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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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sie, "nun habe ich Dich ganz wieder, da ich weiß,
daß Du unschuldig bist; denn auch ich habe an
Deiner Redlichkeit, an Deiner Frömmigkeit ge¬
zweifelt!" -- Unerachtet man Giorginen
den Tag der Hinrichtung verschwiegen, war sie
doch von unbeschreiblicher Angst, von seltsamer
Ahnung getrieben, nach Fulda geeilt, und gerade
auf die Richtstätte gekommen, als ihr Mann
die verhängnißvolle Leiter bestieg, die ihn zum
Tode führen sollte. Der Kaufmann war die ganze
lange Zeit der Untersuchung über auf Reisen in
Frankreich und Italien gewesen, und jetzt über
Wien und Prag zurückgekehrt. Der Zufall, oder
vielmehr eine besondere Schickung des Himmels,
wollte, daß er gerade in dem entscheidendsten Au¬
genblick auf dem Richtplatze ankam, und den
armen Andres von dem schmählichen Tode des
Verbrechens rettete. Im Gasthofe erfuhr er die
ganze Geschichte des Andres und es fiel ihm
gleich schwer aufs Herz, daß Andres wol der¬
selbe Revierjäger seyn könne, der vor zwei Jahren

ſie, „nun habe ich Dich ganz wieder, da ich weiß,
daß Du unſchuldig biſt; denn auch ich habe an
Deiner Redlichkeit, an Deiner Froͤmmigkeit ge¬
zweifelt!“ — Unerachtet man Giorginen
den Tag der Hinrichtung verſchwiegen, war ſie
doch von unbeſchreiblicher Angſt, von ſeltſamer
Ahnung getrieben, nach Fulda geeilt, und gerade
auf die Richtſtaͤtte gekommen, als ihr Mann
die verhaͤngnißvolle Leiter beſtieg, die ihn zum
Tode fuͤhren ſollte. Der Kaufmann war die ganze
lange Zeit der Unterſuchung uͤber auf Reiſen in
Frankreich und Italien geweſen, und jetzt uͤber
Wien und Prag zuruͤckgekehrt. Der Zufall, oder
vielmehr eine beſondere Schickung des Himmels,
wollte, daß er gerade in dem entſcheidendſten Au¬
genblick auf dem Richtplatze ankam, und den
armen Andres von dem ſchmaͤhlichen Tode des
Verbrechens rettete. Im Gaſthofe erfuhr er die
ganze Geſchichte des Andres und es fiel ihm
gleich ſchwer aufs Herz, daß Andres wol der¬
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[173/0181] ſie, „nun habe ich Dich ganz wieder, da ich weiß, daß Du unſchuldig biſt; denn auch ich habe an Deiner Redlichkeit, an Deiner Froͤmmigkeit ge¬ zweifelt!“ — Unerachtet man Giorginen den Tag der Hinrichtung verſchwiegen, war ſie doch von unbeſchreiblicher Angſt, von ſeltſamer Ahnung getrieben, nach Fulda geeilt, und gerade auf die Richtſtaͤtte gekommen, als ihr Mann die verhaͤngnißvolle Leiter beſtieg, die ihn zum Tode fuͤhren ſollte. Der Kaufmann war die ganze lange Zeit der Unterſuchung uͤber auf Reiſen in Frankreich und Italien geweſen, und jetzt uͤber Wien und Prag zuruͤckgekehrt. Der Zufall, oder vielmehr eine beſondere Schickung des Himmels, wollte, daß er gerade in dem entſcheidendſten Au¬ genblick auf dem Richtplatze ankam, und den armen Andres von dem ſchmaͤhlichen Tode des Verbrechens rettete. Im Gaſthofe erfuhr er die ganze Geſchichte des Andres und es fiel ihm gleich ſchwer aufs Herz, daß Andres wol der¬ ſelbe Revierjaͤger ſeyn koͤnne, der vor zwei Jahren

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/181>, abgerufen am 01.05.2024.