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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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er, wie später in Paris, nur in Gasthäusern, und auch
dort mußte er fortwährend aufpassen und dazwischen treten,
daß sie nicht die Zimmer selbst aufräumte und die Betten
machte, oder gar zu den Dienstboten und Angestellten in
die Küche ging, um ihnen zu helfen. Ebenso kostete es
ihn einige Mühe, sie an größere Zurückhaltung gegenüber
den Dienenden und Geringen zu gewöhnen, so zwar, daß
sie, ohne der menschlichen Freiheit Abbruch zu thun, die
zu große Vertraulichkeit vermeiden lernte, um einst leichter
befehlen zu können. Dieser Punkt soll für beide Personen
nicht ohne etwelche Bekümmerniß erledigt worden sein;
denn während Regine sich immer wieder vergaß und schwer
begriff, warum sie nicht mit ihres Gleichen über Alles
plaudern sollte, was diese freute oder betrübte, dachte
Erwin fortwährend nur an den gemessenen Ton, der in
seinem elterlichen Hause herrschte, und an die Rangstufe,
welche Regine dort einzunehmen berufen war. Die Heim¬
führung, die noch bevorstand, beherrschte alle seine Ge¬
danken; in Reginen hoffte er ein Bild verklärten deutschen
Volksthumes über das Meer zu bringen, das sich sehen
lassen dürfe und durch ein außergewöhnliches Schicksal
nur noch idealer geworden sei. Wollte er aber diesen Er¬
folg nicht nur einem Glücksfunde, sondern auch seiner
liebevoll bildenden Hand verdanken, so war ihm nur um
so mehr daran gelegen, daß auch in Nebendingen das
Werk so vollkommen als möglich sei und sein Triumph
durch keine kleinste Unzukömmlichkeit gestört werde. Man

Keller, Sinngedicht. 7

er, wie ſpäter in Paris, nur in Gaſthäuſern, und auch
dort mußte er fortwährend aufpaſſen und dazwiſchen treten,
daß ſie nicht die Zimmer ſelbſt aufräumte und die Betten
machte, oder gar zu den Dienſtboten und Angeſtellten in
die Küche ging, um ihnen zu helfen. Ebenſo koſtete es
ihn einige Mühe, ſie an größere Zurückhaltung gegenüber
den Dienenden und Geringen zu gewöhnen, ſo zwar, daß
ſie, ohne der menſchlichen Freiheit Abbruch zu thun, die
zu große Vertraulichkeit vermeiden lernte, um einſt leichter
befehlen zu können. Dieſer Punkt ſoll für beide Perſonen
nicht ohne etwelche Bekümmerniß erledigt worden ſein;
denn während Regine ſich immer wieder vergaß und ſchwer
begriff, warum ſie nicht mit ihres Gleichen über Alles
plaudern ſollte, was dieſe freute oder betrübte, dachte
Erwin fortwährend nur an den gemeſſenen Ton, der in
ſeinem elterlichen Hauſe herrſchte, und an die Rangſtufe,
welche Regine dort einzunehmen berufen war. Die Heim¬
führung, die noch bevorſtand, beherrſchte alle ſeine Ge¬
danken; in Reginen hoffte er ein Bild verklärten deutſchen
Volksthumes über das Meer zu bringen, das ſich ſehen
laſſen dürfe und durch ein außergewöhnliches Schickſal
nur noch idealer geworden ſei. Wollte er aber dieſen Er¬
folg nicht nur einem Glücksfunde, ſondern auch ſeiner
liebevoll bildenden Hand verdanken, ſo war ihm nur um
ſo mehr daran gelegen, daß auch in Nebendingen das
Werk ſo vollkommen als möglich ſei und ſein Triumph
durch keine kleinſte Unzukömmlichkeit geſtört werde. Man

Keller, Sinngedicht. 7
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[97/0107] er, wie ſpäter in Paris, nur in Gaſthäuſern, und auch dort mußte er fortwährend aufpaſſen und dazwiſchen treten, daß ſie nicht die Zimmer ſelbſt aufräumte und die Betten machte, oder gar zu den Dienſtboten und Angeſtellten in die Küche ging, um ihnen zu helfen. Ebenſo koſtete es ihn einige Mühe, ſie an größere Zurückhaltung gegenüber den Dienenden und Geringen zu gewöhnen, ſo zwar, daß ſie, ohne der menſchlichen Freiheit Abbruch zu thun, die zu große Vertraulichkeit vermeiden lernte, um einſt leichter befehlen zu können. Dieſer Punkt ſoll für beide Perſonen nicht ohne etwelche Bekümmerniß erledigt worden ſein; denn während Regine ſich immer wieder vergaß und ſchwer begriff, warum ſie nicht mit ihres Gleichen über Alles plaudern ſollte, was dieſe freute oder betrübte, dachte Erwin fortwährend nur an den gemeſſenen Ton, der in ſeinem elterlichen Hauſe herrſchte, und an die Rangſtufe, welche Regine dort einzunehmen berufen war. Die Heim¬ führung, die noch bevorſtand, beherrſchte alle ſeine Ge¬ danken; in Reginen hoffte er ein Bild verklärten deutſchen Volksthumes über das Meer zu bringen, das ſich ſehen laſſen dürfe und durch ein außergewöhnliches Schickſal nur noch idealer geworden ſei. Wollte er aber dieſen Er¬ folg nicht nur einem Glücksfunde, ſondern auch ſeiner liebevoll bildenden Hand verdanken, ſo war ihm nur um ſo mehr daran gelegen, daß auch in Nebendingen das Werk ſo vollkommen als möglich ſei und ſein Triumph durch keine kleinſte Unzukömmlichkeit geſtört werde. Man Keller, Sinngedicht. 7

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/107>, abgerufen am 29.04.2024.