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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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Mittelalter, mit gothischen Städtchen, Brücken,
Klöstern, Stadtmauern, Galgen, Gärten, kurz ein
ganzes Weichbild aus einem andern Jahrhundert
ausbreiteten, endlich sogar hochtragische Scenen
aus den letzten Bewegungen der Erdoberfläche,
wo dann die rüstige Reißkohle gänzlich in Hypo¬
thesen hin und wieder fegte.

Daß Heinrich, dem doch so früh ein guter
Sinn für das Wahre und Natürliche aufgegangen
war, sich dennoch so schnell und anhaltend diesem
künstlichen und absonderlichen Wesen hingeben
konnte, davon lag einer der Gründe nahe genug.

Er hatte von Jugend auf, seit er kaum sein
inneres Auge aufgethan, alle Ueberlieferung und
alles Wunder von sich gestoßen und sich einem
selbstgemachten, manchmal etwas flachen Ratio¬
nalismus hingegeben, wie ihn eben ein sich selbst
überlassener Knabe einseitig gebären kann.

In dem zweifelhaften Lichte dieser Aufklärung
stand einsam und unvermittelt sein Gott, ein wahrer
Diamantberg von einem Wunder, in welchem sich
die Zustände und Bedürfnisse Heinrichs abspiegel¬
ten und in flüchtigen Regenbogenfarben ausstrahl¬

Mittelalter, mit gothiſchen Staͤdtchen, Bruͤcken,
Kloͤſtern, Stadtmauern, Galgen, Gaͤrten, kurz ein
ganzes Weichbild aus einem andern Jahrhundert
ausbreiteten, endlich ſogar hochtragiſche Scenen
aus den letzten Bewegungen der Erdoberflaͤche,
wo dann die ruͤſtige Reißkohle gaͤnzlich in Hypo¬
theſen hin und wieder fegte.

Daß Heinrich, dem doch ſo fruͤh ein guter
Sinn fuͤr das Wahre und Natuͤrliche aufgegangen
war, ſich dennoch ſo ſchnell und anhaltend dieſem
kuͤnſtlichen und abſonderlichen Weſen hingeben
konnte, davon lag einer der Gruͤnde nahe genug.

Er hatte von Jugend auf, ſeit er kaum ſein
inneres Auge aufgethan, alle Ueberlieferung und
alles Wunder von ſich geſtoßen und ſich einem
ſelbſtgemachten, manchmal etwas flachen Ratio¬
nalismus hingegeben, wie ihn eben ein ſich ſelbſt
uͤberlaſſener Knabe einſeitig gebaͤren kann.

In dem zweifelhaften Lichte dieſer Aufklaͤrung
ſtand einſam und unvermittelt ſein Gott, ein wahrer
Diamantberg von einem Wunder, in welchem ſich
die Zuſtaͤnde und Beduͤrfniſſe Heinrichs abſpiegel¬
ten und in fluͤchtigen Regenbogenfarben ausſtrahl¬

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[196/0206] Mittelalter, mit gothiſchen Staͤdtchen, Bruͤcken, Kloͤſtern, Stadtmauern, Galgen, Gaͤrten, kurz ein ganzes Weichbild aus einem andern Jahrhundert ausbreiteten, endlich ſogar hochtragiſche Scenen aus den letzten Bewegungen der Erdoberflaͤche, wo dann die ruͤſtige Reißkohle gaͤnzlich in Hypo¬ theſen hin und wieder fegte. Daß Heinrich, dem doch ſo fruͤh ein guter Sinn fuͤr das Wahre und Natuͤrliche aufgegangen war, ſich dennoch ſo ſchnell und anhaltend dieſem kuͤnſtlichen und abſonderlichen Weſen hingeben konnte, davon lag einer der Gruͤnde nahe genug. Er hatte von Jugend auf, ſeit er kaum ſein inneres Auge aufgethan, alle Ueberlieferung und alles Wunder von ſich geſtoßen und ſich einem ſelbſtgemachten, manchmal etwas flachen Ratio¬ nalismus hingegeben, wie ihn eben ein ſich ſelbſt uͤberlaſſener Knabe einſeitig gebaͤren kann. In dem zweifelhaften Lichte dieſer Aufklaͤrung ſtand einſam und unvermittelt ſein Gott, ein wahrer Diamantberg von einem Wunder, in welchem ſich die Zuſtaͤnde und Beduͤrfniſſe Heinrichs abſpiegel¬ ten und in fluͤchtigen Regenbogenfarben ausſtrahl¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/206>, abgerufen am 28.04.2024.