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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Die Napoleoniden.
Romoaldo, ist so alt, daß sie vielleicht hofft, der Tod
werde sie übergehen, und lebt doch Luciano noch, den
sie lieber hatte als Napolione, Luciano, der sie nicht
mit harten Worten kränkte, schreibt doch auch Giuseppe
zuweilen aus Nordamerika, und Girolamo besucht sie
aus Florenz, Girolamo, ihr jüngster Sohn, den Na¬
polione so sehr tyrannisirte, Girolamo, der mit Gewalt
ein großer Admiral, oder wenigstens ein König werden
sollte, und doch artiger war, als alle übrigen.

Die gute Alte! dort liegt sie, auf dem bettarti¬
gen Sopha, ihr dürrer Leib, der so viel Könige ent¬
hielt, in weite Shawls gewickelt, blind, aber ohne
Prophezeiung, mit gedörrten Zügen, aber lebhaft, ge¬
schwätzig, Liebhaberin von Neuigkeiten, im muntern
Gespräch mit Onkel Fesch, nicht anders, wie einst im
Pallast de l'Elisee von Paris.

Onkel Fesch, dieser verschlagene Priester im Vio¬
lettstrumpf und rothem Hut, will noch jetzt die Dinge
immer besser wissen, als Napoleon; er beweist der
Matrone, welche schlummernd zuhört und schläfriglä¬
chelnden Beifall nickt, wie es der todte Kaiser hätte an¬
fangen sollen, wie Alles gekommen wäre, wenn er auf
ihn gehört hätte, wie er aber immer tollkühn und ty¬
rannisch gewesen sey. Hier seufzt Madame Lätitia;

Die Napoleoniden.
Romoaldo, iſt ſo alt, daß ſie vielleicht hofft, der Tod
werde ſie uͤbergehen, und lebt doch Luciano noch, den
ſie lieber hatte als Napolione, Luciano, der ſie nicht
mit harten Worten kraͤnkte, ſchreibt doch auch Giuſeppe
zuweilen aus Nordamerika, und Girolamo beſucht ſie
aus Florenz, Girolamo, ihr juͤngſter Sohn, den Na¬
polione ſo ſehr tyranniſirte, Girolamo, der mit Gewalt
ein großer Admiral, oder wenigſtens ein Koͤnig werden
ſollte, und doch artiger war, als alle uͤbrigen.

Die gute Alte! dort liegt ſie, auf dem bettarti¬
gen Sopha, ihr duͤrrer Leib, der ſo viel Koͤnige ent¬
hielt, in weite Shawls gewickelt, blind, aber ohne
Prophezeiung, mit gedoͤrrten Zuͤgen, aber lebhaft, ge¬
ſchwaͤtzig, Liebhaberin von Neuigkeiten, im muntern
Geſpraͤch mit Onkel Feſch, nicht anders, wie einſt im
Pallaſt de l'Eliſée von Paris.

Onkel Feſch, dieſer verſchlagene Prieſter im Vio¬
lettſtrumpf und rothem Hut, will noch jetzt die Dinge
immer beſſer wiſſen, als Napoleon; er beweiſt der
Matrone, welche ſchlummernd zuhoͤrt und ſchlaͤfriglaͤ¬
chelnden Beifall nickt, wie es der todte Kaiſer haͤtte an¬
fangen ſollen, wie Alles gekommen waͤre, wenn er auf
ihn gehoͤrt haͤtte, wie er aber immer tollkuͤhn und ty¬
ranniſch geweſen ſey. Hier ſeufzt Madame Laͤtitia;

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[120/0138] Die Napoleoniden. Romoaldo, iſt ſo alt, daß ſie vielleicht hofft, der Tod werde ſie uͤbergehen, und lebt doch Luciano noch, den ſie lieber hatte als Napolione, Luciano, der ſie nicht mit harten Worten kraͤnkte, ſchreibt doch auch Giuſeppe zuweilen aus Nordamerika, und Girolamo beſucht ſie aus Florenz, Girolamo, ihr juͤngſter Sohn, den Na¬ polione ſo ſehr tyranniſirte, Girolamo, der mit Gewalt ein großer Admiral, oder wenigſtens ein Koͤnig werden ſollte, und doch artiger war, als alle uͤbrigen. Die gute Alte! dort liegt ſie, auf dem bettarti¬ gen Sopha, ihr duͤrrer Leib, der ſo viel Koͤnige ent¬ hielt, in weite Shawls gewickelt, blind, aber ohne Prophezeiung, mit gedoͤrrten Zuͤgen, aber lebhaft, ge¬ ſchwaͤtzig, Liebhaberin von Neuigkeiten, im muntern Geſpraͤch mit Onkel Feſch, nicht anders, wie einſt im Pallaſt de l'Eliſée von Paris. Onkel Feſch, dieſer verſchlagene Prieſter im Vio¬ lettſtrumpf und rothem Hut, will noch jetzt die Dinge immer beſſer wiſſen, als Napoleon; er beweiſt der Matrone, welche ſchlummernd zuhoͤrt und ſchlaͤfriglaͤ¬ chelnden Beifall nickt, wie es der todte Kaiſer haͤtte an¬ fangen ſollen, wie Alles gekommen waͤre, wenn er auf ihn gehoͤrt haͤtte, wie er aber immer tollkuͤhn und ty¬ ranniſch geweſen ſey. Hier ſeufzt Madame Laͤtitia;

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/138>, abgerufen am 29.04.2024.