Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

es nicht angeführt werden, weil es dieser
-- nicht war.

Wenn z. B. der Französischen Nation
eine vorzügliche Ausbildung ihrer Sprache
zur Klarheit, zur Präcision, zur Po-
litesse, als ein Lob angerechnet wird;
sollte damit gesagt seyn, mit dieser hellen,
präcisen, politen Sprache könne sie nicht
rühren? In eines jeden großen Schrift-
stellers Händen ist die Sprache ein eigenes
Ding: er braucht und formt sie nach sei-
nem Gefallen; sein Charakter, sein Geist,
sein Herz belebt sie. Montaigne's und
Roußeau's, Paskal und Diderots,
Voltaire und Fenelons Schreibart ist
dem Charakter nach gewiß nicht diesel-
be; und doch schrieben sie in der, auch zu
Corneille und Boßvets Pracht, zu des
Racine empfindlichen Zartheit, zu Fon-
tenelle's witzigen Nettigkeit ausgearbei-

es nicht angefuͤhrt werden, weil es dieſer
— nicht war.

Wenn z. B. der Franzoͤſiſchen Nation
eine vorzuͤgliche Ausbildung ihrer Sprache
zur Klarheit, zur Praͤciſion, zur Po-
liteſſe, als ein Lob angerechnet wird;
ſollte damit geſagt ſeyn, mit dieſer hellen,
praͤciſen, politen Sprache koͤnne ſie nicht
ruͤhren? In eines jeden großen Schrift-
ſtellers Haͤnden iſt die Sprache ein eigenes
Ding: er braucht und formt ſie nach ſei-
nem Gefallen; ſein Charakter, ſein Geiſt,
ſein Herz belebt ſie. Montaigne's und
Roußeau's, Paſkal und Diderots,
Voltaire und Fenelons Schreibart iſt
dem Charakter nach gewiß nicht dieſel-
be; und doch ſchrieben ſie in der, auch zu
Corneille und Boßvets Pracht, zu des
Racine empfindlichen Zartheit, zu Fon-
tenelle's witzigen Nettigkeit ausgearbei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="11"/>
es nicht angefu&#x0364;hrt werden, weil es die&#x017F;er<lb/>
&#x2014; nicht war.</p><lb/>
        <p>Wenn z. B. der Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Nation<lb/>
eine vorzu&#x0364;gliche Ausbildung ihrer Sprache<lb/>
zur <hi rendition="#g">Klarheit</hi>, zur <hi rendition="#g">Pra&#x0364;ci&#x017F;ion</hi>, zur <hi rendition="#g">Po</hi>-<lb/><hi rendition="#g">lite&#x017F;&#x017F;e</hi>, als ein Lob angerechnet wird;<lb/>
&#x017F;ollte damit ge&#x017F;agt &#x017F;eyn, mit die&#x017F;er hellen,<lb/>
pra&#x0364;ci&#x017F;en, politen Sprache ko&#x0364;nne &#x017F;ie nicht<lb/><hi rendition="#g">ru&#x0364;hren</hi>? In eines jeden großen Schrift-<lb/>
&#x017F;tellers Ha&#x0364;nden i&#x017F;t die Sprache ein eigenes<lb/>
Ding: er braucht und formt &#x017F;ie nach &#x017F;ei-<lb/>
nem Gefallen; &#x017F;ein Charakter, &#x017F;ein Gei&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;ein Herz belebt &#x017F;ie. <hi rendition="#g">Montaigne</hi>'s und<lb/><hi rendition="#g">Roußeau</hi>'s, <hi rendition="#g">Pa&#x017F;kal</hi> und <hi rendition="#g">Diderots</hi>,<lb/><hi rendition="#g">Voltaire</hi> und <hi rendition="#g">Fenelons</hi> Schreibart i&#x017F;t<lb/>
dem <hi rendition="#g">Charakter</hi> nach gewiß nicht die&#x017F;el-<lb/>
be; und doch &#x017F;chrieben &#x017F;ie in der, auch zu<lb/><hi rendition="#g">Corneille</hi> und <hi rendition="#g">Boßvets</hi> Pracht, zu des<lb/><hi rendition="#g">Racine</hi> empfindlichen Zartheit, zu <hi rendition="#g">Fon</hi>-<lb/><hi rendition="#g">tenelle</hi>'s witzigen Nettigkeit ausgearbei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0018] es nicht angefuͤhrt werden, weil es dieſer — nicht war. Wenn z. B. der Franzoͤſiſchen Nation eine vorzuͤgliche Ausbildung ihrer Sprache zur Klarheit, zur Praͤciſion, zur Po- liteſſe, als ein Lob angerechnet wird; ſollte damit geſagt ſeyn, mit dieſer hellen, praͤciſen, politen Sprache koͤnne ſie nicht ruͤhren? In eines jeden großen Schrift- ſtellers Haͤnden iſt die Sprache ein eigenes Ding: er braucht und formt ſie nach ſei- nem Gefallen; ſein Charakter, ſein Geiſt, ſein Herz belebt ſie. Montaigne's und Roußeau's, Paſkal und Diderots, Voltaire und Fenelons Schreibart iſt dem Charakter nach gewiß nicht dieſel- be; und doch ſchrieben ſie in der, auch zu Corneille und Boßvets Pracht, zu des Racine empfindlichen Zartheit, zu Fon- tenelle's witzigen Nettigkeit ausgearbei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/18
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/18>, abgerufen am 27.04.2024.