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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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Herzen stammen, das, seines Volkes Nationali-
tät ehrend, und sich dieselbe anzueignen strebend,
den Schauplatz, wo sie sich am lebhaftesten mani-
festirt und bildet -- und das ist doch gewiß die
Bühne? -- mit Vorliebe ansieht. Dieser Um-
stand hat aber auf mich keinen Einfluß, sondern
abgemessen, abgewogen und wohlüberlegt, halte
ich das Amsterdammer Theater für eines der bes-
sern, die ich sah. Von dem Punkte müssen wir
nämlich ausgehen, daß sich die Holländer -- lu-
stig genug -- nach dem französischen Theater bil-
den. Wer nun unter uns seine Nationalität, aus
Pflichtgefühl, oder Unfähigkeit aus sich selbst her-
aus zu gehen, nicht gefangen nehmen kann, um
das französische Trauer- und Lustspiel aus sich
selbst zu beurtheilen, der muß in dem holländischen
alle die unangenehmen Empfindungen haben, die
ein, nur an unsre Gattung gewöhntes Ohr, bei
jenen hat. Aber einmal angenommen, daß die
ganze Darstellung auf der Bühne, nicht das Le-
ben, wie wir es leben, bedeutet, sondern gestei-
gerte, gleichsam in ihrer jedesmaligen Gattung
concentrirte Empfindung und Leidenschaften dar-
stellt, so kann ich beurtheilen, ob der Schauspie-
ler den ihm gegebenen Bedingungen Genüge lei-

O

Herzen ſtammen, das, ſeines Volkes Nationali-
taͤt ehrend, und ſich dieſelbe anzueignen ſtrebend,
den Schauplatz, wo ſie ſich am lebhafteſten mani-
feſtirt und bildet — und das iſt doch gewiß die
Buͤhne? — mit Vorliebe anſieht. Dieſer Um-
ſtand hat aber auf mich keinen Einfluß, ſondern
abgemeſſen, abgewogen und wohluͤberlegt, halte
ich das Amſterdammer Theater fuͤr eines der beſ-
ſern, die ich ſah. Von dem Punkte muͤſſen wir
naͤmlich ausgehen, daß ſich die Hollaͤnder — lu-
ſtig genug — nach dem franzoͤſiſchen Theater bil-
den. Wer nun unter uns ſeine Nationalitaͤt, aus
Pflichtgefuͤhl, oder Unfaͤhigkeit aus ſich ſelbſt her-
aus zu gehen, nicht gefangen nehmen kann, um
das franzoͤſiſche Trauer- und Luſtſpiel aus ſich
ſelbſt zu beurtheilen, der muß in dem hollaͤndiſchen
alle die unangenehmen Empfindungen haben, die
ein, nur an unſre Gattung gewoͤhntes Ohr, bei
jenen hat. Aber einmal angenommen, daß die
ganze Darſtellung auf der Buͤhne, nicht das Le-
ben, wie wir es leben, bedeutet, ſondern geſtei-
gerte, gleichſam in ihrer jedesmaligen Gattung
concentrirte Empfindung und Leidenſchaften dar-
ſtellt, ſo kann ich beurtheilen, ob der Schauſpie-
ler den ihm gegebenen Bedingungen Genuͤge lei-

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[209/0223] Herzen ſtammen, das, ſeines Volkes Nationali- taͤt ehrend, und ſich dieſelbe anzueignen ſtrebend, den Schauplatz, wo ſie ſich am lebhafteſten mani- feſtirt und bildet — und das iſt doch gewiß die Buͤhne? — mit Vorliebe anſieht. Dieſer Um- ſtand hat aber auf mich keinen Einfluß, ſondern abgemeſſen, abgewogen und wohluͤberlegt, halte ich das Amſterdammer Theater fuͤr eines der beſ- ſern, die ich ſah. Von dem Punkte muͤſſen wir naͤmlich ausgehen, daß ſich die Hollaͤnder — lu- ſtig genug — nach dem franzoͤſiſchen Theater bil- den. Wer nun unter uns ſeine Nationalitaͤt, aus Pflichtgefuͤhl, oder Unfaͤhigkeit aus ſich ſelbſt her- aus zu gehen, nicht gefangen nehmen kann, um das franzoͤſiſche Trauer- und Luſtſpiel aus ſich ſelbſt zu beurtheilen, der muß in dem hollaͤndiſchen alle die unangenehmen Empfindungen haben, die ein, nur an unſre Gattung gewoͤhntes Ohr, bei jenen hat. Aber einmal angenommen, daß die ganze Darſtellung auf der Buͤhne, nicht das Le- ben, wie wir es leben, bedeutet, ſondern geſtei- gerte, gleichſam in ihrer jedesmaligen Gattung concentrirte Empfindung und Leidenſchaften dar- ſtellt, ſo kann ich beurtheilen, ob der Schauſpie- ler den ihm gegebenen Bedingungen Genuͤge lei- O

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/223>, abgerufen am 29.04.2024.