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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Abriß meiner Haager Berichterstattung

leuten noch nicht zum Bewußtsein gekommen sein. Am 16. Dezember 1918 wurde
ich auf meinen Antrag abberufen.

Wollte ich Schlußbetrachtungen anstellen, erginge es mir wie Thor, der ein
Trinkhorn zu leeren versuchte, das mit dem Weltmeer in Verbindung stand. Ich
beschränke mich darauf, einige meiner Haager Eindrücke zu unterstreichen. Sie
sind natürlich subjektiv, werden aber mit denen anderer Beobachter in Verbindung
gebracht, zur schließlichen Klärung des Tatbestandes beitragen. Ich bin davon
überzeugt, daß unser Heer noch nicht geschlagen war. als wir die Waffen streckten,
und nach menschlichem Ermessen auch nicht geschlagen worden wäre, wenn wir
die feindliche Offensive sich hätten totlaufen lassen. Die Flinte ins Korn zu
werfen, war das dümmste, was wir machen konnten. Mit der Kriegsbegeisterung
der Fcindvölker einschließlich der Amerikaner stand es im Herbst 1918 Matthäi
am Letzten. Der von mir vorgeschlagene Pakt mit dem Zeitgeist hätte uns, recht¬
zeitig von der Krone eingegangen, und von der erforderlichen Energie getragen,
über die Schlußphase des Krieges hinweggeholfen. Preußen-Deutschland hat sich
schon mehr als einmal die Parole vom Feinde geholt und ins preußisch-deutsche
übersetzt. Die soziale Monarchie, auf die ich hinauswollte, liegt auf unserem
gegebenen Wege. Die Feinde wußten sehr wohl, warum sie uns zum Hinauswurf
der Hohenzollern animierten. Ich verweise hierfür auf meinen Bericht vom
24. Oktober 1917. Durch unseren Verrat an den Hohenzollern haben wir der
Gegenseite in die Hände gespielt und uns außerdem um den letzten Nest ihrer
Achtung gebracht. Aber auch dann war noch nicht alles verloren. Wie gut die Karte
ist, die wir an Wilsons Zusicherungen besitzen, haben wir bis heute noch nicht
begriffen. Einem Volk, das auf seinem Recht besteht und zu passiver Resistenz
entschlossen ist, läßt sich schwer beikommen. Das haben mich die Holländer gelehrt.
Deutschland hat sich noch nie in einer Lage befunden, in der sich nichts unternehmen
ließ. Das gilt auch von unserer heutigen. D:e Feindwelt war von unserem Zusammen¬
bruch so überrascht und angewidert, daß sie die Versailler Teufeleien zuließ und
bejubelte. Und wieder haben wir ihr in die Hände gearbeitet. Unsere Selbst-
beschmutzer führten das große Wort. Indessen ist seither ohne unser Zutun eine
gewisse Ernüchterung eingetreten. Wenigstens bei den Angelsachsen. Mit hollän¬
discher Politik wäre schon jetzt einiges zu erreichen. Wie schon so viele Gelegen-
heilen werden wir aber auch die derzeitigen und zukünftigen verpassen, solange
das Vacuum weiter besteht. Am 17. Mai 1915 hatte ich aus Rom geschrieben: "Die
Armee kann nur Schlachten, aber keinen Krieg gewinnen. Sorgt die Armee nicht
für umgehende Reform, wird uns das Auswärtige Amt diesen Krieg verlieren."
Beim Verlassen des Haags hätte ich schreiben können: Die Reichsregierung, die
keine war, hat uns den Krieg verloren. Damals wäre es aber ums Papier schade
gewesen. Heute verlohnt es sich vielleicht schon, auf die verheerende Wirkung des
Vacuums hinzuweisen. Es verträgt sich anscheinend mit jeder Regierungsform,
jedenfalls hat es die monarchische überlebt.




Abriß meiner Haager Berichterstattung

leuten noch nicht zum Bewußtsein gekommen sein. Am 16. Dezember 1918 wurde
ich auf meinen Antrag abberufen.

Wollte ich Schlußbetrachtungen anstellen, erginge es mir wie Thor, der ein
Trinkhorn zu leeren versuchte, das mit dem Weltmeer in Verbindung stand. Ich
beschränke mich darauf, einige meiner Haager Eindrücke zu unterstreichen. Sie
sind natürlich subjektiv, werden aber mit denen anderer Beobachter in Verbindung
gebracht, zur schließlichen Klärung des Tatbestandes beitragen. Ich bin davon
überzeugt, daß unser Heer noch nicht geschlagen war. als wir die Waffen streckten,
und nach menschlichem Ermessen auch nicht geschlagen worden wäre, wenn wir
die feindliche Offensive sich hätten totlaufen lassen. Die Flinte ins Korn zu
werfen, war das dümmste, was wir machen konnten. Mit der Kriegsbegeisterung
der Fcindvölker einschließlich der Amerikaner stand es im Herbst 1918 Matthäi
am Letzten. Der von mir vorgeschlagene Pakt mit dem Zeitgeist hätte uns, recht¬
zeitig von der Krone eingegangen, und von der erforderlichen Energie getragen,
über die Schlußphase des Krieges hinweggeholfen. Preußen-Deutschland hat sich
schon mehr als einmal die Parole vom Feinde geholt und ins preußisch-deutsche
übersetzt. Die soziale Monarchie, auf die ich hinauswollte, liegt auf unserem
gegebenen Wege. Die Feinde wußten sehr wohl, warum sie uns zum Hinauswurf
der Hohenzollern animierten. Ich verweise hierfür auf meinen Bericht vom
24. Oktober 1917. Durch unseren Verrat an den Hohenzollern haben wir der
Gegenseite in die Hände gespielt und uns außerdem um den letzten Nest ihrer
Achtung gebracht. Aber auch dann war noch nicht alles verloren. Wie gut die Karte
ist, die wir an Wilsons Zusicherungen besitzen, haben wir bis heute noch nicht
begriffen. Einem Volk, das auf seinem Recht besteht und zu passiver Resistenz
entschlossen ist, läßt sich schwer beikommen. Das haben mich die Holländer gelehrt.
Deutschland hat sich noch nie in einer Lage befunden, in der sich nichts unternehmen
ließ. Das gilt auch von unserer heutigen. D:e Feindwelt war von unserem Zusammen¬
bruch so überrascht und angewidert, daß sie die Versailler Teufeleien zuließ und
bejubelte. Und wieder haben wir ihr in die Hände gearbeitet. Unsere Selbst-
beschmutzer führten das große Wort. Indessen ist seither ohne unser Zutun eine
gewisse Ernüchterung eingetreten. Wenigstens bei den Angelsachsen. Mit hollän¬
discher Politik wäre schon jetzt einiges zu erreichen. Wie schon so viele Gelegen-
heilen werden wir aber auch die derzeitigen und zukünftigen verpassen, solange
das Vacuum weiter besteht. Am 17. Mai 1915 hatte ich aus Rom geschrieben: „Die
Armee kann nur Schlachten, aber keinen Krieg gewinnen. Sorgt die Armee nicht
für umgehende Reform, wird uns das Auswärtige Amt diesen Krieg verlieren."
Beim Verlassen des Haags hätte ich schreiben können: Die Reichsregierung, die
keine war, hat uns den Krieg verloren. Damals wäre es aber ums Papier schade
gewesen. Heute verlohnt es sich vielleicht schon, auf die verheerende Wirkung des
Vacuums hinzuweisen. Es verträgt sich anscheinend mit jeder Regierungsform,
jedenfalls hat es die monarchische überlebt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/427>, abgerufen am 28.05.2024.