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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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durch einen seltsamen Firlefanz von Kronleuchtern
ziemlich schwach erleuchtet war, erblickte sie eine
kleinere Gesellschaft, die da in aller Stille und
Fröhlichkeit sich zu unterhalten schien. Als Frau
Regel genauer hinsah, erkannte sie sieben bis
acht verheirathete Frauen, deren Männer sie schon
in dem Speisesaal hatte spielen sehen zu einem
hohen und prahlerischen Satze. Diese Frauen
saßen in einem engen Halbkreise und vor ihnen
eben so viel junge Männer, die ihnen den Hof
machten. Unter diesen war Fritz abermals nicht
zu finden und seine Mutter hierüber sehr froh,
da der Kreis dieser Damen nichts weniger als
beruhigend anzusehen war. Denn als sie die¬
selben einzeln musterte, waren es lauter jüngere
Frauen, welche jede auf ihre Weise für gefähr¬
lich galt und in der Stadt, wenn auch nicht
eines schlimmen, doch eines geheimnißvollen Rufes
genoß, was bei der herrschenden Duldsamkeit
immer noch genug war. Da saß erstens die
nicht häßliche Adele Anderau, welche üppig und
verlockend anzusehen war, ohne daß man recht
wußte, woran es lag, und welche alle jungen
Leute jezuweilen mit halbgeschlossenen Augen so

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 10

durch einen ſeltſamen Firlefanz von Kronleuchtern
ziemlich ſchwach erleuchtet war, erblickte ſie eine
kleinere Geſellſchaft, die da in aller Stille und
Fröhlichkeit ſich zu unterhalten ſchien. Als Frau
Regel genauer hinſah, erkannte ſie ſieben bis
acht verheirathete Frauen, deren Männer ſie ſchon
in dem Speiſeſaal hatte ſpielen ſehen zu einem
hohen und prahleriſchen Satze. Dieſe Frauen
ſaßen in einem engen Halbkreiſe und vor ihnen
eben ſo viel junge Männer, die ihnen den Hof
machten. Unter dieſen war Fritz abermals nicht
zu finden und ſeine Mutter hierüber ſehr froh,
da der Kreis dieſer Damen nichts weniger als
beruhigend anzuſehen war. Denn als ſie die¬
ſelben einzeln muſterte, waren es lauter jüngere
Frauen, welche jede auf ihre Weiſe für gefähr¬
lich galt und in der Stadt, wenn auch nicht
eines ſchlimmen, doch eines geheimnißvollen Rufes
genoß, was bei der herrſchenden Duldſamkeit
immer noch genug war. Da ſaß erſtens die
nicht häßliche Adele Anderau, welche üppig und
verlockend anzuſehen war, ohne daß man recht
wußte, woran es lag, und welche alle jungen
Leute jezuweilen mit halbgeſchloſſenen Augen ſo

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 10
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[145/0157] durch einen ſeltſamen Firlefanz von Kronleuchtern ziemlich ſchwach erleuchtet war, erblickte ſie eine kleinere Geſellſchaft, die da in aller Stille und Fröhlichkeit ſich zu unterhalten ſchien. Als Frau Regel genauer hinſah, erkannte ſie ſieben bis acht verheirathete Frauen, deren Männer ſie ſchon in dem Speiſeſaal hatte ſpielen ſehen zu einem hohen und prahleriſchen Satze. Dieſe Frauen ſaßen in einem engen Halbkreiſe und vor ihnen eben ſo viel junge Männer, die ihnen den Hof machten. Unter dieſen war Fritz abermals nicht zu finden und ſeine Mutter hierüber ſehr froh, da der Kreis dieſer Damen nichts weniger als beruhigend anzuſehen war. Denn als ſie die¬ ſelben einzeln muſterte, waren es lauter jüngere Frauen, welche jede auf ihre Weiſe für gefähr¬ lich galt und in der Stadt, wenn auch nicht eines ſchlimmen, doch eines geheimnißvollen Rufes genoß, was bei der herrſchenden Duldſamkeit immer noch genug war. Da ſaß erſtens die nicht häßliche Adele Anderau, welche üppig und verlockend anzuſehen war, ohne daß man recht wußte, woran es lag, und welche alle jungen Leute jezuweilen mit halbgeſchloſſenen Augen ſo Keller, die Leute von Seldwyla. I. 10

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/157>, abgerufen am 29.04.2024.