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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
Mitte der dreissig bis zum vierzigsten Jahre, sie sind im ersten
Stil des Meisters und bei weitem die ansprechendsten. Ein
prachtvoller Kopf von starken aber edlen Zügen, hinter denen
man eher einen Condottiere des dreissigjährigen Kriegs, als den
red- und schreibseligen Intriganten der hohen Politik und In-
tendanten der menus plaisirs S. M. vermuthen würde.

So möchte man sich den glorreichen Ahnherrn Guzman el
Bueno vorstellen, dessen Züge vielleicht in diesem seinem unkrie-
gerischen Nachkommen wieder aufgelebt waren. "Er ist von
Person ansehnlich, sagt Khevenhiller, und sieht einem römischen
Kaiser gleich." Es sind darin noch die Spuren jenes von Voiture
geschilderten "grossen schöngewachsenen Cavaliers, des galant-
sten Mannes am Hof, und des besten Reiters in ganz Spanien".

Im Aufgang seiner Macht zeigt ihn das Bildniss in Dorche-
ster House, wahrscheinlich aus der Sammlung des Hauses Alta-
mira, welches den Herzogtitel von San Lucar erbte. Es ist das
bedeutendste Bildniss in dem frühsten, Sevillaner Stil, und weil man
diesen nicht kennt, hat man es bezweifelt 1). Die mit Schärfe beob-
achteten und mit Feinheit ausgedrückten Eigenheiten der Figur
und des Kopfes, die Exactheit, mit der das von dem Minister
und dem Maler gemeinsam ausgearbeitete Ganze von Attitüde, Co-
stüm und Insignien wiedergegeben ist, machen die Figur zu
einem Compendium der Biographie, gemalt wie die Charakteristik
eines Mocenigo.

Auf hellgrauem Grund steht der stattliche Mann dreiviertel
nach links gewandt, ganz in schwarz, der durchdringende Seiten-
blick dem Betrachter folgend. Ueber der hohen Stirn, mit ihren
stark ausgeprägten Höckern, (besonders dem mittlern) sitzt bereits
die Perücke. Abwärtsgekrümmte Nase, schmale etwas einge-
zogene Oberlippe, vortretendes Kinn (entsprechend dem hohen
starken Hinterkopf), kurzer viereckig geschnittener Bart. Der
Ausdruck ist ernst (im Einklang mit dem langen und breiten schwar-
zen Mantel), ja etwas matt. Dieser hängt elegant lose über
der linken Schulter und lässt die Figur fast ganz frei. Die starke
rechte Hand stützt sich auf den Tisch mit rothsammtner Decke;
sie fasst eine grademporstehende Reitgerte, das Abzeichen des

1) Auf der Versteigerung des Col. Hugh Baillie 1858 erreichte es 598 £ 10 s.,
auf der Mr. Charles Scarisbricks (Mai 1861) nur 262 £ 10 s. 85" h. 51" br. Curtis
Nr. 171. Exhibition of Old Masters 1887. In der Ecke unten links steht El
Conde Duque.

Zweites Buch.
Mitte der dreissig bis zum vierzigsten Jahre, sie sind im ersten
Stil des Meisters und bei weitem die ansprechendsten. Ein
prachtvoller Kopf von starken aber edlen Zügen, hinter denen
man eher einen Condottiere des dreissigjährigen Kriegs, als den
red- und schreibseligen Intriganten der hohen Politik und In-
tendanten der menus plaisirs S. M. vermuthen würde.

So möchte man sich den glorreichen Ahnherrn Guzman el
Bueno vorstellen, dessen Züge vielleicht in diesem seinem unkrie-
gerischen Nachkommen wieder aufgelebt waren. „Er ist von
Person ansehnlich, sagt Khevenhiller, und sieht einem römischen
Kaiser gleich.“ Es sind darin noch die Spuren jenes von Voiture
geschilderten „grossen schöngewachsenen Cavaliers, des galant-
sten Mannes am Hof, und des besten Reiters in ganz Spanien“.

Im Aufgang seiner Macht zeigt ihn das Bildniss in Dorche-
ster House, wahrscheinlich aus der Sammlung des Hauses Alta-
mira, welches den Herzogtitel von San Lucar erbte. Es ist das
bedeutendste Bildniss in dem frühsten, Sevillaner Stil, und weil man
diesen nicht kennt, hat man es bezweifelt 1). Die mit Schärfe beob-
achteten und mit Feinheit ausgedrückten Eigenheiten der Figur
und des Kopfes, die Exactheit, mit der das von dem Minister
und dem Maler gemeinsam ausgearbeitete Ganze von Attitüde, Co-
stüm und Insignien wiedergegeben ist, machen die Figur zu
einem Compendium der Biographie, gemalt wie die Charakteristik
eines Mocenigo.

