohte Maßregel nicht.

In merkwürdiger Verkennung des Begriffes der Repressalie nimmt die
Negierung der Vereinigten Staaten in der Note vom 23. Juli 1915 an, daß
die deutsche Regierung, indem sie zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise das
Recht der Vergeltung anführe, die Gesetzwidrigkeit dieser Handlungsweise zu¬
gegeben habe. Diese Annahme wäre selbst dann verfehlt, wenn es sich um
eine wirkliche Repressalie, eine an sich rechtswidrige Maßnahme gehandelt hätte.
Denn die Repressalie ist, wie allgemein anerkannt, ein Recht der Selbsthilfe,
vom Völkerrecht ausdrücklich zugelassen. Die an sich rechtswidrige Maßregel
wird, im Wege der Vergeltung angedroht, zu einer rechtmäßigen Handlung,
sofern sie durch das völkerrechtswidrige Verhalten des Gegners ausreichend
begründet ist -- nicht anders wie im Strafrecht zum Beispiel die vor¬
sätzliche Tötung eines Menschen, die unter gewöhnlichen Umständen als
Mord oder Totschlag zu beurteilen wäre, in der Notwehr verübt, recht¬
mäßig ist, nicht etwa nur straflose aber gesetzwidrige Handlung, vielmehr eine
erlaubte Handlung, die mit dem Begriff Mord oder Totschlag nichts gemein
hat. Mag man nun über den unmenschlichen Plan Englands, die Zivil¬
bevölkerung Deutschlands dem Siechtum und dem Hungertode auszuliefern,
denken wie man will, mag man ihn sogar in seiner ganzen Entsetzlichkeit mit
den Grundsätzen des Völkerrechts für vereinbar halten wollen, so ist doch soviel
gewiß, daß die Durchführung dieses Planes auf ungesetzlichen Wege erstrebt
wird: unter Mißachtung der Grundregeln des Völkerrechts, an deren Jnne-
Haltung niemand vor dem Kriege gezweifelt hat noch zweifeln konnte. Solcher
rechtswidrigen Handlungsweise hätte Deutschland mit einer der Sachlage ent¬
entsprechenden rechtswidrigen Maßregel begegnen können, sie wäre als Ver¬
geltungsmaßregel dennoch eine rechtmäßige Handlung gewesen.

Aber Deutschland antwortete auf das völkerrechtswidrige Gebühren Eng¬
lands mit der Androhung einer Maßnahme, die schon an sich durchaus recht¬
mäßig war, die es längst und nicht nur in der bezeichneten beschränkten Zone,
sondern auf allen Meeren englischen Handelsschiffen gegenüber hätte durchführen
können. Denn schon seit Monaten war durch die allgemeine Bewaffnung eng¬
lischer Handelsschiffe eine tatsächliche Lage für unsere Tauchboote geschaffen,
die, falls diese sich nicht der Gefahr der Vernichtung durch angeblich friedliche
Handelsschiffe aussetzen wollten, sofortiges Torpedieren der Schiffe für den
Regelfall notwendig machte. Englische Reeber hatten schon vor dem Kriege
auf Anweisung der britischen Admiralität eine Anzahl ihrer großen Linien¬
dampfer mit Geschützen versehen, ohne daß diese Dampfer als Hilfskreuzer


Der Tauchbootkrieg

sein wird, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren
abzuwenden. In der diese Bekanntmachung erläuternden Denkschrift vom selben
Tage heißt es, daß sich Deutschland wegen der völkerrechtswidrigen Handlungs¬
weise Englands zu militärischen Maßnahmen gezwungen sehe, die das englische
Verfahren vergelten sollen. Eine Vergeltungsmaßregel (Repressalie) im eigent¬
lichen Sinne war jedoch, wie sich zeigen wird, jene angedrohte Maßregel nicht.

In merkwürdiger Verkennung des Begriffes der Repressalie nimmt die
Negierung der Vereinigten Staaten in der Note vom 23. Juli 1915 an, daß
die deutsche Regierung, indem sie zur Rechtfertigung ihrer Handlungsweise das
Recht der Vergeltung anführe, die Gesetzwidrigkeit dieser Handlungsweise zu¬
gegeben habe. Diese Annahme wäre selbst dann verfehlt, wenn es sich um
eine wirkliche Repressalie, eine an sich rechtswidrige Maßnahme gehandelt hätte.
Denn die Repressalie ist, wie allgemein anerkannt, ein Recht der Selbsthilfe,
vom Völkerrecht ausdrücklich zugelassen. Die an sich rechtswidrige Maßregel
wird, im Wege der Vergeltung angedroht, zu einer rechtmäßigen Handlung,
sofern sie durch das völkerrechtswidrige Verhalten des Gegners ausreichend
begründet ist — nicht anders wie im Strafrecht zum Beispiel die vor¬
sätzliche Tötung eines Menschen, die unter gewöhnlichen Umständen als
Mord oder Totschlag zu beurteilen wäre, in der Notwehr verübt, recht¬
mäßig ist, nicht etwa nur straflose aber gesetzwidrige Handlung, vielmehr eine
erlaubte Handlung, die mit dem Begriff Mord oder Totschlag nichts gemein
hat. Mag man nun über den unmenschlichen Plan Englands, die Zivil¬
bevölkerung Deutschlands dem Siechtum und dem Hungertode auszuliefern,
denken wie man will, mag man ihn sogar in seiner ganzen Entsetzlichkeit mit
den Grundsätzen des Völkerrechts für vereinbar halten wollen, so ist doch soviel
gewiß, daß die Durchführung dieses Planes auf ungesetzlichen Wege erstrebt
wird: unter Mißachtung der Grundregeln des Völkerrechts, an deren Jnne-
Haltung niemand vor dem Kriege gezweifelt hat noch zweifeln konnte. Solcher
rechtswidrigen Handlungsweise hätte Deutschland mit einer der Sachlage ent¬
entsprechenden rechtswidrigen Maßregel begegnen können, sie wäre als Ver¬
geltungsmaßregel dennoch eine rechtmäßige Handlung gewesen.

Aber Deutschland antwortete auf das völkerrechtswidrige Gebühren Eng¬
lands mit der Androhung einer Maßnahme, die schon an sich durchaus recht¬
mäßig war, die es längst und nicht nur in der bezeichneten beschränkten Zone,
sondern auf allen Meeren englischen Handelsschiffen gegenüber hätte durchführen
können. Denn schon seit Monaten war durch die allgemeine Bewaffnung eng¬
lischer Handelsschiffe eine tatsächliche Lage für unsere Tauchboote geschaffen,
die, falls diese sich nicht der Gefahr der Vernichtung durch angeblich friedliche
Handelsschiffe aussetzen wollten, sofortiges Torpedieren der Schiffe für den
Regelfall notwendig machte. Englische Reeber hatten schon vor dem Kriege
auf Anweisung der britischen Admiralität eine Anzahl ihrer großen Linien¬
dampfer mit Geschützen versehen, ohne daß diese Dampfer als Hilfskreuzer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/179>, abgerufen am 08.06.2024.