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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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dern zu helfen. Laß mir aber doch nur meine
eigne Art, wie ich dieses thun zu können
glaube. Und was ist simpler als diese Art?
Nicht das unreine Wasser, welches längst nicht
mehr zu brauchen, will ich beibehalten wissen;
ich will es nur nicht eher weggegossen wissen,
als bis man weiß, woher reineres zu nehmen;
ich will nur nicht, daß man es ohne Beden-
ken weggieße, und sollte man auch das Kind
hernach in Mistjauche baden. Und was ist
sie anders, unsre neumodische Theologie gegen
die Orthodoxie als Mistjauche gegen unreines
Wasser.

"Mit der Orthodoxie war man, Gott sei
Dank, ziemlich zu Rande; man hatte zwischen
ihr und der Philosophie eine Scheidwand ge-
zogen, hinter welcher jede ihren Weg fortge-
hen konnte, ohne die andre zu hindern. Aber
was thut man nun? Man reißt diese Schei-
dewand nieder, und macht uns unter dem
Vorwande, uns zu vernünftigen Christen zu
machen, zu höchst unvernünftigen Philoso-

dern zu helfen. Laß mir aber doch nur meine
eigne Art, wie ich dieſes thun zu koͤnnen
glaube. Und was iſt ſimpler als dieſe Art?
Nicht das unreine Waſſer, welches laͤngſt nicht
mehr zu brauchen, will ich beibehalten wiſſen;
ich will es nur nicht eher weggegoſſen wiſſen,
als bis man weiß, woher reineres zu nehmen;
ich will nur nicht, daß man es ohne Beden-
ken weggieße, und ſollte man auch das Kind
hernach in Miſtjauche baden. Und was iſt
ſie anders, unſre neumodiſche Theologie gegen
die Orthodoxie als Miſtjauche gegen unreines
Waſſer.

„Mit der Orthodoxie war man, Gott ſei
Dank, ziemlich zu Rande; man hatte zwiſchen
ihr und der Philoſophie eine Scheidwand ge-
zogen, hinter welcher jede ihren Weg fortge-
hen konnte, ohne die andre zu hindern. Aber
was thut man nun? Man reißt dieſe Schei-
dewand nieder, und macht uns unter dem
Vorwande, uns zu vernuͤnftigen Chriſten zu
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[136/0143] dern zu helfen. Laß mir aber doch nur meine eigne Art, wie ich dieſes thun zu koͤnnen glaube. Und was iſt ſimpler als dieſe Art? Nicht das unreine Waſſer, welches laͤngſt nicht mehr zu brauchen, will ich beibehalten wiſſen; ich will es nur nicht eher weggegoſſen wiſſen, als bis man weiß, woher reineres zu nehmen; ich will nur nicht, daß man es ohne Beden- ken weggieße, und ſollte man auch das Kind hernach in Miſtjauche baden. Und was iſt ſie anders, unſre neumodiſche Theologie gegen die Orthodoxie als Miſtjauche gegen unreines Waſſer. „Mit der Orthodoxie war man, Gott ſei Dank, ziemlich zu Rande; man hatte zwiſchen ihr und der Philoſophie eine Scheidwand ge- zogen, hinter welcher jede ihren Weg fortge- hen konnte, ohne die andre zu hindern. Aber was thut man nun? Man reißt dieſe Schei- dewand nieder, und macht uns unter dem Vorwande, uns zu vernuͤnftigen Chriſten zu machen, zu hoͤchſt unvernuͤnftigen Philoſo-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/143>, abgerufen am 26.04.2024.