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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelniederländische vocale.
(magnum) oghen (oculi) doghen (durare) hoghen (altum)
node (necessitate) blode (meticulosus) dode (morte) etc.
hingegen hon (contumelia) lon (merces) bom (arbor)
grot not, dot und horde (audivit) hort (audit) verdort
(insipiens) lopt (currit) hoch (altus) soch (sugebat). Zum
beweis dienen die reime gheploghen:hoghen Maerl. 2,
243. toghen (ostendere):droghen (sicco) Maerl. 3, 236.
horen:tevoren (supra) 3, 245., verglichen mit voren:
toren (violentia, zorn) 3. 254. gheboren (natus):horen
3, 291. 294. 2, 317. Völlig ausgemacht scheinen mir
gleichwohl diese kürzungen nicht, indem die hss. zuwei-
len o (oo) schreiben, wo bloßes o erfordert würde (z. b.
Rein. 310. 331. node, blode, doden) und was mehr be-
deutet, entschieden kurze o aufeinander zu reimen pfle-
gen (bode:gode:ghebode; vrome, come), nicht leicht
aber auf die verkürzten node, blode, ome, gome etc. --
6) analoge kürzung des oe in o gilt nicht, es heißt
groeten (salutare) bloede (sanguine) bloemen (flori-
bus) etc.; ausnahmsweise findet sie jedoch statt und zwar
immer in rochte, sochte (curavit, quaesivit) von roe-
ken, soeken, die beständig auf mochte, dochte, sochte
(lenis) reimen, hin und wieder in andern reimen
als comen:blomen, domen, st. bloemen, doemen
Maerl. 2, 308. 370. 475. brudegome:blome 3, 283. (vgl.
unten o und oe).

(U) in einigen formen noch nicht in o übergegan-
gen, wie es scheint zumeist vor ll. dd. tt. ggh. cht. st.
als: dullen (insipere) vullen (implere) doch im adj. neben
vul auch vol. vollen; mudde (modius Maerl. 1, 397.)
nutte (utilis) rugghe. brugghe. lucht (aer) vrucht (fructus)
vrucht (metus) suchten (gemere) lust (desiderium) rust
(quies) etc. Ob die aussprache dem hochd. u oder ü
glich? läßt sich schwer sagen (vgl. den übergang in i,
s. 471. und umgedreht des i in u, als lustich, juchtich
f. listich, gichtich Maerl. 2, 112.). Ein anderes beden-
ken macht die kürzung des au in u, welche nach der
beim a und o entwickelten regel einzutreten scheint,
nämlich die denkmähler schreiben freilich haus, huse;
ghelaut, ghelude; raum, rume; maur, mure; braun, bru-
nen; taun (sepes) tune etc. aber nicht durchgehends, z. b.
Rein. 308. steht hause. Die reime lehren hier aber nichts,
da alle organisch kurzen u vor einf. cons. längst zu o
geworden sind (z. b. vrom, somer, sone); eben weil bru-
nen, tune nicht in bronen, tone übergehen, möchte
ich die kürzung leuguen. Wenn sich mit ausgestoße-

I. mittelniederländiſche vocale.
(magnum) oghen (oculi) doghen (durare) hoghen (altum)
node (neceſſitate) blode (meticuloſus) dode (morte) etc.
hingegen hôn (contumelia) lôn (merces) bôm (arbor)
grôt nôt, dôt und hôrde (audivit) hôrt (audit) verdôrt
(inſipiens) lôpt (currit) hôch (altus) ſôch (ſugebat). Zum
beweis dienen die reime gheploghen:hoghen Maerl. 2,
243. toghen (oſtendere):droghen (ſicco) Maerl. 3, 236.
horen:tëvoren (ſupra) 3, 245., verglichen mit voren:
toren (violentia, zorn) 3. 254. gheboren (natus):horen
3, 291. 294. 2, 317. Völlig ausgemacht ſcheinen mir
gleichwohl dieſe kürzungen nicht, indem die hſſ. zuwei-
len ô (oo) ſchreiben, wo bloßes o erfordert würde (z. b.
Rein. 310. 331. nôde, blôde, dôden) und was mehr be-
deutet, entſchieden kurze o aufeinander zu reimen pfle-
gen (bode:gode:ghebode; vrome, come), nicht leicht
aber auf die verkürzten node, blode, ome, gome etc. —
6) analoge kürzung des oe in o gilt nicht, es heißt
groeten (ſalutare) bloede (ſanguine) bloemen (flori-
bus) etc.; ausnahmsweiſe findet ſie jedoch ſtatt und zwar
immer in rochte, ſochte (curavit, quaeſivit) von roe-
ken, ſoeken, die beſtändig auf mochte, dochte, ſochte
(lenis) reimen, hin und wieder in andern reimen
als comen:blomen, domen, ſt. bloemen, doemen
Maerl. 2, 308. 370. 475. brudegome:blome 3, 283. (vgl.
unten ô und oe).

