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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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ein Gesandter Gottes erscheine, der ganz und
gar mit dem großen Gedanken sich beschäftigt,
über die Völker zu herrschen; daß sein Er-
löser als ein Prophet erscheine, der der Welt
Licht und Freiheit und Seligkeit gebracht hat,
der jetzt seine angefeindete Lehre mit Mär-
tirerblut besiegelt, und mit diesem Blut des
neuen Bundes in den Himmel geht, um Kö-
nig über ein neues Reich der Gnade zu seyn.
Bei seinen lezten Augenblicken sollte es ihm
mehr am Herzen liegen: "was seine Heerde,
"seine Brüder, seine Familie um ihn und
"für ihn leiden würden!" Wenn der heilige
Dichter in seiner Art das thut, "was ein
"andrer thut, der aus den nicht historischen
"Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet;"
wenn "unsre Lehrbücher aus der Religion
"ein Gerippe gemacht haben: * so sollte jener
"der Offenbarung folgen, um sie in einem
"gesunden männlichen Körper darzustellen."
Alsdenn muß Klopstocks Meßias die Pflan-
zung der Kirche, mit ihren Schicksalen und
Wanderungen mehr im Auge behalten, als

Vir-
* s. Klopst. Abhandl. von der heil. Poesie.
R 3

ein Geſandter Gottes erſcheine, der ganz und
gar mit dem großen Gedanken ſich beſchaͤftigt,
uͤber die Voͤlker zu herrſchen; daß ſein Er-
loͤſer als ein Prophet erſcheine, der der Welt
Licht und Freiheit und Seligkeit gebracht hat,
der jetzt ſeine angefeindete Lehre mit Maͤr-
tirerblut beſiegelt, und mit dieſem Blut des
neuen Bundes in den Himmel geht, um Koͤ-
nig uͤber ein neues Reich der Gnade zu ſeyn.
Bei ſeinen lezten Augenblicken ſollte es ihm
mehr am Herzen liegen: „was ſeine Heerde,
„ſeine Bruͤder, ſeine Familie um ihn und
„fuͤr ihn leiden wuͤrden!„ Wenn der heilige
Dichter in ſeiner Art das thut, „was ein
„andrer thut, der aus den nicht hiſtoriſchen
„Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet;„
wenn „unſre Lehrbuͤcher aus der Religion
„ein Gerippe gemacht haben: * ſo ſollte jener
„der Offenbarung folgen, um ſie in einem
„geſunden maͤnnlichen Koͤrper darzuſtellen.„
Alsdenn muß Klopſtocks Meßias die Pflan-
zung der Kirche, mit ihren Schickſalen und
Wanderungen mehr im Auge behalten, als

Vir-
* ſ. Klopſt. Abhandl. von der heil. Poeſie.
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[249/0081] ein Geſandter Gottes erſcheine, der ganz und gar mit dem großen Gedanken ſich beſchaͤftigt, uͤber die Voͤlker zu herrſchen; daß ſein Er- loͤſer als ein Prophet erſcheine, der der Welt Licht und Freiheit und Seligkeit gebracht hat, der jetzt ſeine angefeindete Lehre mit Maͤr- tirerblut beſiegelt, und mit dieſem Blut des neuen Bundes in den Himmel geht, um Koͤ- nig uͤber ein neues Reich der Gnade zu ſeyn. Bei ſeinen lezten Augenblicken ſollte es ihm mehr am Herzen liegen: „was ſeine Heerde, „ſeine Bruͤder, ſeine Familie um ihn und „fuͤr ihn leiden wuͤrden!„ Wenn der heilige Dichter in ſeiner Art das thut, „was ein „andrer thut, der aus den nicht hiſtoriſchen „Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet;„ wenn „unſre Lehrbuͤcher aus der Religion „ein Gerippe gemacht haben: * ſo ſollte jener „der Offenbarung folgen, um ſie in einem „geſunden maͤnnlichen Koͤrper darzuſtellen.„ Alsdenn muß Klopſtocks Meßias die Pflan- zung der Kirche, mit ihren Schickſalen und Wanderungen mehr im Auge behalten, als Vir- * ſ. Klopſt. Abhandl. von der heil. Poeſie. R 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/81>, abgerufen am 29.04.2024.