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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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"zukam?" -- Seine Frage ist so viel als
Nein! meine Antwort aber Ja! Aemilius
Scaurus
leugnet; Valerius bejahet; wem
von beiden glaubt ihr Römer?

Ausser dem, was ich schon angeführt,
kann ich mein erstes Ja mit folgender Stelle
aus Xenophons Schmause gültig machen:
"Mein Vater, sagt Niceratus, der mich
"zum tüchtigen redlichen Mann (agathos)
"machen wollte, hielt mich an, alle Gedichte
"Homers auswendig zu lernen, so daß ich
"noch jetzt die ganze Jliade und Odyssee her-
"sagen kann." -- Hier war ein guter hübscher
Mann, der seinen Sohn auch dazu machen
wollte, und ließ ihn also Homer lernen: so
wurde also Homer mit der Jugend getrieben:
so wurde er gewiß von denen verstanden, die
gute hübsche Leute waren, denn sie waren
durch ihn dazu gebildet.

Aber heißt kalos k'agathos ein guter
hübscher Mann, oder ist es ein Schweizer-
Virtuose? Beide Partheien können Recht
behalten, wenn sie sich anhören wollen, und
wenn sie Staub unter die Augen streuen,*

hat
* Litt. Br. Th. 1. p. 52.

„zukam?„ — Seine Frage iſt ſo viel als
Nein! meine Antwort aber Ja! Aemilius
Scaurus
leugnet; Valerius bejahet; wem
von beiden glaubt ihr Roͤmer?

Auſſer dem, was ich ſchon angefuͤhrt,
kann ich mein erſtes Ja mit folgender Stelle
aus Xenophons Schmauſe guͤltig machen:
„Mein Vater, ſagt Niceratus, der mich
„zum tuͤchtigen redlichen Mann (αγαϑος)
„machen wollte, hielt mich an, alle Gedichte
„Homers auswendig zu lernen, ſo daß ich
„noch jetzt die ganze Jliade und Odyſſee her-
„ſagen kann.„ — Hier war ein guter huͤbſcher
Mann, der ſeinen Sohn auch dazu machen
wollte, und ließ ihn alſo Homer lernen: ſo
wurde alſo Homer mit der Jugend getrieben:
ſo wurde er gewiß von denen verſtanden, die
gute huͤbſche Leute waren, denn ſie waren
durch ihn dazu gebildet.

Aber heißt καλος κ’αγαϑος ein guter
huͤbſcher Mann, oder iſt es ein Schweizer-
Virtuoſe? Beide Partheien koͤnnen Recht
behalten, wenn ſie ſich anhoͤren wollen, und
wenn ſie Staub unter die Augen ſtreuen,*

hat
* Litt. Br. Th. 1. p. 52.
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[289/0121] „zukam?„ — Seine Frage iſt ſo viel als Nein! meine Antwort aber Ja! Aemilius Scaurus leugnet; Valerius bejahet; wem von beiden glaubt ihr Roͤmer? Auſſer dem, was ich ſchon angefuͤhrt, kann ich mein erſtes Ja mit folgender Stelle aus Xenophons Schmauſe guͤltig machen: „Mein Vater, ſagt Niceratus, der mich „zum tuͤchtigen redlichen Mann (αγαϑος) „machen wollte, hielt mich an, alle Gedichte „Homers auswendig zu lernen, ſo daß ich „noch jetzt die ganze Jliade und Odyſſee her- „ſagen kann.„ — Hier war ein guter huͤbſcher Mann, der ſeinen Sohn auch dazu machen wollte, und ließ ihn alſo Homer lernen: ſo wurde alſo Homer mit der Jugend getrieben: ſo wurde er gewiß von denen verſtanden, die gute huͤbſche Leute waren, denn ſie waren durch ihn dazu gebildet. Aber heißt καλος κ’αγαϑος ein guter huͤbſcher Mann, oder iſt es ein Schweizer- Virtuoſe? Beide Partheien koͤnnen Recht behalten, wenn ſie ſich anhoͤren wollen, und wenn ſie Staub unter die Augen ſtreuen, * hat * Litt. Br. Th. 1. p. 52.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/121>, abgerufen am 27.04.2024.