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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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zu disputiren oder den Sittenrichter zu spielen,
lächelte er vielmehr dazu. Anders, als in den
religiösen Fragen, wo er die Existenz seines Be¬
wußtseins auf dem Spiele glaubte, zwang er sich
hier, die Art und Weise Anderer gelten zu lassen
und sie sogar anzuerkennen. Es war ein Zeichen
seiner gänzlichen geistigen Unschuld; denn bei
mehr Erfahrung hätte das Verhältniß gerade
umgekehrt sein müssen.

Aber alles zusammengenommen bewirkte, daß
Heinrich glaubte, sich seinen eigenen Weg in je¬
der Hinsicht frei halten zu müssen, und für Fer¬
dinand's künstlerisches Beispiel unzugänglich wurde,
zumal in dessen fertiger und bewußter Tüchtigkeit
etwas von der Keckheit und Erfahrungsreife,
von dem Liebesglücke Ferdinand's zu liegen schien.

Sonst waren die Drei, Lys, Erikson und
Heinrich, die besten Freunde von der Welt, und
Jeder gab seinen Charakter in der unbefangensten
Weise dem Andern zum besten. Sie waren um
so lieber und unzertrennlicher zusammen, als noch
ein besonderes gemeinsames Band sie vereinigte.
Jeder von ihnen stammte aus einer Heimath, wo

zu disputiren oder den Sittenrichter zu ſpielen,
laͤchelte er vielmehr dazu. Anders, als in den
religioͤſen Fragen, wo er die Exiſtenz ſeines Be¬
wußtſeins auf dem Spiele glaubte, zwang er ſich
hier, die Art und Weiſe Anderer gelten zu laſſen
und ſie ſogar anzuerkennen. Es war ein Zeichen
ſeiner gaͤnzlichen geiſtigen Unſchuld; denn bei
mehr Erfahrung haͤtte das Verhaͤltniß gerade
umgekehrt ſein muͤſſen.

Aber alles zuſammengenommen bewirkte, daß
Heinrich glaubte, ſich ſeinen eigenen Weg in je¬
der Hinſicht frei halten zu muͤſſen, und fuͤr Fer¬
dinand's kuͤnſtleriſches Beiſpiel unzugaͤnglich wurde,
zumal in deſſen fertiger und bewußter Tuͤchtigkeit
etwas von der Keckheit und Erfahrungsreife,
von dem Liebesgluͤcke Ferdinand's zu liegen ſchien.

Sonſt waren die Drei, Lys, Erikſon und
Heinrich, die beſten Freunde von der Welt, und
Jeder gab ſeinen Charakter in der unbefangenſten
Weiſe dem Andern zum beſten. Sie waren um
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[205/0215] zu disputiren oder den Sittenrichter zu ſpielen, laͤchelte er vielmehr dazu. Anders, als in den religioͤſen Fragen, wo er die Exiſtenz ſeines Be¬ wußtſeins auf dem Spiele glaubte, zwang er ſich hier, die Art und Weiſe Anderer gelten zu laſſen und ſie ſogar anzuerkennen. Es war ein Zeichen ſeiner gaͤnzlichen geiſtigen Unſchuld; denn bei mehr Erfahrung haͤtte das Verhaͤltniß gerade umgekehrt ſein muͤſſen. Aber alles zuſammengenommen bewirkte, daß Heinrich glaubte, ſich ſeinen eigenen Weg in je¬ der Hinſicht frei halten zu muͤſſen, und fuͤr Fer¬ dinand's kuͤnſtleriſches Beiſpiel unzugaͤnglich wurde, zumal in deſſen fertiger und bewußter Tuͤchtigkeit etwas von der Keckheit und Erfahrungsreife, von dem Liebesgluͤcke Ferdinand's zu liegen ſchien. Sonſt waren die Drei, Lys, Erikſon und Heinrich, die beſten Freunde von der Welt, und Jeder gab ſeinen Charakter in der unbefangenſten Weiſe dem Andern zum beſten. Sie waren um ſo lieber und unzertrennlicher zuſammen, als noch ein beſonderes gemeinſames Band ſie vereinigte. Jeder von ihnen ſtammte aus einer Heimath, wo

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/215>, abgerufen am 28.04.2024.