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Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831.

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als wären es winzige Ameisen, oder doch nur ein
Haufen niedriger Geschöpfe, deren Lust und
Schmerz mit seinen Gefühlen Nichts gemein hat
-- denn über dem Menschengesindel, das am
Erdboden festklebt, schwebt Englands Nobility,
wie Wesen höherer Art, die das kleine England
nur als ihr Absteigequartier, Italien als ihren
Sommergarten, Paris als ihren Gesellschaftssaal,
ja die ganze Welt als ihr Eigenthum betrachten.
Ohne Sorgen und ohne Schranken schweben sie
dahin, und ihr Gold ist ein Talisman, der ihre
tollsten Wünsche in Erfüllung zaubert.

Arme Armuth! wie peinigend muß dein Hun¬
ger seyn, dort wo Andere im höhnenden Ueber¬
flusse schwelgen! Und hat man dir auch mit
gleichgültiger Hand eine Brodkruste in den Schoß
geworfen, wie bitter müssen die Thränen seyn, womit
du sie erweichst! Du vergiftest dich mit deinen eig¬
nen Thränen. Wohl hast du Recht, wenn du dich
zu dem Laster und dem Verbrechen gesellst. Aus¬

als waͤren es winzige Ameiſen, oder doch nur ein
Haufen niedriger Geſchoͤpfe, deren Luſt und
Schmerz mit ſeinen Gefuͤhlen Nichts gemein hat
— denn uͤber dem Menſchengeſindel, das am
Erdboden feſtklebt, ſchwebt Englands Nobility,
wie Weſen hoͤherer Art, die das kleine England
nur als ihr Abſteigequartier, Italien als ihren
Sommergarten, Paris als ihren Geſellſchaftsſaal,
ja die ganze Welt als ihr Eigenthum betrachten.
Ohne Sorgen und ohne Schranken ſchweben ſie
dahin, und ihr Gold iſt ein Talisman, der ihre
tollſten Wuͤnſche in Erfuͤllung zaubert.

Arme Armuth! wie peinigend muß dein Hun¬
ger ſeyn, dort wo Andere im hoͤhnenden Ueber¬
fluſſe ſchwelgen! Und hat man dir auch mit
gleichguͤltiger Hand eine Brodkruſte in den Schoß
geworfen, wie bitter muͤſſen die Thraͤnen ſeyn, womit
du ſie erweichſt! Du vergifteſt dich mit deinen eig¬
nen Thraͤnen. Wohl haſt du Recht, wenn du dich
zu dem Laſter und dem Verbrechen geſellſt. Aus¬

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[167/0181] als waͤren es winzige Ameiſen, oder doch nur ein Haufen niedriger Geſchoͤpfe, deren Luſt und Schmerz mit ſeinen Gefuͤhlen Nichts gemein hat — denn uͤber dem Menſchengeſindel, das am Erdboden feſtklebt, ſchwebt Englands Nobility, wie Weſen hoͤherer Art, die das kleine England nur als ihr Abſteigequartier, Italien als ihren Sommergarten, Paris als ihren Geſellſchaftsſaal, ja die ganze Welt als ihr Eigenthum betrachten. Ohne Sorgen und ohne Schranken ſchweben ſie dahin, und ihr Gold iſt ein Talisman, der ihre tollſten Wuͤnſche in Erfuͤllung zaubert. Arme Armuth! wie peinigend muß dein Hun¬ ger ſeyn, dort wo Andere im hoͤhnenden Ueber¬ fluſſe ſchwelgen! Und hat man dir auch mit gleichguͤltiger Hand eine Brodkruſte in den Schoß geworfen, wie bitter muͤſſen die Thraͤnen ſeyn, womit du ſie erweichſt! Du vergifteſt dich mit deinen eig¬ nen Thraͤnen. Wohl haſt du Recht, wenn du dich zu dem Laſter und dem Verbrechen geſellſt. Aus¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Nachträge. Hamburg, 1831, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder04_1831/181>, abgerufen am 27.04.2024.