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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Rabbi. Wie? wenn unser Jesaias den
Meßias gesungen hätte? -- Warum hat
K. nicht mehr den erhabnen Propheti-
schen Ton
ins Epische umgestimmt? Hat
er wohl durchgängig den Geist, der die
Haushaltung des ganzen A. Testaments
belebte,
angewandt, da Jesus doch einem
Volke erschien, das ihn unter diesen Bildern
erwartete? Gesezt, sein Meßias wäre der
Vorausverkündigte; so zeige ihn auch K. in
diesem ganzen Lichte.

Christ. Hätte unser Johannes, der ihn
bis an seinen Tod begleitete, und sein Plato
ward, mit dem feurigen Pinsel der Apoka-
lypse ihn schildern wollen; so hätte er ihm
so viel individuale Bestimmung gegeben,
daß jeder ruffen müste: "das ist er! Johan-
"nes hat ihn gesehen!" Nun hat ihn freilich
K. nicht gesehen; aber als Schöpfer hätte er
ihm Wesen und Leben geben sollen: "Der
"Dichter studirt den Grundriß seiner Ge-
"schichte, malt ihn nach den Hauptzügen
"aus, die er in ihm gefunden zu haben
"glaubt, und muß uns durch seine mächti-
"gen Künste dahin bringen, daß ich zu der

"Zeit,
R 2

Rabbi. Wie? wenn unſer Jeſaias den
Meßias geſungen haͤtte? — Warum hat
K. nicht mehr den erhabnen Propheti-
ſchen Ton
ins Epiſche umgeſtimmt? Hat
er wohl durchgaͤngig den Geiſt, der die
Haushaltung des ganzen A. Teſtaments
belebte,
angewandt, da Jeſus doch einem
Volke erſchien, das ihn unter dieſen Bildern
erwartete? Geſezt, ſein Meßias waͤre der
Vorausverkuͤndigte; ſo zeige ihn auch K. in
dieſem ganzen Lichte.

Chriſt. Haͤtte unſer Johannes, der ihn
biſ an ſeinen Tod begleitete, und ſein Plato
ward, mit dem feurigen Pinſel der Apoka-
lypſe ihn ſchildern wollen; ſo haͤtte er ihm
ſo viel individuale Beſtimmung gegeben,
daß jeder ruffen muͤſte: „das iſt er! Johan-
„nes hat ihn geſehen!„ Nun hat ihn freilich
K. nicht geſehen; aber als Schoͤpfer haͤtte er
ihm Weſen und Leben geben ſollen: „Der
„Dichter ſtudirt den Grundriß ſeiner Ge-
„ſchichte, malt ihn nach den Hauptzuͤgen
„aus, die er in ihm gefunden zu haben
„glaubt, und muß uns durch ſeine maͤchti-
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[247/0079] Rabbi. Wie? wenn unſer Jeſaias den Meßias geſungen haͤtte? — Warum hat K. nicht mehr den erhabnen Propheti- ſchen Ton ins Epiſche umgeſtimmt? Hat er wohl durchgaͤngig den Geiſt, der die Haushaltung des ganzen A. Teſtaments belebte, angewandt, da Jeſus doch einem Volke erſchien, das ihn unter dieſen Bildern erwartete? Geſezt, ſein Meßias waͤre der Vorausverkuͤndigte; ſo zeige ihn auch K. in dieſem ganzen Lichte. Chriſt. Haͤtte unſer Johannes, der ihn biſ an ſeinen Tod begleitete, und ſein Plato ward, mit dem feurigen Pinſel der Apoka- lypſe ihn ſchildern wollen; ſo haͤtte er ihm ſo viel individuale Beſtimmung gegeben, daß jeder ruffen muͤſte: „das iſt er! Johan- „nes hat ihn geſehen!„ Nun hat ihn freilich K. nicht geſehen; aber als Schoͤpfer haͤtte er ihm Weſen und Leben geben ſollen: „Der „Dichter ſtudirt den Grundriß ſeiner Ge- „ſchichte, malt ihn nach den Hauptzuͤgen „aus, die er in ihm gefunden zu haben „glaubt, und muß uns durch ſeine maͤchti- „gen Kuͤnſte dahin bringen, daß ich zu der „Zeit, R 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/79>, abgerufen am 29.04.2024.