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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Das polnische Problem

Daneben trug jede Reform nach demokratischen Grundsatze die Gefahr der
Stärkung des stürmisch andrängenden UkrainertumS in sich und gefährdete die
Polen in nationaler Hinsicht mehr als sie ihnen zu nutzen schien.




Jn Preußen erzielten die Polen mit ihrer Mittelstand bildenden Parole
zweifellos die größten Erfolge. Dort lagen ihnen die Verhältnisse im Staat
besonders günstig. Die vielseitig ausgestalteten Bildungsstätten, die vielfachen
Fortschritte in Industrie, Handel, Weltwirtschaft, und ein daraus sich entwickelndes
ungemein kompliziertes und verästeltes soziales und wirtschaftliches Leben gab
ihnen Bildungsmöglichkeiten, wie bei keiner der andern Teilungsmüchte. Aber
der preußische Staat gab der fremden Nationalität nicht zugleich die Möglichkeit
sich auszuleben. Und das ist wohl der letzte innere Grund, wenn die Beziehungen
von Volk zu Volk in Preußen nicht in dem Maße enger geworden sind, wie
es die dank preußischer Gesetzgebung erzielten Fortschritte der Polen erwarten
lassen konnten. Unser spätes Eintreten in die Weltwirtschaft, unser später Über¬
gang zur Kolonialpolitik zwang die Deutschen hauptsächlich ihr Fortkommen im
Innern des Landes zu suchen. Da blieb nur wenig Raum für Angehörige einer
andern Nationalität. Nur die Allertüchtigsten von ihr konnten sich in Stellungen
aufschwingen, die ihren materiellen Wünschen und ihrem sozialen Ehrgeiz ent¬
sprachen. Daraus entwickelten sich weiterhin die Hemmnisse in den Polen selbst
immer stärker, die außerhalb des preußischen Staates größere Entwickelungs¬
möglichkeiten für sich erkannten. Das natürliche Hinausstreben aus der Enge des
preußischen Staates, das sie übrigens gemein hatten mit Laufenden guten
Deutschen, die ins Ausland oder in die Kolomen wanderten, machte es
ihnen nicht mehr möglich, in den Verufszweigen Befriedigung zu suchen und
zu finden, die zu den sogenannten Herrschenden gehören, was weiterhin in
einem eirculuZ vitio8us zur Verstärkung des Mißbehagens gegen den
deutsch-preußischen Staat führte. Seit Inangriffnahme unserer Ansiedlungs-
politik mit der antipolnischen Begründung konnte sich die Zahl in den
Staatsdienst tretender Polen nicht entsprechend der Bevölkerungszunahme ver¬
mehren. Die Träger polnischer Namen, die wir in der Armee noch finden,
sind meist Nachkommen aus Familien des achtzehnten oder der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts. Auch in der deutschen Verwaltung und Justiz¬
behörde verringerte sich die Zutrittsmöglichkeit für den polnischen Andrang.
Um so mehr traten sie in die freien Berufe, wurden Ärzte, Rechtsanwälte,
Agenten, Journalisten, Privatlehrer, mit einem Wort: sie schufen vor allem
jene Schicht, die in allen Ländern den Stamm jeder Opposition gegen den
Staat bildet und bemächtigten sich der Selbstverwaltung in den Städten der
Ostmark.

Gegenüber der gekennzeichneten Enge bei uns, hob sich die Weite Rußlands
und die sich darin bietenden Möglichkeiten sozialen und materiellen Aufstiegs
den Polen genau so wie vielen Deutschen um so lockender ab. In Rußland


Das polnische Problem

Daneben trug jede Reform nach demokratischen Grundsatze die Gefahr der
Stärkung des stürmisch andrängenden UkrainertumS in sich und gefährdete die
Polen in nationaler Hinsicht mehr als sie ihnen zu nutzen schien.




