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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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so wie ich auf vielen Hochzeiten gewesen ist, sagte
der Küster, wenn man sieht, wie die jungen Leute
einander heirathen, nach neun Monaten ein Kind
kriegen, und dann immer so fort, jedes Jahr ein
frisches Kind -- nun stirbt dieses und jenes Kind,
und die, welche leben bleiben, heirathen nach meh-
reren Jahren auch, und zuletzt stirbt Alles mit
einander, und man hat das, wenn man seine sechzig
Jahre auf den Schultern trägt, wie gesagt, eini-
gemale mit durchmachen müssen, so kommt Einem
das menschliche Leben ganz einerlei vor und wie
eine Kugel, die sich immer umdreht.

Das menschliche Leben kommt mir mehr gleich-
sam als wie eine Reise vor, sagte der Schirr-
meister.

Der Küster sah seinen Gefährten lange erstaunt
an und sprach darauf: Dieser Gedanke ist ganz
neu, denn ich fand ihn noch nirgends in den vie-
len Büchern, die ich doch gelesen habe.

Der Schirrmeister fühlte sich geschmeichelt und
versetzte: Unterweges fällt Unser Einem allerhand
ein. Es soll mir ganz recht seyn, wenn dieser
Gedanke noch nirgendwo geschrieben steht, denn
Bücher zu lesen habe ich freilich keine Zeit.


ſo wie ich auf vielen Hochzeiten geweſen iſt, ſagte
der Küſter, wenn man ſieht, wie die jungen Leute
einander heirathen, nach neun Monaten ein Kind
kriegen, und dann immer ſo fort, jedes Jahr ein
friſches Kind — nun ſtirbt dieſes und jenes Kind,
und die, welche leben bleiben, heirathen nach meh-
reren Jahren auch, und zuletzt ſtirbt Alles mit
einander, und man hat das, wenn man ſeine ſechzig
Jahre auf den Schultern trägt, wie geſagt, eini-
gemale mit durchmachen müſſen, ſo kommt Einem
das menſchliche Leben ganz einerlei vor und wie
eine Kugel, die ſich immer umdreht.

Das menſchliche Leben kommt mir mehr gleich-
ſam als wie eine Reiſe vor, ſagte der Schirr-
meiſter.

Der Küſter ſah ſeinen Gefährten lange erſtaunt
an und ſprach darauf: Dieſer Gedanke iſt ganz
neu, denn ich fand ihn noch nirgends in den vie-
len Büchern, die ich doch geleſen habe.

Der Schirrmeiſter fühlte ſich geſchmeichelt und
verſetzte: Unterweges fällt Unſer Einem allerhand
ein. Es ſoll mir ganz recht ſeyn, wenn dieſer
Gedanke noch nirgendwo geſchrieben ſteht, denn
Bücher zu leſen habe ich freilich keine Zeit.


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[85/0099] ſo wie ich auf vielen Hochzeiten geweſen iſt, ſagte der Küſter, wenn man ſieht, wie die jungen Leute einander heirathen, nach neun Monaten ein Kind kriegen, und dann immer ſo fort, jedes Jahr ein friſches Kind — nun ſtirbt dieſes und jenes Kind, und die, welche leben bleiben, heirathen nach meh- reren Jahren auch, und zuletzt ſtirbt Alles mit einander, und man hat das, wenn man ſeine ſechzig Jahre auf den Schultern trägt, wie geſagt, eini- gemale mit durchmachen müſſen, ſo kommt Einem das menſchliche Leben ganz einerlei vor und wie eine Kugel, die ſich immer umdreht. Das menſchliche Leben kommt mir mehr gleich- ſam als wie eine Reiſe vor, ſagte der Schirr- meiſter. Der Küſter ſah ſeinen Gefährten lange erſtaunt an und ſprach darauf: Dieſer Gedanke iſt ganz neu, denn ich fand ihn noch nirgends in den vie- len Büchern, die ich doch geleſen habe. Der Schirrmeiſter fühlte ſich geſchmeichelt und verſetzte: Unterweges fällt Unſer Einem allerhand ein. Es ſoll mir ganz recht ſeyn, wenn dieſer Gedanke noch nirgendwo geſchrieben ſteht, denn Bücher zu leſen habe ich freilich keine Zeit.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/99>, abgerufen am 29.04.2024.