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Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847.

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allmälig zu einiger Selbstständigkeit gelangt sind. Was uns die, neuerlichst so glücklich fortgesetzten Ausgrabungen in Pompeji von antiker Landschaftmalerei in der Manier des Ludius zeigen, gehört höchst wahrscheinlich einer einzigen und zwar sehr kurzen Zeitepoche15 von Nero bis Titus an; denn die Stadt war 16 Jahre vor dem berühmten Ausbruch des Vesuvs schon einmal durch Erdbeben gänzlich zerstört worden.

Die spätere christliche Malerei blieb nach ihrem Kunstcharakter, von Constantin dem Großen an bis zu dem Anfange des Mittelalters, der ächt griechischen und römischen nahe verwandt. Es offenbart uns dieselbe einen Schatz von alten Erinnerungen sowohl in den Miniaturen16, welche prachtvolle und wohlerhaltene Manuscripte zieren, wie in den seltneren Mosaiken derselben Epochen. Rumohr gedenkt eines Psalmen-Manuscripts in der Barberina zu Rom, wo in einer Miniatur "David die Harfe schlägt, von einem anmuthigen Haine umgeben, aus dessen Gezweige Nymphen hervorlauschen. Diese Personification deutet auf die antike Wurzel des ganzen Bildes." Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo Italien verarmt und politisch zerrüttet war, bewahrte vorzugsweise die byzantinische Kunst im östlichen Reiche den Nachklang und die schwer verlöschenden Typen einer besseren Zeit. Solche Denkmäler bilden den Uebergang zu den Schöpfungen des späteren Mittelalters, nachdem die Liebe zu der Ausschmückung der Manuscripte sich aus dem griechischen Orient nach den Abendländern und dem Norden, in die fränkische Monarchie, unter den Angelsachsen und in die Niederlande verbreitet hatte. Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geschichte

allmälig zu einiger Selbstständigkeit gelangt sind. Was uns die, neuerlichst so glücklich fortgesetzten Ausgrabungen in Pompeji von antiker Landschaftmalerei in der Manier des Ludius zeigen, gehört höchst wahrscheinlich einer einzigen und zwar sehr kurzen Zeitepoche15 von Nero bis Titus an; denn die Stadt war 16 Jahre vor dem berühmten Ausbruch des Vesuvs schon einmal durch Erdbeben gänzlich zerstört worden.

Die spätere christliche Malerei blieb nach ihrem Kunstcharakter, von Constantin dem Großen an bis zu dem Anfange des Mittelalters, der ächt griechischen und römischen nahe verwandt. Es offenbart uns dieselbe einen Schatz von alten Erinnerungen sowohl in den Miniaturen16, welche prachtvolle und wohlerhaltene Manuscripte zieren, wie in den seltneren Mosaiken derselben Epochen. Rumohr gedenkt eines Psalmen-Manuscripts in der Barberina zu Rom, wo in einer Miniatur „David die Harfe schlägt, von einem anmuthigen Haine umgeben, aus dessen Gezweige Nymphen hervorlauschen. Diese Personification deutet auf die antike Wurzel des ganzen Bildes." Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo Italien verarmt und politisch zerrüttet war, bewahrte vorzugsweise die byzantinische Kunst im östlichen Reiche den Nachklang und die schwer verlöschenden Typen einer besseren Zeit. Solche Denkmäler bilden den Uebergang zu den Schöpfungen des späteren Mittelalters, nachdem die Liebe zu der Ausschmückung der Manuscripte sich aus dem griechischen Orient nach den Abendländern und dem Norden, in die fränkische Monarchie, unter den Angelsachsen und in die Niederlande verbreitet hatte. Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geschichte

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[80/0085] allmälig zu einiger Selbstständigkeit gelangt sind. Was uns die, neuerlichst so glücklich fortgesetzten Ausgrabungen in Pompeji von antiker Landschaftmalerei in der Manier des Ludius zeigen, gehört höchst wahrscheinlich einer einzigen und zwar sehr kurzen Zeitepoche ¹⁵ von Nero bis Titus an; denn die Stadt war 16 Jahre vor dem berühmten Ausbruch des Vesuvs schon einmal durch Erdbeben gänzlich zerstört worden. Die spätere christliche Malerei blieb nach ihrem Kunstcharakter, von Constantin dem Großen an bis zu dem Anfange des Mittelalters, der ächt griechischen und römischen nahe verwandt. Es offenbart uns dieselbe einen Schatz von alten Erinnerungen sowohl in den Miniaturen ¹⁶ , welche prachtvolle und wohlerhaltene Manuscripte zieren, wie in den seltneren Mosaiken derselben Epochen. Rumohr gedenkt eines Psalmen-Manuscripts in der Barberina zu Rom, wo in einer Miniatur „David die Harfe schlägt, von einem anmuthigen Haine umgeben, aus dessen Gezweige Nymphen hervorlauschen. Diese Personification deutet auf die antike Wurzel des ganzen Bildes." Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts, wo Italien verarmt und politisch zerrüttet war, bewahrte vorzugsweise die byzantinische Kunst im östlichen Reiche den Nachklang und die schwer verlöschenden Typen einer besseren Zeit. Solche Denkmäler bilden den Uebergang zu den Schöpfungen des späteren Mittelalters, nachdem die Liebe zu der Ausschmückung der Manuscripte sich aus dem griechischen Orient nach den Abendländern und dem Norden, in die fränkische Monarchie, unter den Angelsachsen und in die Niederlande verbreitet hatte. Es ist daher von nicht geringer Wichtigkeit für die Geschichte

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart u. a., 1847, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_kosmos02_1847/85>, abgerufen am 29.04.2024.