Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

ist Sonnenwende gesäet. Diese Blume
dreht sich beständig nach der Sonne und Ger-
hard nach der seeligen Ewigkeit. Schwer-
müthig --

Recht sagte mein Vater allein weißt du
auch warum?

"Warum?" meine Mutter" weil er
nach dem vorgesteckten Kleinod blickte"

Weil er ein böses Weib hatte -- so bald
ihn Gott von dieser bösen Sieben erlösete,
war keine Sonnenwende mehr in seinem
poetischen Gärtchen. Er sang; allein, es
sang kein Gerhard mehr. Was die Xan-
tippe dem Sokrates war --

Dieser Blitz traf das Wort auf der Zunge
meiner Mutter, es bebte noch eine Minute
auf der bläulichten Oberlippe, allein es war
so matt, daß es in der Geburt seinen Geist
aufgab. Meine Mutter die sich ihres Ge-
schlechts überhaupt anzunehmen gewohnt war,
mußte von meinem unlevitischen unpoetischen
Vater, der zum zweiten Diskant nur par
bricol
gekommen war erfahren, daß er die
Asche einer Oberpastorinn entheiligte und ein
Sacrilegium begieng. Das war mehr als
sie tragen konnte! -- Sie verstummte vor

ihrem

iſt Sonnenwende geſaͤet. Dieſe Blume
dreht ſich beſtaͤndig nach der Sonne und Ger-
hard nach der ſeeligen Ewigkeit. Schwer-
muͤthig —

Recht ſagte mein Vater allein weißt du
auch warum?

„Warum?„ meine Mutter„ weil er
nach dem vorgeſteckten Kleinod blickte„

Weil er ein boͤſes Weib hatte — ſo bald
ihn Gott von dieſer boͤſen Sieben erloͤſete,
war keine Sonnenwende mehr in ſeinem
poetiſchen Gaͤrtchen. Er ſang; allein, es
ſang kein Gerhard mehr. Was die Xan-
tippe dem Sokrates war —

Dieſer Blitz traf das Wort auf der Zunge
meiner Mutter, es bebte noch eine Minute
auf der blaͤulichten Oberlippe, allein es war
ſo matt, daß es in der Geburt ſeinen Geiſt
aufgab. Meine Mutter die ſich ihres Ge-
ſchlechts uͤberhaupt anzunehmen gewohnt war,
mußte von meinem unlevitiſchen unpoetiſchen
Vater, der zum zweiten Diſkant nur par
bricol
gekommen war erfahren, daß er die
Aſche einer Oberpaſtorinn entheiligte und ein
Sacrilegium begieng. Das war mehr als
ſie tragen konnte! — Sie verſtummte vor

ihrem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0050" n="42"/>
i&#x017F;t Sonnenwende ge&#x017F;a&#x0364;et. Die&#x017F;e Blume<lb/>
dreht &#x017F;ich be&#x017F;ta&#x0364;ndig nach der Sonne und Ger-<lb/>
hard nach der <hi rendition="#fr">&#x017F;eeligen Ewigkeit.</hi> Schwer-<lb/>
mu&#x0364;thig &#x2014;</p><lb/>
        <p>Recht &#x017F;agte mein Vater allein weißt du<lb/>
auch warum?</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum?&#x201E; meine Mutter&#x201E; weil er<lb/>
nach dem vorge&#x017F;teckten Kleinod blickte&#x201E;</p><lb/>
        <p>Weil er ein bo&#x0364;&#x017F;es Weib hatte &#x2014; &#x017F;o bald<lb/>
ihn Gott von die&#x017F;er bo&#x0364;&#x017F;en <hi rendition="#fr">Sieben</hi> erlo&#x0364;&#x017F;ete,<lb/>
war keine Sonnenwende mehr in &#x017F;einem<lb/>
poeti&#x017F;chen Ga&#x0364;rtchen. Er &#x017F;ang; allein, es<lb/>
&#x017F;ang kein Gerhard mehr. Was die Xan-<lb/>
tippe dem Sokrates war &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Blitz traf das Wort auf der Zunge<lb/>
meiner Mutter, es bebte noch eine Minute<lb/>
auf der bla&#x0364;ulichten Oberlippe, allein es war<lb/>
&#x017F;o matt, daß es in der Geburt &#x017F;einen Gei&#x017F;t<lb/>
aufgab. Meine Mutter die &#x017F;ich ihres Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts u&#x0364;berhaupt anzunehmen gewohnt war,<lb/>
mußte von meinem unleviti&#x017F;chen unpoeti&#x017F;chen<lb/>
Vater, der zum zweiten Di&#x017F;kant nur <hi rendition="#aq">par<lb/>
bricol</hi> gekommen war erfahren, daß er die<lb/>
A&#x017F;che einer Oberpa&#x017F;torinn entheiligte und ein<lb/>
Sacrilegium begieng. Das war mehr als<lb/>
&#x017F;ie tragen konnte! &#x2014; Sie ver&#x017F;tummte vor<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihrem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0050] iſt Sonnenwende geſaͤet. Dieſe Blume dreht ſich beſtaͤndig nach der Sonne und Ger- hard nach der ſeeligen Ewigkeit. Schwer- muͤthig — Recht ſagte mein Vater allein weißt du auch warum? „Warum?„ meine Mutter„ weil er nach dem vorgeſteckten Kleinod blickte„ Weil er ein boͤſes Weib hatte — ſo bald ihn Gott von dieſer boͤſen Sieben erloͤſete, war keine Sonnenwende mehr in ſeinem poetiſchen Gaͤrtchen. Er ſang; allein, es ſang kein Gerhard mehr. Was die Xan- tippe dem Sokrates war — Dieſer Blitz traf das Wort auf der Zunge meiner Mutter, es bebte noch eine Minute auf der blaͤulichten Oberlippe, allein es war ſo matt, daß es in der Geburt ſeinen Geiſt aufgab. Meine Mutter die ſich ihres Ge- ſchlechts uͤberhaupt anzunehmen gewohnt war, mußte von meinem unlevitiſchen unpoetiſchen Vater, der zum zweiten Diſkant nur par bricol gekommen war erfahren, daß er die Aſche einer Oberpaſtorinn entheiligte und ein Sacrilegium begieng. Das war mehr als ſie tragen konnte! — Sie verſtummte vor ihrem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/50
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/50>, abgerufen am 28.04.2024.