ten. Er glaubte diesen Diamantfels ureigen in seiner Menschenbrust begründet und angeboren, weil unvorbereitet und ungezwungen ein inniges und tiefes Gefühl der Gottheit ihn erfüllte, so¬ bald er nur einen Blick an den Sternenhimmel warf oder Bedürfniß und Verwirrung ihn drängten.
Er wußte oder bedachte aber nicht, daß das Angeborne eines Gedankens noch kein Beweis für dessen Erfüllung ist, sondern ein bloßes Er¬ gebniß der langen Fortpflanzung in den Geschlechts¬ folgen sein kann; wie es denn wirklich sittliche oder unsittliche Eigenschaften giebt, welche sich unbestritten in einzelnen Familien wie in ganzen Stämmen fortpflanzen und oft ganz nah an das Gebiet der Ideen streifen, aber dennoch nicht un¬ austilgbar sind. Es ist wahrscheinlich, daß die angelsächsische Race nahezu lange genug frei ge¬ wesen ist, um das Freiheitsgefühl physisch an¬ geboren zu besitzen, ohne es deswegen für alle Zukunft gesichert zu haben, während den Russen die Zusammenfassung und Verherrlichung der Nationalität in einer absoluten und despotischen Person und der daraus entspringende Unterwürfig¬
ten. Er glaubte dieſen Diamantfels ureigen in ſeiner Menſchenbruſt begruͤndet und angeboren, weil unvorbereitet und ungezwungen ein inniges und tiefes Gefuͤhl der Gottheit ihn erfuͤllte, ſo¬ bald er nur einen Blick an den Sternenhimmel warf oder Beduͤrfniß und Verwirrung ihn draͤngten.
Er wußte oder bedachte aber nicht, daß das Angeborne eines Gedankens noch kein Beweis fuͤr deſſen Erfuͤllung iſt, ſondern ein bloßes Er¬ gebniß der langen Fortpflanzung in den Geſchlechts¬ folgen ſein kann; wie es denn wirklich ſittliche oder unſittliche Eigenſchaften giebt, welche ſich unbeſtritten in einzelnen Familien wie in ganzen Staͤmmen fortpflanzen und oft ganz nah an das Gebiet der Ideen ſtreifen, aber dennoch nicht un¬ austilgbar ſind. Es iſt wahrſcheinlich, daß die angelſaͤchſiſche Race nahezu lange genug frei ge¬ weſen iſt, um das Freiheitsgefuͤhl phyſiſch an¬ geboren zu beſitzen, ohne es deswegen fuͤr alle Zukunft geſichert zu haben, waͤhrend den Ruſſen die Zuſammenfaſſung und Verherrlichung der Nationalitaͤt in einer abſoluten und deſpotiſchen Perſon und der daraus entſpringende Unterwuͤrfig¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0207"n="197"/>
ten. Er glaubte dieſen Diamantfels ureigen in<lb/>ſeiner Menſchenbruſt begruͤndet und angeboren,<lb/>
weil unvorbereitet und ungezwungen ein inniges<lb/>
und tiefes Gefuͤhl der Gottheit ihn erfuͤllte, ſo¬<lb/>
bald er nur einen Blick an den Sternenhimmel<lb/>
warf oder Beduͤrfniß und Verwirrung ihn draͤngten.<lb/></p><p>Er wußte oder bedachte aber nicht, daß das<lb/>
Angeborne eines Gedankens noch kein Beweis<lb/>
fuͤr deſſen Erfuͤllung iſt, ſondern ein bloßes Er¬<lb/>
gebniß der langen Fortpflanzung in den Geſchlechts¬<lb/>
folgen ſein kann; wie es denn wirklich ſittliche<lb/>
oder unſittliche Eigenſchaften giebt, welche ſich<lb/>
unbeſtritten in einzelnen Familien wie in ganzen<lb/>
Staͤmmen fortpflanzen und oft ganz nah an das<lb/>
Gebiet der Ideen ſtreifen, aber dennoch nicht un¬<lb/>
austilgbar ſind. Es iſt wahrſcheinlich, daß die<lb/>
angelſaͤchſiſche Race nahezu lange genug frei ge¬<lb/>
weſen iſt, um das Freiheitsgefuͤhl phyſiſch an¬<lb/>
geboren zu beſitzen, ohne es deswegen fuͤr alle<lb/>
Zukunft geſichert zu haben, waͤhrend den Ruſſen<lb/>
die Zuſammenfaſſung und Verherrlichung der<lb/>
Nationalitaͤt in einer abſoluten und deſpotiſchen<lb/>
Perſon und der daraus entſpringende Unterwuͤrfig¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[197/0207]
ten. Er glaubte dieſen Diamantfels ureigen in
ſeiner Menſchenbruſt begruͤndet und angeboren,
weil unvorbereitet und ungezwungen ein inniges
und tiefes Gefuͤhl der Gottheit ihn erfuͤllte, ſo¬
bald er nur einen Blick an den Sternenhimmel
warf oder Beduͤrfniß und Verwirrung ihn draͤngten.
Er wußte oder bedachte aber nicht, daß das
Angeborne eines Gedankens noch kein Beweis
fuͤr deſſen Erfuͤllung iſt, ſondern ein bloßes Er¬
gebniß der langen Fortpflanzung in den Geſchlechts¬
folgen ſein kann; wie es denn wirklich ſittliche
oder unſittliche Eigenſchaften giebt, welche ſich
unbeſtritten in einzelnen Familien wie in ganzen
Staͤmmen fortpflanzen und oft ganz nah an das
Gebiet der Ideen ſtreifen, aber dennoch nicht un¬
austilgbar ſind. Es iſt wahrſcheinlich, daß die
angelſaͤchſiſche Race nahezu lange genug frei ge¬
weſen iſt, um das Freiheitsgefuͤhl phyſiſch an¬
geboren zu beſitzen, ohne es deswegen fuͤr alle
Zukunft geſichert zu haben, waͤhrend den Ruſſen
die Zuſammenfaſſung und Verherrlichung der
Nationalitaͤt in einer abſoluten und deſpotiſchen
Perſon und der daraus entſpringende Unterwuͤrfig¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/207>, abgerufen am 27.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.