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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelniederdeutsche vocale.
40b 44a etc. Schwerlich sind so häufige ungenaue reime
(wolde:schulde) anzunehmen. -- Manchmahl vertritt o
sowohl a als a, vgl. gandersh. 148a gemolt (pictus):golt
und das vorhin beim a bemerkte holden etc.; dafür
bleibt a in van, sal, wal (mittelh. von, sol, wol), van
und wal beweist inzwischen kein veldeckischer reim, sal
und sald bindet er häufig mit al, gewald z. b. En. 73b. c.

(U) folgerechter scheint o in allen fällen des mittelh.
kurzen u (s. vorhin beim i), mithin on-, konne, scold,
vorste etc. Vielleicht schwankten mundarten in einzelnen
wörtern, die sich, weil keine reine quelle vorliegt, schwer
ausmitteln (s. hernach den umlaut ü).

(OE) ö, dieses umlauts des o bin ich auch nicht
sicher; theoretisch würde er z. b. im conj. störve (more-
retur) wörve, vlöge stattfinden. Veld. reimt törne (tur-
res):gerne (libenter) En. 98a 100c, welches vom sing.
torn (Herb. 30c 54b:horn, geborn) herkäme, erträglich;
beßer klänge terne (d. h. terne) vom sing. tarn, insofern
er zu erweisen stünde, Mor. 63b harn:verlarn, neben
horn:verlorn.

(UE) ü; gilt o durchweg für u, so ist dieser umlaut
ebenfalls abgeschnitten. Desto eher ließe sich die aus-
nahmsweise kürzung des iu in ü hören, die schon beim
mittelh. (s. 353. 450.) annäherung zum niederd. schien,
nämlich fründe fand sich gerade bei Heinr. v. mor. und
findet sich ferner Herb. 16a 28d 33d etc. morolf 44a 56b,
freilich im reim auf organ. ü (ünde, urkünde, sünde).
Veldek hat jedoch nirgends ein solches fründe, wiewohl
er kunde:funde (? künde, fünde) 16b reimt.

(AA) a, ganz der mittelh. laut; zu merken ist
1) verwechslung mit kurzem a, En. 17b mag (possum):
mag (parens). 2) es scheint bei Veld. noch kein umlaut
des a in ae zu gelten, beweis die reime wane (opinor):
ane En. 4b; wanen:deianen 27b; openbare (palam):ware
(esset) 43a; waren (erant): erkaren (propugnaculis) 49a;
waren:troijaren 50a 53a; waren:swaren (gravibus) 53a
54a; mare:openbare:jare:ware:sware M. S. 1, 18a;
jare:clare:mare 1, 19a; oder sind alles ungenaue reime
waene:ane, waren:swaeren etc.? Dafür spricht sogar
der reim keren:troijaren oder troijaeren 78a (das ange-
führte minnelied 1, 19a sondert aber reimende e in einer
folg. strophe genau ab) und die berührung des ae mit e;
auch reimen 7c bedaehte:rehte. Herb. 9d 34c reimt un-
dare (oben s. 340.), vare (dolo):widerkare (reditus,
? widerkere) und 89d baren:aren.


I. mittelniederdeutſche vocale.
40b 44a etc. Schwerlich ſind ſo häufige ungenaue reime
(wolde:ſchulde) anzunehmen. — Manchmahl vertritt o
ſowohl â als a, vgl. gandersh. 148a gemolt (pictus):golt
und das vorhin beim a bemerkte holden etc.; dafür
bleibt a in van, ſal, wal (mittelh. von, ſol, wol), van
und wal beweiſt inzwiſchen kein veldeckiſcher reim, ſal
und ſald bindet er häufig mit al, gewald z. b. En. 73b. c.

(U) folgerechter ſcheint o in allen fällen des mittelh.
kurzen u (ſ. vorhin beim i), mithin on-, konne, ſcold,
vorſte etc. Vielleicht ſchwankten mundarten in einzelnen
wörtern, die ſich, weil keine reine quelle vorliegt, ſchwer
ausmitteln (ſ. hernach den umlaut ü).

(OE) ö, dieſes umlauts des o bin ich auch nicht
ſicher; theoretiſch würde er z. b. im conj. ſtörve (more-
retur) wörve, vlöge ſtattfinden. Veld. reimt törne (tur-
res):gërne (libenter) En. 98a 100c, welches vom ſing.
torn (Herb. 30c 54b:horn, geborn) herkäme, erträglich;
beßer klänge tërne (d. h. terne) vom ſing. tarn, inſofern
er zu erweiſen ſtünde, Mor. 63b harn:verlarn, neben
horn:verlorn.

