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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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rung buhlerisch angesehen! -- Ich mußt',
ich mochte wollen oder nicht, ich sah diesen
Ort, und wenn Teufel drinn gewesen wären,
er hätte mir nicht fürchterlicher seyn können!
Ich denke, mein Liebster, ein Unschuldiger,
den falsche Zeugen vom Leben zum Tode ge-
bracht, sieht so den Richtplatz, wie ich diesen
Ort -- ich sah deiner Mutter Stuhl. Ver-
zeih lieber Mann, zwar sah' ich keinen Teu-
fel drinn; allein ich dachte doch Arges in
meinem Herzen. Das eine fromme Frau!
Das eine heilige Sängerinn! dacht' ich --
da kam deine Mutter. -- Sie grüßte mich,
allein so verstohlen, als ob sie diesen Gruß
vor der Gemeine bergen, und ja nicht mer-
ken lassen wolte. Das konnte wohl freylich
meine Hitze nicht niederschlagen! Gottlob,
der Bösewicht blieb diesen Sonntag aus. Es
verzeih mir der allerbarmherzigste Gott mein
steinernes Herz, das ich in sein Hauß mitnahm,
das sich noch mehr versteinerte, verfelsete! -- --

Schon beim Liede vor der Predigt:
Ich hab' mein Sach Gott heimgestellt etc.
fieng dies Herz an fleischern zu werden, und
die Predigt! O Gott welch eine Arzeney für
mein Herz! Es war recht, als ob dein Va-

ter

rung buhleriſch angeſehen! — Ich mußt’,
ich mochte wollen oder nicht, ich ſah dieſen
Ort, und wenn Teufel drinn geweſen waͤren,
er haͤtte mir nicht fuͤrchterlicher ſeyn koͤnnen!
Ich denke, mein Liebſter, ein Unſchuldiger,
den falſche Zeugen vom Leben zum Tode ge-
bracht, ſieht ſo den Richtplatz, wie ich dieſen
Ort — ich ſah deiner Mutter Stuhl. Ver-
zeih lieber Mann, zwar ſah’ ich keinen Teu-
fel drinn; allein ich dachte doch Arges in
meinem Herzen. Das eine fromme Frau!
Das eine heilige Saͤngerinn! dacht’ ich —
da kam deine Mutter. — Sie gruͤßte mich,
allein ſo verſtohlen, als ob ſie dieſen Gruß
vor der Gemeine bergen, und ja nicht mer-
ken laſſen wolte. Das konnte wohl freylich
meine Hitze nicht niederſchlagen! Gottlob,
der Boͤſewicht blieb dieſen Sonntag aus. Es
verzeih mir der allerbarmherzigſte Gott mein
ſteinernes Herz, das ich in ſein Hauß mitnahm,
das ſich noch mehr verſteinerte, verfelſete! — —

Schon beim Liede vor der Predigt:
Ich hab’ mein Sach Gott heimgeſtellt ꝛc.
fieng dies Herz an fleiſchern zu werden, und
die Predigt! O Gott welch eine Arzeney fuͤr
mein Herz! Es war recht, als ob dein Va-

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[362/0370] rung buhleriſch angeſehen! — Ich mußt’, ich mochte wollen oder nicht, ich ſah dieſen Ort, und wenn Teufel drinn geweſen waͤren, er haͤtte mir nicht fuͤrchterlicher ſeyn koͤnnen! Ich denke, mein Liebſter, ein Unſchuldiger, den falſche Zeugen vom Leben zum Tode ge- bracht, ſieht ſo den Richtplatz, wie ich dieſen Ort — ich ſah deiner Mutter Stuhl. Ver- zeih lieber Mann, zwar ſah’ ich keinen Teu- fel drinn; allein ich dachte doch Arges in meinem Herzen. Das eine fromme Frau! Das eine heilige Saͤngerinn! dacht’ ich — da kam deine Mutter. — Sie gruͤßte mich, allein ſo verſtohlen, als ob ſie dieſen Gruß vor der Gemeine bergen, und ja nicht mer- ken laſſen wolte. Das konnte wohl freylich meine Hitze nicht niederſchlagen! Gottlob, der Boͤſewicht blieb dieſen Sonntag aus. Es verzeih mir der allerbarmherzigſte Gott mein ſteinernes Herz, das ich in ſein Hauß mitnahm, das ſich noch mehr verſteinerte, verfelſete! — — Schon beim Liede vor der Predigt: Ich hab’ mein Sach Gott heimgeſtellt ꝛc. fieng dies Herz an fleiſchern zu werden, und die Predigt! O Gott welch eine Arzeney fuͤr mein Herz! Es war recht, als ob dein Va- ter

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/370>, abgerufen am 29.04.2024.