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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Dei5 polnische Problem

war der Nutzen, die russische Sprache zu erlernen, offenbar. Ihre Kenntnis
vermittelte deu Zutritt zu den führenden Kreisen und verhalf zu Einfluß und
Stellung. Der Kontrast wurde um so größer, je mehr die Polen russisch lernten
und die russische Eiscnbcihnpolitik, die Industrialisierung, die Entwicklung von
Handel nach Osten und Süden den Polen die Möglichkeit bot, als überlegene
Konkurrenten neben die russischen Anwärter zu treten, während bei uns sür
jeden Posten hundert Anwärter vorhanden sind und die historische Entwicklung
den Zutritt zu den führenden Ämtern im Staat eigentlich nur ganz bestimmten
Kreisen offen gehalten hat.




Die wirtschaftliche Verbindung zwischen Polen und Moskowien hat erst
verhältnismäßig spät, jedenfalls nach dem Aufstande von 1863 mit dem Ausbau
der Verkehrsmittel und der beginnenden Industrialisierung vorwiegend unter
Mitwirkung deutscher Unternehmer in der für den sozialen Aufbau des Volkes
wirkungsvollen Weise eingesetzt; die Annäherung und Aussprache zwischen den
geistigen Führern begann dagegen schon im achtzehnten Jahrhundert; sie ist
ein Ausschnitt aus der Geschichte des Panslawismus. Während aber die wirt¬
schaftliche Verbindung der polnischen Weichselgouvernements mit dem übrigen
russischen Staatsgebiet gewaltsam durch tiefgreifende Reformen und streng gehand-
habte Verwaltungsvorschriften einseitig als eine Machtäußerung des Zaren durch¬
geführt wurde, fanden sich die geistigen Führer von hüben und drüben freiwillig
zusammen. Auf der einen Seite Agrarreform, Gerichtsreform, Universitätsstatute
und Schulverordnungen, mit ihrem mechanischen Druck auf die polnische Nationalität,
auf der andern die Namen: Alexander der Erste -- Adam Czartoryski -- Puschkin--
Mickiewicz, Alexander der Zweite -- Wjelopolski, Kawelin -- Pypin -- Spasfo-
wicz -- Pilz -- Karejew -- Switztochowski -- Pogodin -- Roman Dmowski --
Ossuchowski -- Suworin -- Lednicki und mancher andere -- das sind die Mark¬
steine und Wegweiser an der Bahn polnisch-russtschenZusammenhangs, denen, woran
erinnert sei, ebensolche polnisch - europäischen Zusammenhangs gegenüberstehen,
eben diejenigen, die jetzt die Führung des polnischen Volkes in der Hand haben.

Der polnische Bauer, den Alexander der Zweite befreite, mit Land aus¬
rüstete, und in scharfen Gegensatz zum Grundherrn brachte, ist der eigentliche
Träger des russisch-polnischen Zusammenhangs. Seine mangelhafte Bildung
zusammen mit der der Bauernbevölkerung eigenen, auf das grob materielle Nächste
gerichteten Sinnesart, machte ihn besonders dazu geeignet.

Nach der Bauernbefreiung war es noch möglich, daß die Polen russische
Soldaten überfielen und das Auftreten des Marquis Wjelopolski ver¬
warfen und hintertrieben -- was das Signal für die russische Regierung
wurde, die Reformen in ganz Rußland abzubrechen --, 1905 führte der Kampf
gegen den absoluten Beamtenstaat in Rußland die Polen aller sozialen Schichten
an die Seite der entsprechenden Kreise der Russen: die Intelligenz ging mit
der Intelligenz, die Arbeiter gingen mit den Arbeitern; Gutsbesitzer und Industrielle,


Dei5 polnische Problem

war der Nutzen, die russische Sprache zu erlernen, offenbar. Ihre Kenntnis
vermittelte deu Zutritt zu den führenden Kreisen und verhalf zu Einfluß und
Stellung. Der Kontrast wurde um so größer, je mehr die Polen russisch lernten
und die russische Eiscnbcihnpolitik, die Industrialisierung, die Entwicklung von
Handel nach Osten und Süden den Polen die Möglichkeit bot, als überlegene
Konkurrenten neben die russischen Anwärter zu treten, während bei uns sür
jeden Posten hundert Anwärter vorhanden sind und die historische Entwicklung
den Zutritt zu den führenden Ämtern im Staat eigentlich nur ganz bestimmten
Kreisen offen gehalten hat.




Die wirtschaftliche Verbindung zwischen Polen und Moskowien hat erst
verhältnismäßig spät, jedenfalls nach dem Aufstande von 1863 mit dem Ausbau
der Verkehrsmittel und der beginnenden Industrialisierung vorwiegend unter
Mitwirkung deutscher Unternehmer in der für den sozialen Aufbau des Volkes
wirkungsvollen Weise eingesetzt; die Annäherung und Aussprache zwischen den
geistigen Führern begann dagegen schon im achtzehnten Jahrhundert; sie ist
ein Ausschnitt aus der Geschichte des Panslawismus. Während aber die wirt¬
schaftliche Verbindung der polnischen Weichselgouvernements mit dem übrigen
russischen Staatsgebiet gewaltsam durch tiefgreifende Reformen und streng gehand-
habte Verwaltungsvorschriften einseitig als eine Machtäußerung des Zaren durch¬
geführt wurde, fanden sich die geistigen Führer von hüben und drüben freiwillig
zusammen. Auf der einen Seite Agrarreform, Gerichtsreform, Universitätsstatute
und Schulverordnungen, mit ihrem mechanischen Druck auf die polnische Nationalität,
auf der andern die Namen: Alexander der Erste — Adam Czartoryski — Puschkin—
Mickiewicz, Alexander der Zweite — Wjelopolski, Kawelin — Pypin — Spasfo-
wicz — Pilz — Karejew — Switztochowski — Pogodin — Roman Dmowski —
Ossuchowski — Suworin — Lednicki und mancher andere — das sind die Mark¬
steine und Wegweiser an der Bahn polnisch-russtschenZusammenhangs, denen, woran
erinnert sei, ebensolche polnisch - europäischen Zusammenhangs gegenüberstehen,
eben diejenigen, die jetzt die Führung des polnischen Volkes in der Hand haben.

