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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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gesprochen, daß er den Andres wirklich gesehen,
und so schien selbst die falsche Beschuldigung vor
Gericht auf innerer wahrer Ueberzeugung zu be¬
ruhen. Andres sagte dies Alles unverholen,
indem er hinzusetzte, daß er sich der Schickung
des Himmels ergebe, nach welcher er den schmäh¬
lichen Tod eines Verbrechers sterben solle, daß
aber, sei es auch lange Zeit nachher, seine Un¬
schuld gewiß an den Tag kommen werde. Der
Graf von Vach schien tief erschüttert; er konnte
kaum noch dem Andres sagen, daß, nach seinem
Wunsche, der Tag der Hinrichtung seinem unglück¬
lichen Weibe verschwiegen geblieben sei, und daß
sie sich nebst dem Knaben bei dem alten Förster
aufhalte. Die Rathhausglocke erklang dumpf
und schauerlich in abgemessenen Pulsen. Andres
wurde angekleidet und der Zug ging mit den ge¬
wöhnlichen Feierlichkeiten unter dem Zuströmen
unzählichen Volks nach der Richtstätte. Andres
betete laut und rührte durch sein frommes Betra¬
gen alle, die ihn sahen. Denner hatte die Miene

geſprochen, daß er den Andres wirklich geſehen,
und ſo ſchien ſelbſt die falſche Beſchuldigung vor
Gericht auf innerer wahrer Ueberzeugung zu be¬
ruhen. Andres ſagte dies Alles unverholen,
indem er hinzuſetzte, daß er ſich der Schickung
des Himmels ergebe, nach welcher er den ſchmaͤh¬
lichen Tod eines Verbrechers ſterben ſolle, daß
aber, ſei es auch lange Zeit nachher, ſeine Un¬
ſchuld gewiß an den Tag kommen werde. Der
Graf von Vach ſchien tief erſchuͤttert; er konnte
kaum noch dem Andres ſagen, daß, nach ſeinem
Wunſche, der Tag der Hinrichtung ſeinem ungluͤck¬
lichen Weibe verſchwiegen geblieben ſei, und daß
ſie ſich nebſt dem Knaben bei dem alten Foͤrſter
aufhalte. Die Rathhausglocke erklang dumpf
und ſchauerlich in abgemeſſenen Pulſen. Andres
wurde angekleidet und der Zug ging mit den ge¬
woͤhnlichen Feierlichkeiten unter dem Zuſtroͤmen
unzaͤhlichen Volks nach der Richtſtaͤtte. Andres
betete laut und ruͤhrte durch ſein frommes Betra¬
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[169/0177] geſprochen, daß er den Andres wirklich geſehen, und ſo ſchien ſelbſt die falſche Beſchuldigung vor Gericht auf innerer wahrer Ueberzeugung zu be¬ ruhen. Andres ſagte dies Alles unverholen, indem er hinzuſetzte, daß er ſich der Schickung des Himmels ergebe, nach welcher er den ſchmaͤh¬ lichen Tod eines Verbrechers ſterben ſolle, daß aber, ſei es auch lange Zeit nachher, ſeine Un¬ ſchuld gewiß an den Tag kommen werde. Der Graf von Vach ſchien tief erſchuͤttert; er konnte kaum noch dem Andres ſagen, daß, nach ſeinem Wunſche, der Tag der Hinrichtung ſeinem ungluͤck¬ lichen Weibe verſchwiegen geblieben ſei, und daß ſie ſich nebſt dem Knaben bei dem alten Foͤrſter aufhalte. Die Rathhausglocke erklang dumpf und ſchauerlich in abgemeſſenen Pulſen. Andres wurde angekleidet und der Zug ging mit den ge¬ woͤhnlichen Feierlichkeiten unter dem Zuſtroͤmen unzaͤhlichen Volks nach der Richtſtaͤtte. Andres betete laut und ruͤhrte durch ſein frommes Betra¬ gen alle, die ihn ſahen. Denner hatte die Miene

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/177>, abgerufen am 01.05.2024.