(U) in einigen formen noch nicht in o übergegan-
gen, wie es ſcheint zumeiſt vor ll. dd. tt. ggh. cht. ſt.
als: dullen (inſipere) vullen (implere) doch im adj. neben
vul auch vol. vollen; mudde (modius Maerl. 1, 397.)
nutte (utilis) rugghe. brugghe. lucht (aer) vrucht (fructus)
vrucht (metus) ſuchten (gemere) luſt (deſiderium) ruſt
(quies) etc. Ob die ausſprache dem hochd. u oder ü
glich? läßt ſich ſchwer ſagen (vgl. den übergang in i,
ſ. 471. und umgedreht des i in u, als luſtich, juchtich
f. liſtich, gichtich Maerl. 2, 112.). Ein anderes beden-
ken macht die kürzung des û in u, welche nach der
beim a und o entwickelten regel einzutreten ſcheint,
nämlich die denkmähler ſchreiben freilich hûs, huſe;
ghelût, ghelude; rûm, rume; mûr, mure; brûn, bru-
nen; tûn (ſepes) tune etc. aber nicht durchgehends, z. b.
Rein. 308. ſteht hûſe. Die reime lehren hier aber nichts,
da alle organiſch kurzen u vor einf. conſ. längſt zu o
geworden ſind (z. b. vrom, ſomer, ſone); eben weil bru-
nen, tune nicht in bronen, tone übergehen, möchte
ich die kürzung leuguen. Wenn ſich mit ausgeſtoße-

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[472/0498] I. mittelniederländiſche vocale. (magnum) oghen (oculi) doghen (durare) hoghen (altum) node (neceſſitate) blode (meticuloſus) dode (morte) etc. hingegen hôn (contumelia) lôn (merces) bôm (arbor) grôt nôt, dôt und hôrde (audivit) hôrt (audit) verdôrt (inſipiens) lôpt (currit) hôch (altus) ſôch (ſugebat). Zum beweis dienen die reime gheploghen:hoghen Maerl. 2, 243. toghen (oſtendere):droghen (ſicco) Maerl. 3, 236. horen:tëvoren (ſupra) 3, 245., verglichen mit voren: toren (violentia, zorn) 3. 254. gheboren (natus):horen 3, 291. 294. 2, 317. Völlig ausgemacht ſcheinen mir gleichwohl dieſe kürzungen nicht, indem die hſſ. zuwei- len ô (oo) ſchreiben, wo bloßes o erfordert würde (z. b. Rein. 310. 331. nôde, blôde, dôden) und was mehr be- deutet, entſchieden kurze o aufeinander zu reimen pfle- gen (bode:gode:ghebode; vrome, come), nicht leicht aber auf die verkürzten node, blode, ome, gome etc. — 6) analoge kürzung des oe in o gilt nicht, es heißt groeten (ſalutare) bloede (ſanguine) bloemen (flori- bus) etc.; ausnahmsweiſe findet ſie jedoch ſtatt und zwar immer in rochte, ſochte (curavit, quaeſivit) von roe- ken, ſoeken, die beſtändig auf mochte, dochte, ſochte (lenis) reimen, hin und wieder in andern reimen als comen:blomen, domen, ſt. bloemen, doemen Maerl. 2, 308. 370. 475. brudegome:blome 3, 283. (vgl. unten ô und oe). (U) in einigen formen noch nicht in o übergegan- gen, wie es ſcheint zumeiſt vor ll. dd. tt. ggh. cht. ſt. als: dullen (inſipere) vullen (implere) doch im adj. neben vul auch vol. vollen; mudde (modius Maerl. 1, 397.) nutte (utilis) rugghe. brugghe. lucht (aer) vrucht (fructus) vrucht (metus) ſuchten (gemere) luſt (deſiderium) ruſt (quies) etc. Ob die ausſprache dem hochd. u oder ü glich? läßt ſich ſchwer ſagen (vgl. den übergang in i, ſ. 471. und umgedreht des i in u, als luſtich, juchtich f. liſtich, gichtich Maerl. 2, 112.). Ein anderes beden- ken macht die kürzung des û in u, welche nach der beim a und o entwickelten regel einzutreten ſcheint, nämlich die denkmähler ſchreiben freilich hûs, huſe; ghelût, ghelude; rûm, rume; mûr, mure; brûn, bru- nen; tûn (ſepes) tune etc. aber nicht durchgehends, z. b. Rein. 308. ſteht hûſe. Die reime lehren hier aber nichts, da alle organiſch kurzen u vor einf. conſ. längſt zu o geworden ſind (z. b. vrom, ſomer, ſone); eben weil bru- nen, tune nicht in bronen, tone übergehen, möchte ich die kürzung leuguen. Wenn ſich mit ausgeſtoße-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/498>, abgerufen am 17.06.2024.