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Humboldt, Alexander von: Ueber den Manati des Orinoko. In: Archiv für Naturgeschichte, 4 Jg., Bd. 1 (1838), S. 1-18, [397], [399].

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nicht zu unterscheiden wusste, und dass man alle Krokodile,
welche die Flüsse der heissen Zone bevölkern, unter zwei
Arten vereinigen zu müssen glaubte. Es ist eine der zahlrei-
chen Entdeckungen Cuviers, zuerst die Existenz von 12-15
Arten dieser raubgierigen Reptilien nachgewiesen zu haben.
Wie viel Ungewissheit herrscht nicht noch immer in der Be-
stimmung der grossen Phoken, Pottwalle, Wallfische und an-
derer Cetaceen, welche das hohe Meer bewohnen.

Mehrere reisende Botaniker hatten die genaue Prüfung
von Pflanzen der südlichen Hemisphäre vernachlässigt, von
denen sie annahmen, dass es dieselben Pflanzen seien, welche
in Europa wachsen. Eben dieser Mangel an Sorgfalt ist es,
welcher die Irrthümer veranlasste, die sich in den Werken
über geographische Verbreitung der Gewächse fortpflanzten.
Man hat angegeben, dass Pflanzen Lapplands auf den graniti-
schen Felsen des Feuerlandes oder auf dem Gipfel der Anden
wüchsen. Genauere Untersuchungen, welche man über diese
Pflanzen von europäischer Form, oder, wenn man so sagen
darf, von europäischer Physiognomie, anstellte, haben gezeigt,
dass hier nur eine Analogie, nicht eine Identität der Arten ob-
waltet. Diese Quelle des Irrthumes war dieselbe für die Geo-
graphie der Pflanzen und der Thiere. Die reisenden Zoolo-
gen haben in den Thieren der heissen Zone des neuen Con-
tinents dieselben Arten zu erkennen geglaubt, welche von Na-
turforschern beschrieben wurden, die Afrika oder die Ufer des
Ganges durchforschten. Wenn die Cataloge, denen wir den
pomphaften Namen Systema naturae geben, für ein und das-
selbe Thier die Aequinoctial-Länder verschiedener Continente
als gemeinsames Vaterland angeben, dürfen wir mit grösster
Wahrscheinlichkeit voraussetzen, dass verschiedene Arten un-
ter demselben Namen verwechselt sind.

Das Thier, dessen Beschreibung der Hauptzweck dieser
Abhandlung ist, gehört zu den grossen Säugethieren, welche
man in allen Reisebeschreibungen erwähnt findet, ohne dass
man dahin gekommen wäre, es durch scharfe Charactere von
analogen Arten zu unterscheiden, welche dieselben Climate be-
wohnen. Der Manati, welchen Namen dies Thier in den
spanischen Colonien führt, wurde bekanntlich von Linne und
andern Naturforschern zu dem Wallross (Trichechus) ge-

nicht zu unterscheiden wuſste, und daſs man alle Krokodile,
welche die Flüsse der heiſsen Zone bevölkern, unter zwei
Arten vereinigen zu müssen glaubte. Es ist eine der zahlrei-
chen Entdeckungen Cuviers, zuerst die Existenz von 12–15
Arten dieser raubgierigen Reptilien nachgewiesen zu haben.
Wie viel Ungewiſsheit herrscht nicht noch immer in der Be-
stimmung der groſsen Phoken, Pottwalle, Wallfische und an-
derer Cetaceen, welche das hohe Meer bewohnen.