Jn Preußen erzielten die Polen mit ihrer Mittelstand bildenden Parole
zweifellos die größten Erfolge. Dort lagen ihnen die Verhältnisse im Staat
besonders günstig. Die vielseitig ausgestalteten Bildungsstätten, die vielfachen
Fortschritte in Industrie, Handel, Weltwirtschaft, und ein daraus sich entwickelndes
ungemein kompliziertes und verästeltes soziales und wirtschaftliches Leben gab
ihnen Bildungsmöglichkeiten, wie bei keiner der andern Teilungsmüchte. Aber
der preußische Staat gab der fremden Nationalität nicht zugleich die Möglichkeit
sich auszuleben. Und das ist wohl der letzte innere Grund, wenn die Beziehungen
von Volk zu Volk in Preußen nicht in dem Maße enger geworden sind, wie
es die dank preußischer Gesetzgebung erzielten Fortschritte der Polen erwarten
lassen konnten. Unser spätes Eintreten in die Weltwirtschaft, unser später Über¬
gang zur Kolonialpolitik zwang die Deutschen hauptsächlich ihr Fortkommen im
Innern des Landes zu suchen. Da blieb nur wenig Raum für Angehörige einer
andern Nationalität. Nur die Allertüchtigsten von ihr konnten sich in Stellungen
aufschwingen, die ihren materiellen Wünschen und ihrem sozialen Ehrgeiz ent¬
sprachen. Daraus entwickelten sich weiterhin die Hemmnisse in den Polen selbst
immer stärker, die außerhalb des preußischen Staates größere Entwickelungs¬
möglichkeiten für sich erkannten. Das natürliche Hinausstreben aus der Enge des
preußischen Staates, das sie übrigens gemein hatten mit Laufenden guten
Deutschen, die ins Ausland oder in die Kolomen wanderten, machte es
ihnen nicht mehr möglich, in den Verufszweigen Befriedigung zu suchen und
zu finden, die zu den sogenannten Herrschenden gehören, was weiterhin in
einem eirculuZ vitio8us zur Verstärkung des Mißbehagens gegen den
deutsch-preußischen Staat führte. Seit Inangriffnahme unserer Ansiedlungs-
politik mit der antipolnischen Begründung konnte sich die Zahl in den
Staatsdienst tretender Polen nicht entsprechend der Bevölkerungszunahme ver¬
mehren. Die Träger polnischer Namen, die wir in der Armee noch finden,
sind meist Nachkommen aus Familien des achtzehnten oder der Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts. Auch in der deutschen Verwaltung und Justiz¬
behörde verringerte sich die Zutrittsmöglichkeit für den polnischen Andrang.
Um so mehr traten sie in die freien Berufe, wurden Ärzte, Rechtsanwälte,
Agenten, Journalisten, Privatlehrer, mit einem Wort: sie schufen vor allem
jene Schicht, die in allen Ländern den Stamm jeder Opposition gegen den
Staat bildet und bemächtigten sich der Selbstverwaltung in den Städten der
Ostmark.

Gegenüber der gekennzeichneten Enge bei uns, hob sich die Weite Rußlands
und die sich darin bietenden Möglichkeiten sozialen und materiellen Aufstiegs
den Polen genau so wie vielen Deutschen um so lockender ab. In Rußland


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[0213] Das polnische Problem Daneben trug jede Reform nach demokratischen Grundsatze die Gefahr der Stärkung des stürmisch andrängenden UkrainertumS in sich und gefährdete die Polen in nationaler Hinsicht mehr als sie ihnen zu nutzen schien. Jn Preußen erzielten die Polen mit ihrer Mittelstand bildenden Parole zweifellos die größten Erfolge. Dort lagen ihnen die Verhältnisse im Staat besonders günstig. Die vielseitig ausgestalteten Bildungsstätten, die vielfachen Fortschritte in Industrie, Handel, Weltwirtschaft, und ein daraus sich entwickelndes ungemein kompliziertes und verästeltes soziales und wirtschaftliches Leben gab ihnen Bildungsmöglichkeiten, wie bei keiner der andern Teilungsmüchte. Aber der preußische Staat gab der fremden Nationalität nicht zugleich die Möglichkeit sich auszuleben. Und das ist wohl der letzte innere Grund, wenn die Beziehungen von Volk zu Volk in Preußen nicht in dem Maße enger geworden sind, wie es die dank preußischer Gesetzgebung erzielten Fortschritte der Polen erwarten lassen konnten. Unser spätes Eintreten in die Weltwirtschaft, unser später Über¬ gang zur Kolonialpolitik zwang die Deutschen hauptsächlich ihr Fortkommen im Innern des Landes zu suchen. Da blieb nur wenig Raum für Angehörige einer andern Nationalität. Nur die Allertüchtigsten von ihr konnten sich in Stellungen aufschwingen, die ihren materiellen Wünschen und ihrem sozialen Ehrgeiz ent¬ sprachen. Daraus entwickelten sich weiterhin die Hemmnisse in den Polen selbst immer stärker, die außerhalb des preußischen Staates größere Entwickelungs¬ möglichkeiten für sich erkannten. Das natürliche Hinausstreben aus der Enge des preußischen Staates, das sie übrigens gemein hatten mit Laufenden guten Deutschen, die ins Ausland oder in die Kolomen wanderten, machte es ihnen nicht mehr möglich, in den Verufszweigen Befriedigung zu suchen und zu finden, die zu den sogenannten Herrschenden gehören, was weiterhin in einem eirculuZ vitio8us zur Verstärkung des Mißbehagens gegen den deutsch-preußischen Staat führte. Seit Inangriffnahme unserer Ansiedlungs- politik mit der antipolnischen Begründung konnte sich die Zahl in den Staatsdienst tretender Polen nicht entsprechend der Bevölkerungszunahme ver¬ mehren. Die Träger polnischer Namen, die wir in der Armee noch finden, sind meist Nachkommen aus Familien des achtzehnten oder der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Auch in der deutschen Verwaltung und Justiz¬ behörde verringerte sich die Zutrittsmöglichkeit für den polnischen Andrang. Um so mehr traten sie in die freien Berufe, wurden Ärzte, Rechtsanwälte, Agenten, Journalisten, Privatlehrer, mit einem Wort: sie schufen vor allem jene Schicht, die in allen Ländern den Stamm jeder Opposition gegen den Staat bildet und bemächtigten sich der Selbstverwaltung in den Städten der Ostmark. Gegenüber der gekennzeichneten Enge bei uns, hob sich die Weite Rußlands und die sich darin bietenden Möglichkeiten sozialen und materiellen Aufstiegs den Polen genau so wie vielen Deutschen um so lockender ab. In Rußland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/213>, abgerufen am 30.05.2024.