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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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des trotzigen verstockten Bösewichts. Er schaute
munter und kräftig um sich, und lachte oft den
armen Andres tückisch und schadenfroh an.
Andres sollte zuerst hingerichtet werden; er be¬
stieg gefaßt mit dem Henker die Leiter, da kreischte
ein Weib auf und sank ohnmächtig einem alten
Mann in die Arme. Andres blickte hin, es
war Giorgina; laut erflehte er vom Himmel
Fassung und Stärke. "Dort, dort, sehe ich
Dich wieder, mein armes unglückliches Weib, ich
sterbe unschuldig!" rief er, indem er den Blick
sehnsuchtsvoll zum Himmel erhob. Der Richter
rief dem Henker zu, er möge sich fördern, denn
es entstand ein Murren unter dem Volke und es
flogen Steine nach Dennern, der ebenfalls
schon die Leiter bestiegen hatte und die Zuschauer
verhöhnte ob ihres Mitleids mit dem frommen
Andres. Der Henker legte dem Andres den
Strick um den Hals, da scholl es aus der Ferne
her: "Halt -- halt -- um Christus willen halt! --
Der Mann ist unschuldig! -- ihr richtet einen

des trotzigen verſtockten Boͤſewichts. Er ſchaute
munter und kraͤftig um ſich, und lachte oft den
armen Andres tuͤckiſch und ſchadenfroh an.
Andres ſollte zuerſt hingerichtet werden; er be¬
ſtieg gefaßt mit dem Henker die Leiter, da kreiſchte
ein Weib auf und ſank ohnmaͤchtig einem alten
Mann in die Arme. Andres blickte hin, es
war Giorgina; laut erflehte er vom Himmel
Faſſung und Staͤrke. „Dort, dort, ſehe ich
Dich wieder, mein armes ungluͤckliches Weib, ich
ſterbe unſchuldig!“ rief er, indem er den Blick
ſehnſuchtsvoll zum Himmel erhob. Der Richter
rief dem Henker zu, er moͤge ſich foͤrdern, denn
es entſtand ein Murren unter dem Volke und es
flogen Steine nach Dennern, der ebenfalls
ſchon die Leiter beſtiegen hatte und die Zuſchauer
verhoͤhnte ob ihres Mitleids mit dem frommen
Andres. Der Henker legte dem Andres den
Strick um den Hals, da ſcholl es aus der Ferne
her: „Halt — halt — um Chriſtus willen halt! —
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[170/0178] des trotzigen verſtockten Boͤſewichts. Er ſchaute munter und kraͤftig um ſich, und lachte oft den armen Andres tuͤckiſch und ſchadenfroh an. Andres ſollte zuerſt hingerichtet werden; er be¬ ſtieg gefaßt mit dem Henker die Leiter, da kreiſchte ein Weib auf und ſank ohnmaͤchtig einem alten Mann in die Arme. Andres blickte hin, es war Giorgina; laut erflehte er vom Himmel Faſſung und Staͤrke. „Dort, dort, ſehe ich Dich wieder, mein armes ungluͤckliches Weib, ich ſterbe unſchuldig!“ rief er, indem er den Blick ſehnſuchtsvoll zum Himmel erhob. Der Richter rief dem Henker zu, er moͤge ſich foͤrdern, denn es entſtand ein Murren unter dem Volke und es flogen Steine nach Dennern, der ebenfalls ſchon die Leiter beſtiegen hatte und die Zuſchauer verhoͤhnte ob ihres Mitleids mit dem frommen Andres. Der Henker legte dem Andres den Strick um den Hals, da ſcholl es aus der Ferne her: „Halt — halt — um Chriſtus willen halt! — Der Mann iſt unſchuldig! — ihr richtet einen

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/178>, abgerufen am 01.05.2024.