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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Erlösung! Er kam bis auf die Lippen, da fiel ihm
auf einmal wieder ein blasphemischer Gedanke ein,
und alsobald rutschte er auch wieder hinunter, so
daß ein Jeder von uns das Geräusch hörte. Es
war, wie wenn ein Sack auf den Fußboden fiel.
Der magische Schneider rief: Sein guter Engel
muß es doch aber wissen, muß auch den blasphe-
mischen Gedanken vorhersehen, wie darf er denn
die Leut' so anführen? Der Engel, durch Kern-
beißer's sanften Gesang berufen, kam, bat um Ver-
gebung, er müsse sich im Datum geirrt haben, es
sei droben gar zu viel zu thun, und setzte nun den
Termin der Erlösung auf den fünften Januar,
dann, als auch dieser fruchtlos verstrich, auf den
dritten Februar, und so, bei immer wiederkehren-
den Fehlschlagungen der Erlösung nach einander
auf sechs verschiedene Tage in den Monaten März,
April, Mai.

Der Dämon blieb fest in der Schnotterbaum
sitzen, die nun schon Anfälle von Bewußtlosigkeiten
hatte. Ja, was ist das? sagte Eschenmichel, wir
müssen denn doch den Engel darüber ernsthaft zur
Rede stellen. -- Wie kannst'u uns so oft täuschen?
fragte Kernbeißer sanft und freundlich den Engel.

Erlöſung! Er kam bis auf die Lippen, da fiel ihm
auf einmal wieder ein blasphemiſcher Gedanke ein,
und alſobald rutſchte er auch wieder hinunter, ſo
daß ein Jeder von uns das Geräuſch hörte. Es
war, wie wenn ein Sack auf den Fußboden fiel.
Der magiſche Schneider rief: Sein guter Engel
muß es doch aber wiſſen, muß auch den blasphe-
miſchen Gedanken vorherſehen, wie darf er denn
die Leut’ ſo anführen? Der Engel, durch Kern-
beißer’s ſanften Geſang berufen, kam, bat um Ver-
gebung, er müſſe ſich im Datum geirrt haben, es
ſei droben gar zu viel zu thun, und ſetzte nun den
Termin der Erlöſung auf den fünften Januar,
dann, als auch dieſer fruchtlos verſtrich, auf den
dritten Februar, und ſo, bei immer wiederkehren-
den Fehlſchlagungen der Erlöſung nach einander
auf ſechs verſchiedene Tage in den Monaten März,
April, Mai.

Der Dämon blieb feſt in der Schnotterbaum
ſitzen, die nun ſchon Anfälle von Bewußtloſigkeiten
hatte. Ja, was iſt das? ſagte Eſchenmichel, wir
müſſen denn doch den Engel darüber ernſthaft zur
Rede ſtellen. — Wie kannſt’u uns ſo oft täuſchen?
fragte Kernbeißer ſanft und freundlich den Engel.

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[312/0330] Erlöſung! Er kam bis auf die Lippen, da fiel ihm auf einmal wieder ein blasphemiſcher Gedanke ein, und alſobald rutſchte er auch wieder hinunter, ſo daß ein Jeder von uns das Geräuſch hörte. Es war, wie wenn ein Sack auf den Fußboden fiel. Der magiſche Schneider rief: Sein guter Engel muß es doch aber wiſſen, muß auch den blasphe- miſchen Gedanken vorherſehen, wie darf er denn die Leut’ ſo anführen? Der Engel, durch Kern- beißer’s ſanften Geſang berufen, kam, bat um Ver- gebung, er müſſe ſich im Datum geirrt haben, es ſei droben gar zu viel zu thun, und ſetzte nun den Termin der Erlöſung auf den fünften Januar, dann, als auch dieſer fruchtlos verſtrich, auf den dritten Februar, und ſo, bei immer wiederkehren- den Fehlſchlagungen der Erlöſung nach einander auf ſechs verſchiedene Tage in den Monaten März, April, Mai. Der Dämon blieb feſt in der Schnotterbaum ſitzen, die nun ſchon Anfälle von Bewußtloſigkeiten hatte. Ja, was iſt das? ſagte Eſchenmichel, wir müſſen denn doch den Engel darüber ernſthaft zur Rede ſtellen. — Wie kannſt’u uns ſo oft täuſchen? fragte Kernbeißer ſanft und freundlich den Engel.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/330>, abgerufen am 27.04.2024.