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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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richtet, als alle übrige Sinne zusammengenommen."
"Ho ho," rief Franz lachelnd, "so wären denn
die Fledermäuse eigentlich recht die gebornen natür¬
lichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augen¬
blick, dessen Du gedachtest, will ich Posto fassen
und bemerken, daß jener sechste bewundrungswür¬
dige Sinn vermag an jeder Erscheinung, sei es
Person, That oder Begebenheit, sogleich dasjenige
exzentrische zu schauen, zu dem wir in unserm ge¬
wöhnlichen Leben keine Gleichung finden und es
daher wunderbar nennen. Was ist denn aber ge¬
wöhnliches Leben? -- Ach das Drehen in dem
engen Kreise, an den unsere Nase überall stößt,
und doch will man wohl Courbetten versuchen im
taktmäßigen Paßgang des Alltagsgeschäfts. Ich
kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir
sprechen, ganz vorzüglich eigen scheint. Daher
kommt es, daß er oft unbekannten Menschen, die
irgend etwas verwunderliches in Gang, Kleidung,
Ton, Blick haben, Tagelang nachläuft, daß er
über eine Gegebenheit, über eine That, leicht hin

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richtet, als alle uͤbrige Sinne zuſammengenommen.“
„Ho ho,“ rief Franz lachelnd, „ſo waͤren denn
die Fledermaͤuſe eigentlich recht die gebornen natuͤr¬
lichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augen¬
blick, deſſen Du gedachteſt, will ich Poſto faſſen
und bemerken, daß jener ſechſte bewundrungswuͤr¬
dige Sinn vermag an jeder Erſcheinung, ſei es
Perſon, That oder Begebenheit, ſogleich dasjenige
exzentriſche zu ſchauen, zu dem wir in unſerm ge¬
woͤhnlichen Leben keine Gleichung finden und es
daher wunderbar nennen. Was iſt denn aber ge¬
woͤhnliches Leben? — Ach das Drehen in dem
engen Kreiſe, an den unſere Naſe uͤberall ſtoͤßt,
und doch will man wohl Courbetten verſuchen im
taktmaͤßigen Paßgang des Alltagsgeſchaͤfts. Ich
kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir
ſprechen, ganz vorzuͤglich eigen ſcheint. Daher
kommt es, daß er oft unbekannten Menſchen, die
irgend etwas verwunderliches in Gang, Kleidung,
Ton, Blick haben, Tagelang nachlaͤuft, daß er
uͤber eine Gegebenheit, uͤber eine That, leicht hin

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[3/0011] richtet, als alle uͤbrige Sinne zuſammengenommen.“ „Ho ho,“ rief Franz lachelnd, „ſo waͤren denn die Fledermaͤuſe eigentlich recht die gebornen natuͤr¬ lichen Somnambulen! Doch in dem heitern Augen¬ blick, deſſen Du gedachteſt, will ich Poſto faſſen und bemerken, daß jener ſechſte bewundrungswuͤr¬ dige Sinn vermag an jeder Erſcheinung, ſei es Perſon, That oder Begebenheit, ſogleich dasjenige exzentriſche zu ſchauen, zu dem wir in unſerm ge¬ woͤhnlichen Leben keine Gleichung finden und es daher wunderbar nennen. Was iſt denn aber ge¬ woͤhnliches Leben? — Ach das Drehen in dem engen Kreiſe, an den unſere Naſe uͤberall ſtoͤßt, und doch will man wohl Courbetten verſuchen im taktmaͤßigen Paßgang des Alltagsgeſchaͤfts. Ich kenne jemanden, dem jene Sehergabe, von der wir ſprechen, ganz vorzuͤglich eigen ſcheint. Daher kommt es, daß er oft unbekannten Menſchen, die irgend etwas verwunderliches in Gang, Kleidung, Ton, Blick haben, Tagelang nachlaͤuft, daß er uͤber eine Gegebenheit, uͤber eine That, leicht hin A 2

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/11>, abgerufen am 28.04.2024.