Mehrere reisende Botaniker hatten die genaue Prüfung
von Pflanzen der südlichen Hemisphäre vernachlässigt, von
denen sie annahmen, daſs es dieselben Pflanzen seien, welche
in Europa wachsen. Eben dieser Mangel an Sorgfalt ist es,
welcher die Irrthümer veranlaſste, die sich in den Werken
über geographische Verbreitung der Gewächse fortpflanzten.
Man hat angegeben, daſs Pflanzen Lapplands auf den graniti-
schen Felsen des Feuerlandes oder auf dem Gipfel der Anden
wüchsen. Genauere Untersuchungen, welche man über diese
Pflanzen von europäischer Form, oder, wenn man so sagen
darf, von europäischer Physiognomie, anstellte, haben gezeigt,
daſs hier nur eine Analogie, nicht eine Identität der Arten ob-
waltet. Diese Quelle des Irrthumes war dieselbe für die Geo-
graphie der Pflanzen und der Thiere. Die reisenden Zoolo-
gen haben in den Thieren der heiſsen Zone des neuen Con-
tinents dieselben Arten zu erkennen geglaubt, welche von Na-
turforschern beschrieben wurden, die Afrika oder die Ufer des
Ganges durchforschten. Wenn die Cataloge, denen wir den
pomphaften Namen Systema naturae geben, für ein und das-
selbe Thier die Aequinoctial-Länder verschiedener Continente
als gemeinsames Vaterland angeben, dürfen wir mit gröſster
Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daſs verschiedene Arten un-
ter demselben Namen verwechselt sind.

Das Thier, dessen Beschreibung der Hauptzweck dieser
Abhandlung ist, gehört zu den groſsen Säugethieren, welche
man in allen Reisebeschreibungen erwähnt findet, ohne daſs
man dahin gekommen wäre, es durch scharfe Charactere von
analogen Arten zu unterscheiden, welche dieselben Climate be-
wohnen. Der Manati, welchen Namen dies Thier in den
spanischen Colonien führt, wurde bekanntlich von Linné und
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[2/0003] nicht zu unterscheiden wuſste, und daſs man alle Krokodile, welche die Flüsse der heiſsen Zone bevölkern, unter zwei Arten vereinigen zu müssen glaubte. Es ist eine der zahlrei- chen Entdeckungen Cuviers, zuerst die Existenz von 12–15 Arten dieser raubgierigen Reptilien nachgewiesen zu haben. Wie viel Ungewiſsheit herrscht nicht noch immer in der Be- stimmung der groſsen Phoken, Pottwalle, Wallfische und an- derer Cetaceen, welche das hohe Meer bewohnen. Mehrere reisende Botaniker hatten die genaue Prüfung von Pflanzen der südlichen Hemisphäre vernachlässigt, von denen sie annahmen, daſs es dieselben Pflanzen seien, welche in Europa wachsen. Eben dieser Mangel an Sorgfalt ist es, welcher die Irrthümer veranlaſste, die sich in den Werken über geographische Verbreitung der Gewächse fortpflanzten. Man hat angegeben, daſs Pflanzen Lapplands auf den graniti- schen Felsen des Feuerlandes oder auf dem Gipfel der Anden wüchsen. Genauere Untersuchungen, welche man über diese Pflanzen von europäischer Form, oder, wenn man so sagen darf, von europäischer Physiognomie, anstellte, haben gezeigt, daſs hier nur eine Analogie, nicht eine Identität der Arten ob- waltet. Diese Quelle des Irrthumes war dieselbe für die Geo- graphie der Pflanzen und der Thiere. Die reisenden Zoolo- gen haben in den Thieren der heiſsen Zone des neuen Con- tinents dieselben Arten zu erkennen geglaubt, welche von Na- turforschern beschrieben wurden, die Afrika oder die Ufer des Ganges durchforschten. Wenn die Cataloge, denen wir den pomphaften Namen Systema naturae geben, für ein und das- selbe Thier die Aequinoctial-Länder verschiedener Continente als gemeinsames Vaterland angeben, dürfen wir mit gröſster Wahrscheinlichkeit voraussetzen, daſs verschiedene Arten un- ter demselben Namen verwechselt sind. Das Thier, dessen Beschreibung der Hauptzweck dieser Abhandlung ist, gehört zu den groſsen Säugethieren, welche man in allen Reisebeschreibungen erwähnt findet, ohne daſs man dahin gekommen wäre, es durch scharfe Charactere von analogen Arten zu unterscheiden, welche dieselben Climate be- wohnen. Der Manati, welchen Namen dies Thier in den spanischen Colonien führt, wurde bekanntlich von Linné und andern Naturforschern zu dem Wallroſs (Trichechus) ge-

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Ueber den Manati des Orinoko. In: Archiv für Naturgeschichte, 4 Jg., Bd. 1 (1838), S. 1-18, [397], [399], S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_manati_1838/3>, abgerufen am 26.04.2024.