Der polnische Bauer, den Alexander der Zweite befreite, mit Land aus¬
rüstete, und in scharfen Gegensatz zum Grundherrn brachte, ist der eigentliche
Träger des russisch-polnischen Zusammenhangs. Seine mangelhafte Bildung
zusammen mit der der Bauernbevölkerung eigenen, auf das grob materielle Nächste
gerichteten Sinnesart, machte ihn besonders dazu geeignet.

Nach der Bauernbefreiung war es noch möglich, daß die Polen russische
Soldaten überfielen und das Auftreten des Marquis Wjelopolski ver¬
warfen und hintertrieben — was das Signal für die russische Regierung
wurde, die Reformen in ganz Rußland abzubrechen —, 1905 führte der Kampf
gegen den absoluten Beamtenstaat in Rußland die Polen aller sozialen Schichten
an die Seite der entsprechenden Kreise der Russen: die Intelligenz ging mit
der Intelligenz, die Arbeiter gingen mit den Arbeitern; Gutsbesitzer und Industrielle,


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[0214] Dei5 polnische Problem war der Nutzen, die russische Sprache zu erlernen, offenbar. Ihre Kenntnis vermittelte deu Zutritt zu den führenden Kreisen und verhalf zu Einfluß und Stellung. Der Kontrast wurde um so größer, je mehr die Polen russisch lernten und die russische Eiscnbcihnpolitik, die Industrialisierung, die Entwicklung von Handel nach Osten und Süden den Polen die Möglichkeit bot, als überlegene Konkurrenten neben die russischen Anwärter zu treten, während bei uns sür jeden Posten hundert Anwärter vorhanden sind und die historische Entwicklung den Zutritt zu den führenden Ämtern im Staat eigentlich nur ganz bestimmten Kreisen offen gehalten hat. Die wirtschaftliche Verbindung zwischen Polen und Moskowien hat erst verhältnismäßig spät, jedenfalls nach dem Aufstande von 1863 mit dem Ausbau der Verkehrsmittel und der beginnenden Industrialisierung vorwiegend unter Mitwirkung deutscher Unternehmer in der für den sozialen Aufbau des Volkes wirkungsvollen Weise eingesetzt; die Annäherung und Aussprache zwischen den geistigen Führern begann dagegen schon im achtzehnten Jahrhundert; sie ist ein Ausschnitt aus der Geschichte des Panslawismus. Während aber die wirt¬ schaftliche Verbindung der polnischen Weichselgouvernements mit dem übrigen russischen Staatsgebiet gewaltsam durch tiefgreifende Reformen und streng gehand- habte Verwaltungsvorschriften einseitig als eine Machtäußerung des Zaren durch¬ geführt wurde, fanden sich die geistigen Führer von hüben und drüben freiwillig zusammen. Auf der einen Seite Agrarreform, Gerichtsreform, Universitätsstatute und Schulverordnungen, mit ihrem mechanischen Druck auf die polnische Nationalität, auf der andern die Namen: Alexander der Erste — Adam Czartoryski — Puschkin— Mickiewicz, Alexander der Zweite — Wjelopolski, Kawelin — Pypin — Spasfo- wicz — Pilz — Karejew — Switztochowski — Pogodin — Roman Dmowski — Ossuchowski — Suworin — Lednicki und mancher andere — das sind die Mark¬ steine und Wegweiser an der Bahn polnisch-russtschenZusammenhangs, denen, woran erinnert sei, ebensolche polnisch - europäischen Zusammenhangs gegenüberstehen, eben diejenigen, die jetzt die Führung des polnischen Volkes in der Hand haben. Der polnische Bauer, den Alexander der Zweite befreite, mit Land aus¬ rüstete, und in scharfen Gegensatz zum Grundherrn brachte, ist der eigentliche Träger des russisch-polnischen Zusammenhangs. Seine mangelhafte Bildung zusammen mit der der Bauernbevölkerung eigenen, auf das grob materielle Nächste gerichteten Sinnesart, machte ihn besonders dazu geeignet. Nach der Bauernbefreiung war es noch möglich, daß die Polen russische Soldaten überfielen und das Auftreten des Marquis Wjelopolski ver¬ warfen und hintertrieben — was das Signal für die russische Regierung wurde, die Reformen in ganz Rußland abzubrechen —, 1905 führte der Kampf gegen den absoluten Beamtenstaat in Rußland die Polen aller sozialen Schichten an die Seite der entsprechenden Kreise der Russen: die Intelligenz ging mit der Intelligenz, die Arbeiter gingen mit den Arbeitern; Gutsbesitzer und Industrielle,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/214>, abgerufen am 28.05.2024.