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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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hat es vielleicht keiner von beiden. Mehr als
ein guter hübscher Mann, und weit weniger als
ein Shaftsburischer Virtuoso, nach dem ho-
hen Geschmack unsrer Zeit. Jch erinnere
mich die Abhandlung eines Grammatikers
über dies Wort gesehen zu haben; und weil
ich nicht gern thun mag, was ein andrer vor
mir gethan, so will ich nicht ein Register von
den Stellen machen, wo dies Wort vor-
kommt. Jch schreibe aus dem Gedächtniß.

Jn jeder Sprache müssen sich alle Wörter
verändern, die den eigentlichen Charakter des
Zeitalters ausdrücken, und eben dies dünkt
mich von kalos k'agathos. Jn den ältesten
Griechen erinnere ich mich nicht, es gelesen
zu haben: es ist ein Wort aus dem Zeitalter
der schönen Prose und der feinen Politischen
Sitten. Jn den Zeiten, da arete, Tugend,
noch allein Tapferkeit des Körpers und Gei-
stes bedeutete: galt blos ein braver Mann
agathos. So wissen im Homer die Helden
kein besser Wort ihrer Würde, als wenn sein
Agamemnon oft gnug sagt: agathos gar ei-
mi. So wenig hier das agathos eine Mo-
ralische Güte
bedeutet, zu einer Zeit, wo

Tapfer-

hat es vielleicht keiner von beiden. Mehr als
ein guter huͤbſcher Mann, und weit weniger als
ein Shaftsburiſcher Virtuoſo, nach dem ho-
hen Geſchmack unſrer Zeit. Jch erinnere
mich die Abhandlung eines Grammatikers
uͤber dies Wort geſehen zu haben; und weil
ich nicht gern thun mag, was ein andrer vor
mir gethan, ſo will ich nicht ein Regiſter von
den Stellen machen, wo dies Wort vor-
kommt. Jch ſchreibe aus dem Gedaͤchtniß.

Jn jeder Sprache muͤſſen ſich alle Woͤrter
veraͤndern, die den eigentlichen Charakter des
Zeitalters ausdruͤcken, und eben dies duͤnkt
mich von καλος κ’αγαϑος. Jn den aͤlteſten
Griechen erinnere ich mich nicht, es geleſen
zu haben: es iſt ein Wort aus dem Zeitalter
der ſchoͤnen Proſe und der feinen Politiſchen
Sitten. Jn den Zeiten, da αρετη, Tugend,
noch allein Tapferkeit des Koͤrpers und Gei-
ſtes bedeutete: galt blos ein braver Mann
αγαϑος. So wiſſen im Homer die Helden
kein beſſer Wort ihrer Wuͤrde, als wenn ſein
Agamemnon oft gnug ſagt: αγαϑος γαρ ει-
μι. So wenig hier das αγαϑος eine Mo-
raliſche Guͤte
bedeutet, zu einer Zeit, wo

Tapfer-
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[290/0122] hat es vielleicht keiner von beiden. Mehr als ein guter huͤbſcher Mann, und weit weniger als ein Shaftsburiſcher Virtuoſo, nach dem ho- hen Geſchmack unſrer Zeit. Jch erinnere mich die Abhandlung eines Grammatikers uͤber dies Wort geſehen zu haben; und weil ich nicht gern thun mag, was ein andrer vor mir gethan, ſo will ich nicht ein Regiſter von den Stellen machen, wo dies Wort vor- kommt. Jch ſchreibe aus dem Gedaͤchtniß. Jn jeder Sprache muͤſſen ſich alle Woͤrter veraͤndern, die den eigentlichen Charakter des Zeitalters ausdruͤcken, und eben dies duͤnkt mich von καλος κ’αγαϑος. Jn den aͤlteſten Griechen erinnere ich mich nicht, es geleſen zu haben: es iſt ein Wort aus dem Zeitalter der ſchoͤnen Proſe und der feinen Politiſchen Sitten. Jn den Zeiten, da αρετη, Tugend, noch allein Tapferkeit des Koͤrpers und Gei- ſtes bedeutete: galt blos ein braver Mann αγαϑος. So wiſſen im Homer die Helden kein beſſer Wort ihrer Wuͤrde, als wenn ſein Agamemnon oft gnug ſagt: αγαϑος γαρ ει- μι. So wenig hier das αγαϑος eine Mo- raliſche Guͤte bedeutet, zu einer Zeit, wo Tapfer-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/122>, abgerufen am 28.04.2024.