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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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sprach ziemlich geläufig Englisch und auch etwas Fran¬
zösisch, wie sich im Verlaufe zeigte, letzteres sogar besser,
als die meisten Damen bei den amerikanischen Legationen.
Als sie hörte, woher ich sei, sah sie ihren Mann flüchtig
an, wie wenn sie ihn über ihr Verhalten befragen wollte;
er rührte sich aber nicht und so ließ sie sich auch weiter
Nichts merken. Dennoch schämte er sich nicht etwa ihres
früheren Standes, sondern wollte denselben nur so lange
geheim halten, bis sie die völlige Freiheit und Sicherheit
der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬
thigungen erworben habe.

Da er indessen das Bedürfniß offener Mittheilung
an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, schon um
dem Geheimnisse jeden verdächtigen Charakter zu nehmen,
wählte er mich bald zum Mitwisser, und ich war nicht
wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die
arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem
Gedächtnisse lebendig ward, wie sie wortlos die Bedränger
von sich abwehrte. Auch der Frau geschah damit ein Ge¬
fallen; denn sie hatte wenigstens außer ihrem Manne
noch einen Menschen, mit welchem sie ohne Rückhalt von
sich sprechen konnte.

Ich erfuhr nun auch, in wie seltsamer Art Erwin die
Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor
Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm
zuerst um die englische Sprache zu thun gewesen; und
damit sie vor jeder häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte

ſprach ziemlich geläufig Engliſch und auch etwas Fran¬
zöſiſch, wie ſich im Verlaufe zeigte, letzteres ſogar beſſer,
als die meiſten Damen bei den amerikaniſchen Legationen.
Als ſie hörte, woher ich ſei, ſah ſie ihren Mann flüchtig
an, wie wenn ſie ihn über ihr Verhalten befragen wollte;
er rührte ſich aber nicht und ſo ließ ſie ſich auch weiter
Nichts merken. Dennoch ſchämte er ſich nicht etwa ihres
früheren Standes, ſondern wollte denſelben nur ſo lange
geheim halten, bis ſie die völlige Freiheit und Sicherheit
der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬
thigungen erworben habe.

Da er indeſſen das Bedürfniß offener Mittheilung
an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, ſchon um
dem Geheimniſſe jeden verdächtigen Charakter zu nehmen,
wählte er mich bald zum Mitwiſſer, und ich war nicht
wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die
arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem
Gedächtniſſe lebendig ward, wie ſie wortlos die Bedränger
von ſich abwehrte. Auch der Frau geſchah damit ein Ge¬
fallen; denn ſie hatte wenigſtens außer ihrem Manne
noch einen Menſchen, mit welchem ſie ohne Rückhalt von
ſich ſprechen konnte.

Ich erfuhr nun auch, in wie ſeltſamer Art Erwin die
Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor
Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm
zuerſt um die engliſche Sprache zu thun geweſen; und
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[96/0106] ſprach ziemlich geläufig Engliſch und auch etwas Fran¬ zöſiſch, wie ſich im Verlaufe zeigte, letzteres ſogar beſſer, als die meiſten Damen bei den amerikaniſchen Legationen. Als ſie hörte, woher ich ſei, ſah ſie ihren Mann flüchtig an, wie wenn ſie ihn über ihr Verhalten befragen wollte; er rührte ſich aber nicht und ſo ließ ſie ſich auch weiter Nichts merken. Dennoch ſchämte er ſich nicht etwa ihres früheren Standes, ſondern wollte denſelben nur ſo lange geheim halten, bis ſie die völlige Freiheit und Sicherheit der Haltung und damit eine Schutzwehr gegen Demü¬ thigungen erworben habe. Da er indeſſen das Bedürfniß offener Mittheilung an irgend Einen nicht ganz unterdrücken konnte, ſchon um dem Geheimniſſe jeden verdächtigen Charakter zu nehmen, wählte er mich bald zum Mitwiſſer, und ich war nicht wenig verwundert, in der eigenthümlichen Staatsdame die arme Magd wiederzufinden, die jetzt allmälig in meinem Gedächtniſſe lebendig ward, wie ſie wortlos die Bedränger von ſich abwehrte. Auch der Frau geſchah damit ein Ge¬ fallen; denn ſie hatte wenigſtens außer ihrem Manne noch einen Menſchen, mit welchem ſie ohne Rückhalt von ſich ſprechen konnte. Ich erfuhr nun auch, in wie ſeltſamer Art Erwin die Ausbildung der Frau bis anhin durchgeführt hatte. Vor Allem war er mit ihr nach London gegangen, da es ihm zuerſt um die engliſche Sprache zu thun geweſen; und damit ſie vor jeder häuslichen Arbeit bewahrt blieb, wohnte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/106>, abgerufen am 29.04.2024.