Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Wäldchen.
auf sein Ei ja! "wenn ihr meine Augen hättet!"
durch den herzlichen Seufzer: "ach! hätte ich
"Deine Augen!"

Er fährt epanorthotisch fort a): "wie ver-
"schieden sind nicht die Absichten, welche die Ge-
"lehrten bei dem Studio der alten Münzwissen-
"schaft haben! Unter einer großen Anzahl derer,
"welche sich damit beschäftigen, habe ich nur sehr
"wenige angetroffen,
die einen andern Nutzen da-
"von zu ziehen gewünscht hätten, als welchen der ge-
"meine Haufe
der Antiquarien bei seinen müh-
"samen Arbeiten kennet. Zufrieden mit sich selbst
"und vergnügt über die Lasten, welche sie ihrem ge-
"duldigen Gedächtnisse auflegen, lachen diese be-
"staubten Männer über unsre gutgemeinte Frage,
"ob sie auch in den Tempel des Geschmacks gehen
"wollen? und antworten muthig: Nein! dem
"Himmel sei Dank! das ist nicht unsre Sache.
"Geschmack ist nichts: wir besitzen die Geschicklich-
"keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen
"zu erweitern; aber selbst denken wir nicht. Die
"nützlichsten unter ihnen sind die, welche die alten
"Münzen um deßwillen lieben, weil sie ihnen Ge-
"legenheit geben, chronologische Untersuchungen an-
"zustellen. Jhre Arbeit müssen wir mit Dank er-
"kennen, und sie selbst verdienen ein aufrichti-

"ges
a) S. 6. 7. 8. 9. 10.

Drittes Waͤldchen.
auf ſein Ei ja! „wenn ihr meine Augen haͤttet!„
durch den herzlichen Seufzer: „ach! haͤtte ich
„Deine Augen!„

Er faͤhrt epanorthotiſch fort a): „wie ver-
„ſchieden ſind nicht die Abſichten, welche die Ge-
„lehrten bei dem Studio der alten Muͤnzwiſſen-
„ſchaft haben! Unter einer großen Anzahl derer,
„welche ſich damit beſchaͤftigen, habe ich nur ſehr
„wenige angetroffen,
die einen andern Nutzen da-
„von zu ziehen gewuͤnſcht haͤtten, als welchen der ge-
„meine Haufe
der Antiquarien bei ſeinen muͤh-
„ſamen Arbeiten kennet. Zufrieden mit ſich ſelbſt
„und vergnuͤgt uͤber die Laſten, welche ſie ihrem ge-
„duldigen Gedaͤchtniſſe auflegen, lachen dieſe be-
„ſtaubten Maͤnner uͤber unſre gutgemeinte Frage,
„ob ſie auch in den Tempel des Geſchmacks gehen
„wollen? und antworten muthig: Nein! dem
„Himmel ſei Dank! das iſt nicht unſre Sache.
„Geſchmack iſt nichts: wir beſitzen die Geſchicklich-
„keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen
„zu erweitern; aber ſelbſt denken wir nicht. Die
„nuͤtzlichſten unter ihnen ſind die, welche die alten
„Muͤnzen um deßwillen lieben, weil ſie ihnen Ge-
„legenheit geben, chronologiſche Unterſuchungen an-
„zuſtellen. Jhre Arbeit muͤſſen wir mit Dank er-
„kennen, und ſie ſelbſt verdienen ein aufrichti-