Auf hellgrauem Grund steht der stattliche Mann dreiviertel
nach links gewandt, ganz in schwarz, der durchdringende Seiten-
blick dem Betrachter folgend. Ueber der hohen Stirn, mit ihren
stark ausgeprägten Höckern, (besonders dem mittlern) sitzt bereits
die Perücke. Abwärtsgekrümmte Nase, schmale etwas einge-
zogene Oberlippe, vortretendes Kinn (entsprechend dem hohen
starken Hinterkopf), kurzer viereckig geschnittener Bart. Der
Ausdruck ist ernst (im Einklang mit dem langen und breiten schwar-
zen Mantel), ja etwas matt. Dieser hängt elegant lose über
der linken Schulter und lässt die Figur fast ganz frei. Die starke
rechte Hand stützt sich auf den Tisch mit rothsammtner Decke;
sie fasst eine grademporstehende Reitgerte, das Abzeichen des

1) Auf der Versteigerung des Col. Hugh Baillie 1858 erreichte es 598 £ 10 s.,
auf der Mr. Charles Scarisbricks (Mai 1861) nur 262 £ 10 s. 85″ h. 51″ br. Curtis
Nr. 171. Exhibition of Old Masters 1887. In der Ecke unten links steht El
Conde Duque.
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[212/0234] Zweites Buch. Mitte der dreissig bis zum vierzigsten Jahre, sie sind im ersten Stil des Meisters und bei weitem die ansprechendsten. Ein prachtvoller Kopf von starken aber edlen Zügen, hinter denen man eher einen Condottiere des dreissigjährigen Kriegs, als den red- und schreibseligen Intriganten der hohen Politik und In- tendanten der menus plaisirs S. M. vermuthen würde. So möchte man sich den glorreichen Ahnherrn Guzman el Bueno vorstellen, dessen Züge vielleicht in diesem seinem unkrie- gerischen Nachkommen wieder aufgelebt waren. „Er ist von Person ansehnlich, sagt Khevenhiller, und sieht einem römischen Kaiser gleich.“ Es sind darin noch die Spuren jenes von Voiture geschilderten „grossen schöngewachsenen Cavaliers, des galant- sten Mannes am Hof, und des besten Reiters in ganz Spanien“. Im Aufgang seiner Macht zeigt ihn das Bildniss in Dorche- ster House, wahrscheinlich aus der Sammlung des Hauses Alta- mira, welches den Herzogtitel von San Lucar erbte. Es ist das bedeutendste Bildniss in dem frühsten, Sevillaner Stil, und weil man diesen nicht kennt, hat man es bezweifelt 1). Die mit Schärfe beob- achteten und mit Feinheit ausgedrückten Eigenheiten der Figur und des Kopfes, die Exactheit, mit der das von dem Minister und dem Maler gemeinsam ausgearbeitete Ganze von Attitüde, Co- stüm und Insignien wiedergegeben ist, machen die Figur zu einem Compendium der Biographie, gemalt wie die Charakteristik eines Mocenigo. Auf hellgrauem Grund steht der stattliche Mann dreiviertel nach links gewandt, ganz in schwarz, der durchdringende Seiten- blick dem Betrachter folgend. Ueber der hohen Stirn, mit ihren stark ausgeprägten Höckern, (besonders dem mittlern) sitzt bereits die Perücke. Abwärtsgekrümmte Nase, schmale etwas einge- zogene Oberlippe, vortretendes Kinn (entsprechend dem hohen starken Hinterkopf), kurzer viereckig geschnittener Bart. Der Ausdruck ist ernst (im Einklang mit dem langen und breiten schwar- zen Mantel), ja etwas matt. Dieser hängt elegant lose über der linken Schulter und lässt die Figur fast ganz frei. Die starke rechte Hand stützt sich auf den Tisch mit rothsammtner Decke; sie fasst eine grademporstehende Reitgerte, das Abzeichen des 1) Auf der Versteigerung des Col. Hugh Baillie 1858 erreichte es 598 £ 10 s., auf der Mr. Charles Scarisbricks (Mai 1861) nur 262 £ 10 s. 85″ h. 51″ br. Curtis Nr. 171. Exhibition of Old Masters 1887. In der Ecke unten links steht El Conde Duque.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/234>, abgerufen am 27.04.2024.