Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

bekommen. In der That, meine Werthesten, die
christliche Mystik hatte das alte, wohlbekannte, revo-
lutionaire Coblenzer Blau, Roth und Weiß von
Anno 1793 angelegt. Ein Farbenkundiger sagte
mir nachmals, diese Tricolore sei die eigentliche
Grundfarbe des Autors und trete bei jeder Erregung,
auch bei der mystischen, aus allen anderen Ueber-
pinselungen immer wieder siegreich an ihm hervor.

Nun, dem sei, wie ihm wolle. Ich stellte
meinen Gorres auf ein andres Brett, hatte ihm
jedoch in der Nachtmüdigkeit abermals einen unschick-
lichen Platz gegeben, wie ich am folgenden Mor-
gen sah. Nämlich, neben Voltaires Pucelle hatte
ich ihn gestellt. Aber diesem verschollnen Spotte
gegenüber hat sich die christliche Mystik sehr mäch-
tig und überwältigend erwiesen. Denken Sie sich,
die Pucelle war in der Nacht von dem frommen
Buche bekehrt worden, wahrscheinlich durch die sich
in demselben entwickelnde fette und aromatische
Oelbildung. Sie mögen es glauben, oder nicht,
es liegt mir nichts daran, aber es ist wahr. Das
frivole Gedicht war in sich geschlagen, der Text
verschwunden, und ich hielt, als ich einen Blick
hineinthat, ein in Halbfranz gebundnes Buch voll

bekommen. In der That, meine Wertheſten, die
chriſtliche Myſtik hatte das alte, wohlbekannte, revo-
lutionaire Coblenzer Blau, Roth und Weiß von
Anno 1793 angelegt. Ein Farbenkundiger ſagte
mir nachmals, dieſe Tricolore ſei die eigentliche
Grundfarbe des Autors und trete bei jeder Erregung,
auch bei der myſtiſchen, aus allen anderen Ueber-
pinſelungen immer wieder ſiegreich an ihm hervor.

Nun, dem ſei, wie ihm wolle. Ich ſtellte
meinen Gorres auf ein andres Brett, hatte ihm
jedoch in der Nachtmüdigkeit abermals einen unſchick-
lichen Platz gegeben, wie ich am folgenden Mor-
gen ſah. Nämlich, neben Voltaires Pucelle hatte
ich ihn geſtellt. Aber dieſem verſchollnen Spotte
gegenüber hat ſich die chriſtliche Myſtik ſehr mäch-
tig und überwältigend erwieſen. Denken Sie ſich,
die Pucelle war in der Nacht von dem frommen
Buche bekehrt worden, wahrſcheinlich durch die ſich
in demſelben entwickelnde fette und aromatiſche
Oelbildung. Sie mögen es glauben, oder nicht,
es liegt mir nichts daran, aber es iſt wahr. Das
frivole Gedicht war in ſich geſchlagen, der Text
verſchwunden, und ich hielt, als ich einen Blick
hineinthat, ein in Halbfranz gebundnes Buch voll

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="208"/>
bekommen. In der That, meine Werthe&#x017F;ten, die<lb/>
chri&#x017F;tliche My&#x017F;tik hatte das alte, wohlbekannte, revo-<lb/>
lutionaire Coblenzer Blau, Roth und Weiß von<lb/>
Anno 1793 angelegt. Ein Farbenkundiger &#x017F;agte<lb/>
mir nachmals, die&#x017F;e Tricolore &#x017F;ei die eigentliche<lb/>
Grundfarbe des Autors und trete bei jeder Erregung,<lb/>
auch bei der my&#x017F;ti&#x017F;chen, aus allen anderen Ueber-<lb/>
pin&#x017F;elungen immer wieder &#x017F;iegreich an ihm hervor.</p><lb/>
          <p>Nun, dem &#x017F;ei, wie ihm wolle. Ich &#x017F;tellte<lb/>
meinen Gorres auf ein andres Brett, hatte ihm<lb/>
jedoch in der Nachtmüdigkeit abermals einen un&#x017F;chick-<lb/>
lichen Platz gegeben, wie ich am folgenden Mor-<lb/>
gen &#x017F;ah. Nämlich, neben Voltaires Pucelle hatte<lb/>
ich ihn ge&#x017F;tellt. Aber die&#x017F;em ver&#x017F;chollnen Spotte<lb/>
gegenüber hat &#x017F;ich die chri&#x017F;tliche My&#x017F;tik &#x017F;ehr mäch-<lb/>
tig und überwältigend erwie&#x017F;en. Denken Sie &#x017F;ich,<lb/>
die Pucelle war in der Nacht von dem frommen<lb/>
Buche bekehrt worden, wahr&#x017F;cheinlich durch die &#x017F;ich<lb/>
in dem&#x017F;elben entwickelnde fette und aromati&#x017F;che<lb/>
Oelbildung. Sie mögen es glauben, oder nicht,<lb/>
es liegt mir nichts daran, aber es i&#x017F;t wahr. Das<lb/>
frivole Gedicht war in &#x017F;ich ge&#x017F;chlagen, der Text<lb/>
ver&#x017F;chwunden, und ich hielt, als ich einen Blick<lb/>
hineinthat, ein in Halbfranz gebundnes Buch voll<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0216] bekommen. In der That, meine Wertheſten, die chriſtliche Myſtik hatte das alte, wohlbekannte, revo- lutionaire Coblenzer Blau, Roth und Weiß von Anno 1793 angelegt. Ein Farbenkundiger ſagte mir nachmals, dieſe Tricolore ſei die eigentliche Grundfarbe des Autors und trete bei jeder Erregung, auch bei der myſtiſchen, aus allen anderen Ueber- pinſelungen immer wieder ſiegreich an ihm hervor. Nun, dem ſei, wie ihm wolle. Ich ſtellte meinen Gorres auf ein andres Brett, hatte ihm jedoch in der Nachtmüdigkeit abermals einen unſchick- lichen Platz gegeben, wie ich am folgenden Mor- gen ſah. Nämlich, neben Voltaires Pucelle hatte ich ihn geſtellt. Aber dieſem verſchollnen Spotte gegenüber hat ſich die chriſtliche Myſtik ſehr mäch- tig und überwältigend erwieſen. Denken Sie ſich, die Pucelle war in der Nacht von dem frommen Buche bekehrt worden, wahrſcheinlich durch die ſich in demſelben entwickelnde fette und aromatiſche Oelbildung. Sie mögen es glauben, oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber es iſt wahr. Das frivole Gedicht war in ſich geſchlagen, der Text verſchwunden, und ich hielt, als ich einen Blick hineinthat, ein in Halbfranz gebundnes Buch voll

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/216
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 1. Düsseldorf, 1838, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen01_1838/216>, abgerufen am 30.04.2024.