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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Der Küster hatte sich, da er seine Sache in
guten Händen sah, aus Politik, um nicht persön-
lich überrumpelt zu werden, auf einige Zeit vom
Oberhofe entfernt. Er ging zwischen den Wall-
hecken spazieren, und mit ihm ging einer der frem-
den Hochzeitgäste, ein alter Schirrmeister, der im
nächsten Postorte gerade seine zehn Ruhestunden
genoß, und die Gelegenheit nicht hatte vorbeigehen
lassen wollen, vom Hochzeitbraten zu kosten -- ein
weitläuftiger Anverwandter des Hofschulzen. Er
gehörte zu den ausgedienten Kriegsknechten, die
nach vielen Mühen und Strapazen einen sogenann-
ten Ruheposten bekommen. Der Ruheposten unse-
res Schirrmeisters gestattete ihm viermal im
Monat sein Bette aufzusuchen, sonst lag er bei
Nacht und bei Tage auf der Landstraße. Er hatte
so viel Kupfer auf der Nase, als ein rechtschaffener
Schirrmeister haben muß, war ein Fünfziger, d. h.
hoch in den Fünfzigen, rüstig und wacker, und litt
nur von seinen Feldzügen her an der Gicht, die
ihn zuweilen ganz contract machte.

Der Küster und der Schirrmeister unterhielten
sich in dieser Zwischenzeit vor Tische vom mensch-
lichen Leben und vom höchsten Gute. -- Wenn man

Der Küſter hatte ſich, da er ſeine Sache in
guten Händen ſah, aus Politik, um nicht perſön-
lich überrumpelt zu werden, auf einige Zeit vom
Oberhofe entfernt. Er ging zwiſchen den Wall-
hecken ſpazieren, und mit ihm ging einer der frem-
den Hochzeitgäſte, ein alter Schirrmeiſter, der im
nächſten Poſtorte gerade ſeine zehn Ruheſtunden
genoß, und die Gelegenheit nicht hatte vorbeigehen
laſſen wollen, vom Hochzeitbraten zu koſten — ein
weitläuftiger Anverwandter des Hofſchulzen. Er
gehörte zu den ausgedienten Kriegsknechten, die
nach vielen Mühen und Strapazen einen ſogenann-
ten Ruhepoſten bekommen. Der Ruhepoſten unſe-
res Schirrmeiſters geſtattete ihm viermal im
Monat ſein Bette aufzuſuchen, ſonſt lag er bei
Nacht und bei Tage auf der Landſtraße. Er hatte
ſo viel Kupfer auf der Naſe, als ein rechtſchaffener
Schirrmeiſter haben muß, war ein Fünfziger, d. h.
hoch in den Fünfzigen, rüſtig und wacker, und litt
nur von ſeinen Feldzügen her an der Gicht, die
ihn zuweilen ganz contract machte.

Der Küſter und der Schirrmeiſter unterhielten
ſich in dieſer Zwiſchenzeit vor Tiſche vom menſch-
lichen Leben und vom höchſten Gute. — Wenn man

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[84/0098] Der Küſter hatte ſich, da er ſeine Sache in guten Händen ſah, aus Politik, um nicht perſön- lich überrumpelt zu werden, auf einige Zeit vom Oberhofe entfernt. Er ging zwiſchen den Wall- hecken ſpazieren, und mit ihm ging einer der frem- den Hochzeitgäſte, ein alter Schirrmeiſter, der im nächſten Poſtorte gerade ſeine zehn Ruheſtunden genoß, und die Gelegenheit nicht hatte vorbeigehen laſſen wollen, vom Hochzeitbraten zu koſten — ein weitläuftiger Anverwandter des Hofſchulzen. Er gehörte zu den ausgedienten Kriegsknechten, die nach vielen Mühen und Strapazen einen ſogenann- ten Ruhepoſten bekommen. Der Ruhepoſten unſe- res Schirrmeiſters geſtattete ihm viermal im Monat ſein Bette aufzuſuchen, ſonſt lag er bei Nacht und bei Tage auf der Landſtraße. Er hatte ſo viel Kupfer auf der Naſe, als ein rechtſchaffener Schirrmeiſter haben muß, war ein Fünfziger, d. h. hoch in den Fünfzigen, rüſtig und wacker, und litt nur von ſeinen Feldzügen her an der Gicht, die ihn zuweilen ganz contract machte. Der Küſter und der Schirrmeiſter unterhielten ſich in dieſer Zwiſchenzeit vor Tiſche vom menſch- lichen Leben und vom höchſten Gute. — Wenn man

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/98>, abgerufen am 29.04.2024.