„ges
a) S. 6. 7. 8. 9. 10.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0033" n="27"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
auf &#x017F;ein Ei ja! &#x201E;wenn ihr meine Augen ha&#x0364;ttet!&#x201E;<lb/>
durch den herzlichen Seufzer: &#x201E;ach! ha&#x0364;tte ich<lb/>
&#x201E;Deine Augen!&#x201E;</p><lb/>
          <p>Er fa&#x0364;hrt epanorthoti&#x017F;ch fort <note place="foot" n="a)">S. 6. 7. 8. 9. 10.</note>: &#x201E;wie ver-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chieden &#x017F;ind nicht die Ab&#x017F;ichten, welche die Ge-<lb/>
&#x201E;lehrten bei dem Studio der alten Mu&#x0364;nzwi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chaft haben! Unter einer großen Anzahl derer,<lb/>
&#x201E;welche &#x017F;ich damit be&#x017F;cha&#x0364;ftigen, <hi rendition="#fr">habe ich nur &#x017F;ehr<lb/>
&#x201E;wenige angetroffen,</hi> die einen andern Nutzen da-<lb/>
&#x201E;von zu ziehen gewu&#x0364;n&#x017F;cht ha&#x0364;tten, als welchen <hi rendition="#fr">der ge-<lb/>
&#x201E;meine Haufe</hi> der Antiquarien bei &#x017F;einen mu&#x0364;h-<lb/>
&#x201E;&#x017F;amen Arbeiten kennet. Zufrieden mit &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
&#x201E;und vergnu&#x0364;gt u&#x0364;ber die La&#x017F;ten, welche &#x017F;ie ihrem ge-<lb/>
&#x201E;duldigen Geda&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;e auflegen, lachen die&#x017F;e be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;taubten Ma&#x0364;nner u&#x0364;ber un&#x017F;re gutgemeinte Frage,<lb/>
&#x201E;ob &#x017F;ie auch in den Tempel des Ge&#x017F;chmacks gehen<lb/>
&#x201E;wollen? und antworten <hi rendition="#fr">muthig:</hi> Nein! dem<lb/>
&#x201E;Himmel &#x017F;ei Dank! das i&#x017F;t nicht un&#x017F;re Sache.<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;chmack i&#x017F;t nichts: wir be&#x017F;itzen die Ge&#x017F;chicklich-<lb/>
&#x201E;keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen<lb/>
&#x201E;zu erweitern; aber &#x017F;elb&#x017F;t denken wir nicht. Die<lb/>
&#x201E;nu&#x0364;tzlich&#x017F;ten unter ihnen &#x017F;ind die, welche die alten<lb/>
&#x201E;Mu&#x0364;nzen um deßwillen lieben, weil &#x017F;ie ihnen Ge-<lb/>
&#x201E;legenheit geben, chronologi&#x017F;che Unter&#x017F;uchungen an-<lb/>
&#x201E;zu&#x017F;tellen. Jhre Arbeit mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir mit Dank er-<lb/>
&#x201E;kennen, und <hi rendition="#fr">&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t verdienen ein aufrichti-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x201E;ges</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0033] Drittes Waͤldchen. auf ſein Ei ja! „wenn ihr meine Augen haͤttet!„ durch den herzlichen Seufzer: „ach! haͤtte ich „Deine Augen!„ Er faͤhrt epanorthotiſch fort a): „wie ver- „ſchieden ſind nicht die Abſichten, welche die Ge- „lehrten bei dem Studio der alten Muͤnzwiſſen- „ſchaft haben! Unter einer großen Anzahl derer, „welche ſich damit beſchaͤftigen, habe ich nur ſehr „wenige angetroffen, die einen andern Nutzen da- „von zu ziehen gewuͤnſcht haͤtten, als welchen der ge- „meine Haufe der Antiquarien bei ſeinen muͤh- „ſamen Arbeiten kennet. Zufrieden mit ſich ſelbſt „und vergnuͤgt uͤber die Laſten, welche ſie ihrem ge- „duldigen Gedaͤchtniſſe auflegen, lachen dieſe be- „ſtaubten Maͤnner uͤber unſre gutgemeinte Frage, „ob ſie auch in den Tempel des Geſchmacks gehen „wollen? und antworten muthig: Nein! dem „Himmel ſei Dank! das iſt nicht unſre Sache. „Geſchmack iſt nichts: wir beſitzen die Geſchicklich- „keit, fremde Gedanken durch lange Auslegungen „zu erweitern; aber ſelbſt denken wir nicht. Die „nuͤtzlichſten unter ihnen ſind die, welche die alten „Muͤnzen um deßwillen lieben, weil ſie ihnen Ge- „legenheit geben, chronologiſche Unterſuchungen an- „zuſtellen. Jhre Arbeit muͤſſen wir mit Dank er- „kennen, und ſie ſelbſt verdienen ein aufrichti- „ges a) S. 6. 7. 8. 9. 10.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/33
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/33>, abgerufen am 27.04.2024.