Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

Unschuldigen hin!" -- "Halt -- halt!" schrieen
tausend Stimmen und kaum vermochte die Wache
zu steuern dem Volk, das hinzudrang und den
Andres von der Leiter herabreissen wollte.
Näher sprengte nun der Mann zu Pferde, der
erst gerufen hatte, und Andres erkannte auf
den ersten Blick in dem Fremden den Kaufmann,
der ihm in Frankfurt Giorgina's Erbschaft
ausgezahlt hatte. Seine Brust wollte zersprin¬
gen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er
sich aufrecht erhalten als er von der Leiter herab¬
gestiegen. Der Kaufmann sagte dem Richter,
daß zu derselben Zeit, als der Raubmord im
Vachschen Schlosse verübt worden, Andres in
Frankfurt, also viele Meilen davon entfernt, ge¬
wesen sei, und daß er dies vor Gericht auf die
unzweifelhafteste Weise durch Urkunden und Zeu¬
gen darthun wolle. Da rief der Richter: "Die
Hinrichtung des Andres kann keinesweges ge¬
schehen; denn dieser höchstwichtige Umstand bewei¬
set, wenn er ausgemittelt wird, die völlige Un¬

Unſchuldigen hin!“ — „Halt — halt!“ ſchrieen
tauſend Stimmen und kaum vermochte die Wache
zu ſteuern dem Volk, das hinzudrang und den
Andres von der Leiter herabreiſſen wollte.
Naͤher ſprengte nun der Mann zu Pferde, der
erſt gerufen hatte, und Andres erkannte auf
den erſten Blick in dem Fremden den Kaufmann,
der ihm in Frankfurt Giorgina's Erbſchaft
ausgezahlt hatte. Seine Bruſt wollte zerſprin¬
gen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er
ſich aufrecht erhalten als er von der Leiter herab¬
geſtiegen. Der Kaufmann ſagte dem Richter,
daß zu derſelben Zeit, als der Raubmord im
Vachſchen Schloſſe veruͤbt worden, Andres in
Frankfurt, alſo viele Meilen davon entfernt, ge¬
weſen ſei, und daß er dies vor Gericht auf die
unzweifelhafteſte Weiſe durch Urkunden und Zeu¬
gen darthun wolle. Da rief der Richter: „Die
Hinrichtung des Andres kann keinesweges ge¬
ſchehen; denn dieſer hoͤchſtwichtige Umſtand bewei¬
ſet, wenn er ausgemittelt wird, die voͤllige Un¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0179" n="171"/>
Un&#x017F;chuldigen hin!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Halt &#x2014; halt!&#x201C; &#x017F;chrieen<lb/>
tau&#x017F;end Stimmen und kaum vermochte die Wache<lb/>
zu &#x017F;teuern dem Volk, das hinzudrang und den<lb/><hi rendition="#g">Andres</hi> von der Leiter herabrei&#x017F;&#x017F;en wollte.<lb/>
Na&#x0364;her &#x017F;prengte nun der Mann zu Pferde, der<lb/>
er&#x017F;t gerufen hatte, und <hi rendition="#g">Andres</hi> erkannte auf<lb/>
den er&#x017F;ten Blick in dem Fremden den Kaufmann,<lb/>
der ihm in Frankfurt <hi rendition="#g">Giorgina's</hi> Erb&#x017F;chaft<lb/>
ausgezahlt hatte. Seine Bru&#x017F;t wollte zer&#x017F;prin¬<lb/>
gen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er<lb/>
&#x017F;ich aufrecht erhalten als er von der Leiter herab¬<lb/>
ge&#x017F;tiegen. Der Kaufmann &#x017F;agte dem Richter,<lb/>
daß zu der&#x017F;elben Zeit, als der Raubmord im<lb/><hi rendition="#g">Vach</hi>&#x017F;chen Schlo&#x017F;&#x017F;e veru&#x0364;bt worden, <hi rendition="#g">Andres</hi> in<lb/>
Frankfurt, al&#x017F;o viele Meilen davon entfernt, ge¬<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;ei, und daß er dies vor Gericht auf die<lb/>
unzweifelhafte&#x017F;te Wei&#x017F;e durch Urkunden und Zeu¬<lb/>
gen darthun wolle. Da rief der Richter: &#x201E;Die<lb/>
Hinrichtung des <hi rendition="#g">Andres</hi> kann keinesweges ge¬<lb/>
&#x017F;chehen; denn die&#x017F;er ho&#x0364;ch&#x017F;twichtige Um&#x017F;tand bewei¬<lb/>
&#x017F;et, wenn er ausgemittelt wird, die vo&#x0364;llige Un¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0179] Unſchuldigen hin!“ — „Halt — halt!“ ſchrieen tauſend Stimmen und kaum vermochte die Wache zu ſteuern dem Volk, das hinzudrang und den Andres von der Leiter herabreiſſen wollte. Naͤher ſprengte nun der Mann zu Pferde, der erſt gerufen hatte, und Andres erkannte auf den erſten Blick in dem Fremden den Kaufmann, der ihm in Frankfurt Giorgina's Erbſchaft ausgezahlt hatte. Seine Bruſt wollte zerſprin¬ gen vor Freude und Seligkeit, kaum konnte er ſich aufrecht erhalten als er von der Leiter herab¬ geſtiegen. Der Kaufmann ſagte dem Richter, daß zu derſelben Zeit, als der Raubmord im Vachſchen Schloſſe veruͤbt worden, Andres in Frankfurt, alſo viele Meilen davon entfernt, ge¬ weſen ſei, und daß er dies vor Gericht auf die unzweifelhafteſte Weiſe durch Urkunden und Zeu¬ gen darthun wolle. Da rief der Richter: „Die Hinrichtung des Andres kann keinesweges ge¬ ſchehen; denn dieſer hoͤchſtwichtige Umſtand bewei¬ ſet, wenn er ausgemittelt wird, die voͤllige Un¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/179
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/179>, abgerufen am 01.05.2024.