(UE) ü; gilt o durchweg für u, ſo iſt dieſer umlaut
ebenfalls abgeſchnitten. Deſto eher ließe ſich die aus-
nahmsweiſe kürzung des iu in ü hören, die ſchon beim
mittelh. (ſ. 353. 450.) annäherung zum niederd. ſchien,
nämlich fründe fand ſich gerade bei Heinr. v. mor. und
findet ſich ferner Herb. 16a 28d 33d etc. morolf 44a 56b,
freilich im reim auf organ. ü (ünde, urkünde, ſünde).
Veldek hat jedoch nirgends ein ſolches fründe, wiewohl
er kunde:funde (? künde, fünde) 16b reimt.

(AA) â, ganz der mittelh. laut; zu merken iſt
1) verwechſlung mit kurzem a, En. 17b mag (poſſum):
mâg (parens). 2) es ſcheint bei Veld. noch kein umlaut
des a in æ zu gelten, beweis die reime wâne (opinor):
âne En. 4b; wânen:dîânen 27b; openbâre (palam):wâre
(eſſet) 43a; wâren (erant): ërkâren (propugnaculis) 49a;
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54a; mâre:openbâre:jâre:wâre:ſwâre M. S. 1, 18a;
jâre:clâre:mâre 1, 19a; oder ſind alles ungenaue reime
wæne:âne, wâren:ſwæren etc.? Dafür ſpricht ſogar
der reim kêren:troijâren oder troijæren 78a (das ange-
führte minnelied 1, 19a ſondert aber reimende ê in einer
folg. ſtrophe genau ab) und die berührung des æ mit ê;
auch reimen 7c bedæhte:rëhte. Herb. 9d 34c reimt un-
dâre (oben ſ. 340.), vâre (dolo):widerkâre (reditus,
? widerkêre) und 89d bâren:âren.


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[458/0484] I. mittelniederdeutſche vocale. 40b 44a etc. Schwerlich ſind ſo häufige ungenaue reime (wolde:ſchulde) anzunehmen. — Manchmahl vertritt o ſowohl â als a, vgl. gandersh. 148a gemolt (pictus):golt und das vorhin beim a bemerkte holden etc.; dafür bleibt a in van, ſal, wal (mittelh. von, ſol, wol), van und wal beweiſt inzwiſchen kein veldeckiſcher reim, ſal und ſald bindet er häufig mit al, gewald z. b. En. 73b. c. (U) folgerechter ſcheint o in allen fällen des mittelh. kurzen u (ſ. vorhin beim i), mithin on-, konne, ſcold, vorſte etc. Vielleicht ſchwankten mundarten in einzelnen wörtern, die ſich, weil keine reine quelle vorliegt, ſchwer ausmitteln (ſ. hernach den umlaut ü). (OE) ö, dieſes umlauts des o bin ich auch nicht ſicher; theoretiſch würde er z. b. im conj. ſtörve (more- retur) wörve, vlöge ſtattfinden. Veld. reimt törne (tur- res):gërne (libenter) En. 98a 100c, welches vom ſing. torn (Herb. 30c 54b:horn, geborn) herkäme, erträglich; beßer klänge tërne (d. h. terne) vom ſing. tarn, inſofern er zu erweiſen ſtünde, Mor. 63b harn:verlarn, neben horn:verlorn. (UE) ü; gilt o durchweg für u, ſo iſt dieſer umlaut ebenfalls abgeſchnitten. Deſto eher ließe ſich die aus- nahmsweiſe kürzung des iu in ü hören, die ſchon beim mittelh. (ſ. 353. 450.) annäherung zum niederd. ſchien, nämlich fründe fand ſich gerade bei Heinr. v. mor. und findet ſich ferner Herb. 16a 28d 33d etc. morolf 44a 56b, freilich im reim auf organ. ü (ünde, urkünde, ſünde). Veldek hat jedoch nirgends ein ſolches fründe, wiewohl er kunde:funde (? künde, fünde) 16b reimt. (AA) â, ganz der mittelh. laut; zu merken iſt 1) verwechſlung mit kurzem a, En. 17b mag (poſſum): mâg (parens). 2) es ſcheint bei Veld. noch kein umlaut des a in æ zu gelten, beweis die reime wâne (opinor): âne En. 4b; wânen:dîânen 27b; openbâre (palam):wâre (eſſet) 43a; wâren (erant): ërkâren (propugnaculis) 49a; wâren:troijâren 50a 53a; wâren:ſwâren (gravibus) 53a 54a; mâre:openbâre:jâre:wâre:ſwâre M. S. 1, 18a; jâre:clâre:mâre 1, 19a; oder ſind alles ungenaue reime wæne:âne, wâren:ſwæren etc.? Dafür ſpricht ſogar der reim kêren:troijâren oder troijæren 78a (das ange- führte minnelied 1, 19a ſondert aber reimende ê in einer folg. ſtrophe genau ab) und die berührung des æ mit ê; auch reimen 7c bedæhte:rëhte. Herb. 9d 34c reimt un- dâre (oben ſ. 340.), vâre (dolo):widerkâre (reditus, ? widerkêre) und 89d bâren:âren.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/484>, abgerufen am 17.06.2024.