Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

verschweigen will, weil Jedes, was die Mensch¬
heit ehrt, auf den Lippen des Enthusiasten brennt.
Man verwirft mit Recht das Experimentiren
mit der Menschheit, aber man geht darin wei¬
ter, als man darf, ohne die Menschheit zu be¬
leidigen. Wir fürchten uns, den Zeitgenossen
etwas zu entziehen, wovon wir uns einbilden,
daß es zu ihrem Leben nöthig ist. Wir glau¬
ben an die Institutionen in Sitte, Meinung
und politischer Einrichtung, wie an die uner¬
läßlichen Lebensbedingungen der Jahrhunderte.
Als wenn die Menschheit keine innern Quellen
hätte! Als wenn sie untergienge, wenn ihr sie
aus dieser ganzen Sündfluth ihrer Existenz
plötzlich nackt und noch triefend auf den Ara¬
rat versetztet! Als wenn die Menschheit nicht
immer die erste sein wird, die sich hilft und
diejenige, welche für sich den besten Rath weiß!
Sie zucken die Achseln, wie unvorsichtige Aerzte,
sie fürchten für das Leben des Patienten und

verſchweigen will, weil Jedes, was die Menſch¬
heit ehrt, auf den Lippen des Enthuſiaſten brennt.
Man verwirft mit Recht das Experimentiren
mit der Menſchheit, aber man geht darin wei¬
ter, als man darf, ohne die Menſchheit zu be¬
leidigen. Wir fürchten uns, den Zeitgenoſſen
etwas zu entziehen, wovon wir uns einbilden,
daß es zu ihrem Leben nöthig iſt. Wir glau¬
ben an die Inſtitutionen in Sitte, Meinung
und politiſcher Einrichtung, wie an die uner¬
läßlichen Lebensbedingungen der Jahrhunderte.
Als wenn die Menſchheit keine innern Quellen
hätte! Als wenn ſie untergienge, wenn ihr ſie
aus dieſer ganzen Sündfluth ihrer Exiſtenz
plötzlich nackt und noch triefend auf den Ara¬
rat verſetztet! Als wenn die Menſchheit nicht
immer die erſte ſein wird, die ſich hilft und
diejenige, welche für ſich den beſten Rath weiß!
Sie zucken die Achſeln, wie unvorſichtige Aerzte,
ſie fürchten für das Leben des Patienten und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0335" n="326"/>
ver&#x017F;chweigen will, weil Jedes, was die Men&#x017F;ch¬<lb/>
heit ehrt, auf den Lippen des Enthu&#x017F;ia&#x017F;ten brennt.<lb/>
Man verwirft mit Recht das Experimentiren<lb/>
mit der Men&#x017F;chheit, aber man geht darin wei¬<lb/>
ter, als man darf, ohne die Men&#x017F;chheit zu be¬<lb/>
leidigen. Wir fürchten uns, den Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en<lb/>
etwas zu entziehen, wovon wir uns einbilden,<lb/>
daß es zu ihrem Leben nöthig i&#x017F;t. Wir glau¬<lb/>
ben an die In&#x017F;titutionen in Sitte, Meinung<lb/>
und politi&#x017F;cher Einrichtung, wie an die uner¬<lb/>
läßlichen Lebensbedingungen der Jahrhunderte.<lb/>
Als wenn die Men&#x017F;chheit keine innern Quellen<lb/>
hätte! Als wenn &#x017F;ie untergienge, wenn ihr &#x017F;ie<lb/>
aus die&#x017F;er ganzen Sündfluth ihrer Exi&#x017F;tenz<lb/>
plötzlich nackt und noch triefend auf den Ara¬<lb/>
rat ver&#x017F;etztet! Als wenn die Men&#x017F;chheit nicht<lb/>
immer die er&#x017F;te &#x017F;ein wird, die &#x017F;ich hilft und<lb/>
diejenige, welche für &#x017F;ich den be&#x017F;ten Rath weiß!<lb/>
Sie zucken die Ach&#x017F;eln, wie unvor&#x017F;ichtige Aerzte,<lb/>
&#x017F;ie fürchten für das Leben des Patienten und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0335] verſchweigen will, weil Jedes, was die Menſch¬ heit ehrt, auf den Lippen des Enthuſiaſten brennt. Man verwirft mit Recht das Experimentiren mit der Menſchheit, aber man geht darin wei¬ ter, als man darf, ohne die Menſchheit zu be¬ leidigen. Wir fürchten uns, den Zeitgenoſſen etwas zu entziehen, wovon wir uns einbilden, daß es zu ihrem Leben nöthig iſt. Wir glau¬ ben an die Inſtitutionen in Sitte, Meinung und politiſcher Einrichtung, wie an die uner¬ läßlichen Lebensbedingungen der Jahrhunderte. Als wenn die Menſchheit keine innern Quellen hätte! Als wenn ſie untergienge, wenn ihr ſie aus dieſer ganzen Sündfluth ihrer Exiſtenz plötzlich nackt und noch triefend auf den Ara¬ rat verſetztet! Als wenn die Menſchheit nicht immer die erſte ſein wird, die ſich hilft und diejenige, welche für ſich den beſten Rath weiß! Sie zucken die Achſeln, wie unvorſichtige Aerzte, ſie fürchten für das Leben des Patienten und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/335
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/335>, abgerufen am 28.04.2024.